Vor US-Wahl: Stimmungsmache gegen "Obamacare"
Die Gesundheitsreform hat die Vereinigten Staaten in den vergangenen Monaten wie kein zweites politisches Thema gespalten. Kein Wunder, dass "Obamacare" auch im Wahlkampf eine dominierende Rolle spielt.

"Obamacare" - ausgesprochen mit Verachtung und Spott. Dieses Etikett soll US-Präsident Barack Obamas Gesundheitsreform verhöhnen, und damit auch jene Abgeordneten und Senatoren der Demokratischen Partei treffen, die vor knapp einem Jahr für die Initiative gestimmt haben und am kommenden Dienstag bei den Wahlen zum Repräsentantenhaus und Senat antreten. Politiker der Republikanischen Partei und der konservativen "Tea Party"-Bewegung haben "Obamacare" zum Symbol gemacht für das angeblich übermächtige "Washington". Obama bevormunde die Bürger.

Umfragen zufolge punkten die Republikaner mit dieser Rhetorik. Eine Mehrheit zumindest in einem der beiden Häuser im Kongress scheint möglich. Zahlreiche Republikaner kündigten an, nach dem erhofften Wahlsieg die Gesundheitsreform rückgängig zu machen. Die Reform sei "purer, reiner Sozialismus", betont John Raese, der sich im US-Bundesstaat West Virginia um einen Sitz im Senat bewirbt und damit gegen den Demokraten Joe Manchin konkurriert.

Reizwort Sozialismus

Wenn auch nicht alle Kritiker das Reizwort "Sozialismus" wählen: Mehr Bürokratie und mehr Vorschriften würden Patienten nicht helfen, sagt der republikanische Senatskandidat von Kentucky, Rand Paul, von Beruf Augenarzt. Die USA hätten vielleicht nicht die beste Krankenversicherung der Welt, dank des freien Marktes aber das beste Gesundheitssystem.

Ende 2009, als der Kongress die Initiative gegen die Stimmen der Republikaner beschloss, feierte das Weiße Haus einen "historischen" Erfolg für die rund 50 Millionen US-Amerikaner ohne Krankenversicherung. Einer diesen Monat vorgelegten Kongressuntersuchung zufolge hatten die vier größten Versicherungsfirmen von 2007 bis 2009 ein Siebtel der Anträge auf Verzicherungspolicen wegen der Krankengeschichte der Bewerber abgelehnt. Aufgrund der Reform dürfen Firmen nicht mehr diskriminieren - und alle US-Amerikaner müssen spätestens bis zum Jahr 2014 eine Krankenversicherung abschließen. Die Regierung greift Einkommensschwachen unter die Arme.

Regierung soll Kosten begrenzen

Im Wahlkampf wollen viele Demokraten ihr Ja zur Reform anscheinend lieber vergessen. Das überrasche nicht wirklich, kommentierte der Konsumentenverband "Consumer Watchdog", der die Gesundheitsreform im Prinzip befürwortet. Obamas Reform schütze die Patienten zu wenig. So müsse jeder eine Versicherungspolice kaufen. Die Höhe der Beiträge würden aber die kommerziellen Versicherungsfirmen bestimmen. Die Regierung müsse zugunsten der Verbraucher einschreiten, um die Kosten zu begrenzen.

Umfragen zufolge sind viele US-Amerikaner noch unsicher beim Thema Krankenversicherung. Etwa die Hälfte wäre mit einem Zurückdrehen der Reform einverstanden. Doch werden Teile der Änderungen auch begrüßt, vor allem die Vorschrift, dass Versicherungen Kranke nicht mehr ausschließen dürfen.

Lügen die Republikaner?

In einem ungewöhnlich scharfen Leitartikel hat die Zeitung "New York Times" diese Woche Republikanern vorgeworfen, beim Wahlkampf die Gesundheitsreform "zu entstellen und unverblümt zu lügen". Die Reform sei weit vom Sozialismus entfernt, stütze sie sich doch auf das existierende System privater Krankenversicherungen. Nur Senioren dürften weiterhin die staatliche Krankenversicherung Medicare nutzen und besonders Einkommensschwache das Hilfsprogramm Medicaid.

Einige Reformgegner wollen die Änderungen auf juristischem Wege kippen. In mehreren Staaten haben sie Klagen eingereicht, weil der Zwang zum Versicherungsabschluss gegen die US-Verfassung verstoße. Es droht ein rechtliches Chaos. Im US-Bundesstaat Virginia erklärte der zuständige Richter vergangene Woche, er werde bis Jahresende urteilen. In Michigan lehnte ein Richter die Klage als unbegründet ab. In Florida dagegen hat ein Gericht die Klage zur Verhandlung zugelassen. Und in den Bundesstaaten Arizona, Oklahoma und Colorado stimmen die Wähler am Dienstag auch über Volksbegehren gegen die Versicherungspflicht ab.

epd