EU-Gipfel: Am Ende fast wieder Küsschen
Angela Merkel pokert beim EU-Gipfel mit hohem Einsatz. Am Ende setzt sie ihre Kernanliegen weitgehend durch. Doch zurück bleibt viel zerschlagenes Porzellan. Trotzdem sieht sich die Kanzlerin nicht als Rabenmutter der EU.
29.10.2010
Von Frank Rafalski

"Es sind keine Freundschaften zerbrochen - aber die Verhandlungen waren streckenweise sehr hart." Erleichtert, mit müden Augen verkündete Angela Merkel nach langen nächtlichen Verhandlungsstunden ihren Erfolg: Sie hat die Zusage für eine begrenzte Änderung des EU-Vertrags in der Tasche, um den Euro dauerhaft krisenfester zu machen. "Unser Geld, der Euro, wird insgesamt sicherer", war anschließend ihre Botschaft.

Der ebenfalls von der Kanzlerin verlangte Entzug von Stimmrechten für unverbesserliche Defizitsünder ist verschoben, allerdings nicht aufgehoben. "Das Thema bleibt auf der Tagesordnung." Merkel wird dieses Folterwerkzeug für Länder mit chronischen Haushaltsdefiziten so rasch nicht aus der Hand geben.

Keiner will die Katze im Sack kaufen

Bis der "Quantensprung für die Eurostabilität" (Merkel) erreicht war, wurden im Brüsseler Ratsgebäude noch einmal alle Register gezogen. Niemand wollte die Katze im Sack kaufen. Die Briten wollten sicher gehen, dass sie keine Volksabstimmung abhalten müssen. Andere wollten keine neue Kompetenzen nach Brüssel abgeben. Eine Mini-Vertragsänderung - vermutlich angehängt an den Beitrittsvertrag mit Kroatien - ist das Ziel.

Merkel kämpfte in der Sache so hart, weil sie bei der nächsten Euro-Krise nicht wieder vor den Bundestag treten will, um für Milliarden-Rettungspakete zu werben, für die letztlich der Steuerzahler geradestehen muss. Dazu droht ein Stoppschild der Karlsruher Verfassungsrichter, die immer neue "einmalige Notfälle" nicht akzeptieren dürften.

So war es für die Kanzlerin letztlich entscheidend, dass die EU-Länder zur Stabilität gezwungen werden - und dass Banken und Fonds auch die Folgen ihrer Spekulationen selbst tragen müssen. Das Spiel der Spekulanten mit dem Euro wie im Falle Griechenland soll sich so nicht wiederholen.

Spiel mit hohem Risiko

Merkel spielte mit hohem Risiko. Sie musste sich vor dem Gipfel schwere Vorwürfe anhören. "Exotisch und wenig realistisch" fand Polens Regierungschef Donald Tusk Merkels Umgang mit dem Stimmrecht von EU-Mitgliedern. Und für EU-Kommissionschef José Manuel Barroso war Merkels Vorgehen schlicht "nicht akzeptabel".

Die normannische Strandbad-Vereinbarung mit Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy kurz vor dem Gipfel hat die Kanzlerin vor allem bei kleineren Länder viel Kredit gekostet. Die Lockerung der Automatik bei Sanktionen gegen ständige Schuldenmacher empfanden viele als Verrat am gemeinsamen Stabilitätskurs. Dass ausgerechnet Frankreich und Deutschland, einst selbst schlimme Sünder, nun anderen mit Stimmentzug drohen, ging für manche an die Grenze des Erträglichen.

Aber für Merkel war es der einzige Weg, um Sarkozy für die gewünschte Vertragsänderung zu gewinnen. Der «Deal von Deauville» war damit der Türöffner für den Brüssel-Erfolg. Merkel sieht sich deshalb nicht als Rabenmutter der EU, die sich gegen das Europaparlament und die EU-Kommission in Stellung bringt: "Ich bin auch Europa und zwar - wie ich finde - ziemlich leidenschaftlich und gut."

Öffentlicher Dank der Kanzlerin

Einige dürften allerdings nicht so leicht vergessen, dass Deutschland diesmal erneut - wie schon bei der Griechenlandhilfe und dem Euro-Rettungsschirm - als der größte Geldgeber in der EU die Preise diktiert. Merkel spürte das und bedankte sich öffentlich für "das hohe Maß an Solidarität".

Am Rande zurückgeblieben sind allerdings einige, die einst zu den besten Freunden der Deutschen zählten. Barroso muss sich nun vor allem mit dem Europaparlament herumschlagen, dem der aufgeweichte Sanktionsmechanismus nicht schmeckt. Die Euro-Parlamentarier haben kraft Vertrag bei den neuen Stabilitätsregeln ein Mitspracherecht.

Dass sie die Gipfel-Vorgaben ohne automatische Sanktionen so einfach schlucken, ist nicht ausgemacht. Das könnte am Ende sogar Vize-Kanzler Guido Westerwelle (FDP) wieder in die Hände spielen, der mit Merkels weicherem Sanktionskurs zunächst gar nicht einverstanden war. Nach dem Gipfel war allerdings auch er "vorsichtig zufrieden". Die Mindestanforderungen seien erfüllt, ließ er in Berlin wissen.

Am Ende gab es auch vom Chef der Euro-Gruppe, Luxemburgs Ministerpräsident Jean-Claude Juncker, dem Merkels Brechstangen- Kurs wenig gefallen hatte, fast wieder ein Küsschen. Er habe Merkel nur deshalb nicht umarmt, weil er schwer erkältet sei.

dpa