Ein Vorurteil über die Auslandsberichterstattung lautet, dass sie zu keinem geringen Anteil Vorurteile über andere Länder verbreitet. Lesen wir in deutschen Medien über Finnland, geht es oft um Sauna, Nordlichter und den Nikolaus, der am Polarkreis wohnt. Geht es um Afrika lesen wir von Hunger oder wilden Tieren. Und die drei "M" in Sachen Italien lauten "Müll, Mafia und Medienkontrolle".
Das Goethe-Insitut in Italien will diese "Vorurteils"-Berichterstattung nicht hinnehmen. Mit weiteren Partnern – darunter die Bundeszentrale für Politische Bildung (bpb) - wurde deshalb das Projekt "Va Bene?! La Germania in italiano. Italien auf Deutsch" ins Leben gerufen. Beim "Tapetenwechsel" besuchen deutsche Redakteure italienische Medien und umgekehrt, bei der "spitzen Feder" nehmen italienische und deutsche Karikaturisten die gegenseitigen Vorurteile aufs Korn und beim Nachwuchsjournalistenpreis "Reporter aus Leidenschaft" werden junge Talente aus Italien und Deutschland ausgezeichnet, die mit ihrer Berichterstattung das jeweils andere Land eben nicht nur aus dem Blickwinkel des Vorurteils betrachten. Ziel dieser und anderer Aktionen im Rahmen des Projekts "Va Bene" sei es, die gegenseitige Neugierde wieder zu beflügeln und voneinander zu lernen", sagt bpb-Präsident Thomas Krüger.
Das Bild, das die Deutschen von Italien hätten, schmerze die Italiener, sagte Michael Gerdts, deutscher Botschafter in Rom, bei der Tagung "Made in Germany/Made in Italy" am 25. und 26. Oktober in Rom - einem weiteren Projekt von "Va Bene", das auch von der Konrad-Adenauer-Stiftung unterstützt wurde. Zwei Tage lang diskutierten deutsche und italienische Journalisten über die Medien in ihren jeweiligen Ländern. Um es kurz zu machen: Um kulturelle Unterschiede ging es bei der Tagung kaum. Es wurde auch wenig darauf eingegangen, welche Schätze an Themen von Journalisten in Italien respektive Deutschland noch zu heben wären und bislang in der Auslandsberichterstattung vernachlässigt wurden. Stattdessen ging es hauptsächlich um die Entwicklungen der Medien in beiden Ländern an sich. Aber auch dies machte bereits Lust auf Italien.
Was die Auslandsberichterstattung – nicht nur in Sachen Italien – anging, platzte SWR-Chefreporter Thomas Leif in Rom der Kragen. So sei etwa die Afghanistan-Berichterstattung von ARD und ZDF "beschämend", sagte er und kritisierte, dass ein Korrespondent im Nebenjob die "Presseoffiziere der Bundeswehr" ausbilde. Exzellente Dokumentationen – auch über das Ausland – würden im Nachtprogramm verschwinden. "Was haben wir denn für Gremienvertreter, dass sie einerseits für mehr Politik im Programm eintreten, dagegen aber nichts tun?", fragte Leif. Er kritisierte auch den Zustand des Medienjournalismus in Deutschland, der genau diese Themen ansprechen müsse, um Diskussionen anzuregen und so für mehr Qualität im Programm zu sorgen. Dass der Medienjournalismus einen Einfluss auf die Qualität der Branche haben könne, war dabei eine These, die die in Italien arbeitende Journalistin Eva Clausen (eurotopics) indirekt unterstützte. Die Qualität des Fernsehens in Italien sei miserabel, sagte sie. Einen Medienjournalismus, der die eigene Branche reflektiere, gebe es kaum.
Berichte aus dem Alltag
Die Tagung in Rom hatte ihre Stärken, wenn Journalisten aus ihrem Alltag berichteten oder eigene Projekte vorstellten und ihre Schwächen, wenn über den "Einfluss der Technizität des Fernsehens auf die Semantik der Politik" schwadroniert wurde. Regierte Bundeskanzler Gerhard Schröder mit "Basta", weil es die Medien so wollten, wie Angelo Bolaffi, Leiter des italienischen Kulturinstitutes in Berlin meinte. Oder war das "Basta" nicht eher der Anfang vom Ende des Kanzlers Schröder, was Tissy Bruns vertrat, die auch auf dem Podium in Rom wieder vor "kollektivem Wahn" warnte, dem Journalisten gelegentlich verfielen, womit Bruns den sogenannten Neoliberalismus meint, der vor einigen Jahren Mainstream auch bei Redakteuren gewesen sei.
