Ombudsstellen bei Zeitungen: Was die Leser wollen
Mehr Recherche, weniger Kochrezepte – und einfach mal einem bestimmten Autor die Meinung sagen: Leserwünsche können anstrengend sein. Mehr über sie zu wissen, kann aber gerade für Zeitungen überlebenswichtig sein. Die Westfälische Rundschau hat deshalb Leserbeiräte gegründet und eine Ombudsstelle geschaffen
03.11.2010
Von Miriam Bunjes

Mehr investigative Recherche, auch wenn dafür weniger unterschiedliche Themen im Blatt sind. Sudoku und Kochrezepte eindampfen. Im Lokalen alte Geschichten neu aufwärmen und fragen, was aus Bauprojekten und Gerichtsprozessen geworden ist. Kulturberichterstattung aus den Nachbarstädten. Mehr Texte mit Happy End. Die Liste der Leserwünsche an die Westfälische Rundschau (WR) in Dortmund ist lang – und nicht mit zwei Handgriffen zu erledigen.

Die Redaktion will trotzdem mehr Kritik hören. Seit Oktober hat die Zeitung der WAZ-Gruppe sieben Leserbeiräte: Einen für den Mantel der WR, sechs für die 20 Lokalausgaben. Die Beiräte – zwischen neun und 14 Leser pro Beirat- treffen sich dreimal im Jahr und diskutieren ihre Wahrnehmung der Zeitung. Sie wurden aus rund 400 Bewerbern ausgewählt, "der jüngste ist 16, die Älteste 81", sagt Chefredakteur Malte Hinz. "Außerdem haben wir darauf geachtet, dass das Verhältnis zwischen Männern und Frauen ausgewogen ist und nicht alle den gleichen Beruf haben."

Schlichten zwischen Lesern und Redaktion

Für die Alltagskonflikte gibt es – auch seit Oktober - einen Ombudsmann, der zwischen Redaktion und Leser schlichten soll – und ebenfalls die Ideen der Leser in die Redaktionen transportiert. "Wir wollen uns mehr öffnen und mehr Qualität ins Blatt holen", sagt Chefredakteur Hinz. "Die Leser legen Wert auf mehr Transparenz und wir wollen mit ihren Ideen neue Leserkreise erschließen."

Letzteres ist zentral, denn die Situation der WR ist chronisch schwierig: 300 Redakteursstellen werden im gesamten WAZ-Konzern abgebaut. Im südwestfälischen Verbreitungsgebiet wurden daher Lokalredaktionen zum Teil mit WAZ-Schwester Westalenpost zusammengelegt oder geschlossen. Und den Zeitungsmantel bedient inzwischen auch die WAZ-Zentralredaktion in Essen. 140.000 verkaufte Auflage habe man, sagt der Chefredakteur. Der WAZ-Konzern selbst gibt für seine Zeitungen, die im WAZ-Verbreitungsgebiet liegen, keine gesonderten Auflagenzahlen an. "Wir haben die Lage inzwischen im Griff", sagt Hinz. Die Pläne für die Leserbeiräte und den Ombudsmann sind wegen der Sparmaßnahmen aber für zwei Jahre in seiner Schreibtischschublade verschwunden. Keine Zeit für zusätzliche Arbeit. Ich denke, dass uns diese Konzepte jetzt aus der Krise helfen können", sagt der Chefredakteur.