Spannender – wenn auch etwas ausschweifend und wenig auf den Punkt - waren da die Berichte der Radiojournalistin Laura Troja (Radio Rai Tre), die eine Woche bei Radio Bremen verbrachte und dort von Ulrike Petzold betreut wurde. Radio Bremen nutzte den Austausch, um im Programm eine italienische Woche zu veranstalten. Statt um Berlusconi und Müll ging es dabei unter anderem um Beispiele gelungener Einwanderung nach Deutschland. Der Journalist Arno Stoffels ("Nürnberger Nachrichten") wiederum war bei der Zeitung "Secolo" in Genua zu Gast. Dort stellte er fest, dass in italienischen Medien der unlängst von "Tagesschau"-Chefredakteur Kai Gniffke geforderte "Raum zur Reflexion" offenbar noch ausreichend vorhanden ist. Von 11 bis 13 und von 15 bis 17 Uhr sei täglich umfassend konferiert worden, berichtete Stoffels. In den Konferenzen passiere aber "sehr viel". Es finde eine genaue Analyse und Planung der Ausgabe des nächsten Tages statt. Die Redaktion habe sich sehr viel Mühe gegeben, Themen mit einem "besonderen Dreh" zu versehen oder den Lesern neu und kreativ zu präsentieren.
Das Internet legt zu
Ob Stoffels bei "Secolo" entstandene Reportage zum Thema "Bierkultur in Genua" nun ausgerechnet dazu beigetragen hat, deutsch-italienische Vorurteile abzubauen, sei allerdings dahingestellt. Auch scheinen einige Unterschiede nicht unbedingt dem anderen Land, sondern einfach der anderen Redaktion geschuldet zu sein. Dass bei "Secolo" anders als bei den "Nürnberger Nachrichten" im Großraumbüro gearbeitet wird, liegt jedenfalls nicht an italienischen Arbeitsgewohnheiten, sondern an Entwicklungen im Journalismus, die offenbar weltweit Raum greifen und von denen einzig einzelne Blätter hier und dort verschont zu werden scheinen.
Und so zeigte sich auch dies deutlich: Viele Entwicklungen in den Medien gelten für beide Länder, wie die Vorträge von Sophie Burkhardt (heute online) und Luigi Ceccarini (Universität Urbino) zeigten: Online hat Zukunft. 74,9 Prozent der jungen Italiener (15 bis 29 Jahre) schauen täglich fern, aber schon 75,9 Prozent sind täglich im Internet unterwegs. Burckardt wiederum verwies auf die rund 60.000 "Fans", die "heute online" bei Facebook habe und die täglich zwei Topmeldungen aus der Redaktion erhielten.
Ob 60.000 "Fans" nicht extrem wenig seien angesichts des Millionenpublikums, das die Sendung "heute" im ZDF habe, wollte da Paul-Josef Raue, Chefredakteur der "Thüringer Allgemeinen" wissen. Letztlich gehe es um Diversifikation, sagte dazu Burkhardt. Junge Menschen seien an verschiedenen Stellen im Netz unterwegs und es müsse darum gehen, ihnen möglichst überall ein Angebot zu machen. Gleichzeitig warnte sie davor, sich dabei von einem Anbieter abhängig zu machen. "Wenn Sie allein auf das i-Pad setzen, können sie dann noch kritisch über Apple berichten?", fragte sie.
Qualität des Fernsehens
Unabhängigkeit war überhaupt ein Stichwort in Rom, das allerdings aufgrund des straffen Programms nur oberflächlich behandelt werden konnte. Erstaunlicherweise blieb das Thema Berlusconi dabei fast außen vor, und tauchte lediglich unter der Bezeichnung "die italienische Anomalie" hier und dort in den Diskussionen auf. Mit "italienische Anomalie" bezeichneten die italienischen Tagungsteilnehmer dabei selbst, dass der Ministerpräsident zugleich Inhaber der größten privaten Fernsehsender des Landes ist und zugleich qua Amt auch Einfluss auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nimmt, der aber ohnehin – wie auch in Deutschland? – aufgrund der Orientierung an Quoten und dem privaten Konkurrenzprogramm in den vergangenen Jahren zunehmend unpolitischer geworden ist und sein Programm streckenweise mit der Übertragung von Schönheitswettbewerben bestreitet.
Zur "italienischen Anomalie" gehört aber auch, so Edoardo Novelli von der Universität Rom, dass wichtige Zeitungen einer bestimmten politischen Richtung eindeutig zuzuordnen sind und sich zudem oft in den Händen von Unternehmern befinden, die mit den Medien in ihren Händen eigene Interessen verfolgen. "Die zwei größten Zeitungen Roms gehören zwei Bauunternehmern", sagte Novelli.
Neue Geschäftsmodelle
Angesichts solcher Fakten durfte auch in Rom die inzwischen bei jedem Medienkongress diskutierte Frage, wer den Journalismus überhaupt noch bezahlen soll, nicht fehlen. Ein durchaus interessantes Konzept präsentierte dabei Lorenzo Fazio, Herausgeber von Chiarelettere. Der Verlag veröffentlicht sogenannte "Instant Bücher", die in wenigen Wochen entstehen und investigativ und kritisch aktuelle Themen beleuchten. Vergleichbar sind die Bücher, die in der Regel zwischen zwölf und 15 Euro kosten und auf billigem Papier gedruckt sind, mit etwas längeren Dossiers aus "Spiegel" oder "Zeit".
Unter den 20 bestverkauften Sachbüchern in Italien seien aktuell fünf von Chiarelettere, sagte Fazio. Der Titel "Vatikan AG", in dem Geschäfte der Vatikanbank beleuchtet werden, verkaufte sich allein 200.000 Mal und wurde in mehrere Sprachen übersetzt. Viel beachtet wurde auch der Tital "Ad Personam" von Marco Travaglio, der in Rom ebenfalls auf dem Podium saß und sich mit den Geschäften Silvio Berlusconis befasst. 2009 machte Chiarelettere immerhin 500.000 Euro Umsatz und schreibt nach eigenen Angaben schwarze Zahlen.
Für nicht problemlos übertragbar hielt in Rom allerdings Thomas Leif dieses Konzept und bemerkte, dass in Deutschland der Markt für derart kritische Sachbücher nicht stark ausgeprägt sei. Beispielhaft könne man dies an dem aktuellen Bertelsmann-Buch ablesen, das zwar umfangreich in den Medien besprochen worden sei, sich jedoch nur in geringem Maße verkaufe. Bei dem Buch handele es sich allerdings um eine mehrere hundert Seiten starke Abhandlung und nicht um ein schnelles, journalistisch-kritisches Produkt, hielt dem Annette Milz, Chefredakteurin des "medium magazin" entgegen.
Ansatz der "rationalen Ignoranz"
Ein anderes erfolgreiches Konzept aus Italien ist die Zeitungsneugründung "Il Fatto Quotidiano". Rund 45.000 Abonennten hat das Blatt, dessen Geschäftsmodell eine Mischung aus "taz" und "Spiegel" ist. Die Redakteure der Zeitung sind gleichzeitig Anteilseigner, womit die Unabhängigkeit der Zeitung gewahrt bleiben soll. Die Unabhängigkeit wiederum ist gleichzeitig das Pfund bei den italienischen Lesern ist, die ansonsten beinahe nur Zeitungen kennen, die von Parteien oder Investoren abhängig sind. Statt den ursprünglich geplanten zwölf Redakteuren arbeiten inzwischen rund 20 Journalisten fest für das Blatt und könnten, so Travalio, "davon leben". Für uneingeschränkt übertragbar hält er das Modell jedoch nicht, da in Italien eben die mehrfach erwähnte "italienische Anomalie" eine Marktlücke für unabhängige Presse biete, die in anderen Ländern so nicht vorhanden sei.
Einen bei Medienkongressen bislang eher selten diskutierten Ansatz zur Erklärung eines möglichen Niedergangs der Medien bot in Rom schließlich noch der Medienwissenschaftler Stephan Ruß-Mohl. Er sprach von "rationaler Ignoranz" der Medienkonsumenten und meinte damit, dass der Staatsbürger, der zugleich potenzieller Mediennutzer sei, sich allein deshalb weniger informiere (und damit beispielsweise weniger Zeitung lese), weil er das Gefühl habe, ohnehin keinen Einfluss auf die Entscheidung zu haben. Wenn die Einflussmöglichkeit aber ohnehin fehle, mache es für den einzelnen auch keinen Sinn, Zeit, Energie und Geld etwa für die Beschaffung von Informationen zu einem bestimmten Thema aufzuwenden. Ein Gedanke, dem zwar in Rom widersprochen wurde, der aber dennoch bedenkenswert ist. Ruß-Mohl zufolge würde nicht die Demokratie leiden, weil die Medien versagen, sondern die Medien leiden am Versagen der Demokratie. Italien scheint für diese These nicht das schlechteste Beispiel zu sein.
Henrik Schmitz ist Redakteur bei evangelisch.de