Transparenz im Redaktionsalltag

Mehr Transparenz in den Redaktionsalltag kann tatsächlich mehr Leser binden, glaubt auch Klaus Meier, Journalismusforscher an der TU Dortmund. "Im Kampf um die Leser entscheiden die Unterschiede", sagt der Professor. "Wenn die Leser Einblicke in die Redaktionsarbeit haben und merken, dass ihre Kritik auch ankommt und ernst genommen wird, fördert das die Leser-Blatt-Bindung. Wenn das eine reine Marketing-Aktion vom Verlag ist, merken sie das aber auch sehr schnell." Ein Ombudsmann soll die Kritik der Leser entgegennehmen und in die Redaktion zurückspiegeln – im Idealfall. "Dem Leser wird erklärt, wie Redaktionsentscheidungen zustande kommen und die Redaktion bekommt die Rückmeldung gebündelt", sagt Meier. "Ein Ombudsmann erkennt schneller, wenn die Kritik häufig in eine bestimmte Richtung geht und kann mit solchen Rückmeldungen Änderungen in den Redaktionen einbringen." Und damit die Qualität verbessern.

Im Internet-Zeitalter kann man das auch anders machen. "Durch die Kommentarfunktionen können die Leser ja sehr unkompliziert Rückmeldungen geben und die Redakteure können dann wiederum Stellung nehmen. Das hat Journalismus insgesamt transparenter gemacht", sagt Meier. "Das Ombudsmann-Konzept stammt aus der Vor-Internet-Zeit, sein Prinzip ist aber zeitlos." In der deutschen Presse ist es, anders als in Skandinavien oder den USA, aber selten. Mit der WR haben fünf Zeitungen einen Ombudsmann – der manchmal anders heißt und zum Beispiel bei der Frankfurter Rundschau vor allem im Netz arbeitet. "Regionalzeitungen haben aber breitere Leserkreise und brauchen ein Angebot, dass auch offline funktioniert", sagt Meier. Tatsächlich wünschte sich ein WR-Leserbeirat bereits Telefonnummern statt Links unter den Artikeln.

Leseranwalt der Mainpost

Solche Hinweise nimmt Anton Sahlender - der erste deutsche Presseombudsmann – schon seit vier Jahren als Leseranwalt der Mainpost entgegen. In seiner wöchentlichen Kolumne fragt er die Leser, welche Nebensächlichkeiten ihrer Meinung nach den Platz für bedeutsame Nachrichten versperren und erklärt, warum die Mainpost über Paris Hilton berichtet. Oder warum Journalisten "mutmaßlicher Täter" schreiben, bevor ein Täter verurteilt ist – Dinge, über die sich Leser in der Woche beschwert hatten. "Leseranwalt heißt nicht, dass ich allen Lesern immer Recht gebe", sagt Sahlender, der seit 40 Jahren bei der Mainpost arbeitet. "Ich trage die Leserinteressen in die Redaktion und vermittle. Die Zeitung lässt sich aber keine Positionen aufzwingen, deshalb erkläre ich für die Redaktion die journalistischen Entscheidungen."

Etwa fünf bis sechs Stunden pro Woche arbeitet er als Leseranwalt, ansonsten ist der 61-Jährige Mitglied der Chefredaktion. Auf Leserwunsch wurde zum Beispiel eine Korrekturspalte eingeführt, "vor allem wurde aber in Einzelfällen anders entschieden."

Der WR-Ombudsmann Jörg Tuschoff arbeitet ehrenamtlich für die WR. Der 63-jährige Redakteur und Betriebsrat ist frisch pensioniert und hat über 30 Jahre für die WR gearbeitet. "Die ersten Sitzungen der Leserbeiräte haben schon viele Anregungen gebracht. Dass die Leute mehr Positives lesen wollen zum Beispiel, ist vielen Kollegen gar nicht bewusst und es lässt sich in der Themenplanung leicht berücksichtigen."

Auch die "Bild" setzt auf die Leser

Auf ihren Leserbeirat hört die BILD-Zeitung schon seit 2007. Der vierte Rat aus 32 Lesern ist frisch gewählt. Auf Anregung seiner Vorgänger hat das Boulevard-Blatt eine tägliche Wissens-Seite eingeführt, macht mehr Service- und mehr Frauenthemen. "Diese Leserbindung lohnt sich sicher auch ökonomisch, sonst würde BILD nicht an dem Konzept festhalten", sagt Journalismusforscher Meier.