Den "Geheimcode" protestantischer Amtstracht kennt nicht jeder. Das weiße Beffchen ist in einer reformierten, einer lutherischen oder unierten Kirche unterschiedlich geschnitten. Reformierte tragen das, wenn man so will, liturgische Accessoire geschlossen, lutherisch ist der Kragen von oben bis unten geteilt – und die unierte Tracht liegt genau dazwischen, zur Hälfte geschlossen, zur Hälfte getrennt. So ist an diesem kleinen Stückchen Stoff erkennbar, mit wem man es zu tun hat.
Ansonsten sind die Unterschiede zwischen den protestantischen Bekenntnissen nicht immer so eindeutig zu erkennen. Selbst regelmäßige Kirchgänger merken manchmal erst nach einem Umzug, dass sie am neuen Wohnort Mitglied einer anderen Landeskirche – mit einer anderen Konfession - geworden sind. Unter dem Dach der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gibt es Landeskirchen von lutherischem, reformiertem und uniertem Bekenntnis. Die sind alle evangelisch – auf ihre eigene, unterschiedliche Art und Weise.
Andere Reformatoren, andere Sitten
Die Prägungen der lutherischen und der reformierten Kirchen gehen dabei auf die unterschiedlichen Protagonisten der Reformation zurück. Die Anhänger Johannes Calvins und Ulrich Zwinglis gehörten zu den Gründern der evangelisch-reformierten Kirchen, die vor allem in den Niederlanden, Schottland und der Schweiz, wie im nördlichen Deutschland entstanden. Die Protestanten der evangelisch-lutherischen Kirchen berufen sich auf Martin Luther als Reformator. Die unierten Landeskirchen wiederum entstanden aus Zusammenschlüssen reformierter und lutherischer Kirchen.
Die Unterschiede zwischen diesen Traditionen lassen sich nicht nur in theologischen Fachbüchern nachlesen, sie sind auf einen genauen Blick auch mit bloßem Auge erkennbar – zum Beispiel an den Kragen der Pastoren. Und wer eher in lutherischen Gefilden aufgewachsen ist und erstmals in eine reformierte Kirche kommt, der stolpert regelrecht darüber. Schlicht und schmucklos wirkt der Raum, sodass man sich eher in einem Gemeindesaal wähnt. In der Regel hängen keine Bilder in reformierten Kirchen, es gibt kaum Kerzen oder Blumenschmuck. Mit diesem Stil hält sich die reformierte Gemeinde konsequent ans Bilderverbot, das in der reformierten (wie auch der jüdischen) Zählung der Zehn Gebote deshalb auch als eigenes, zweites Gebot geführt wird.
Bildersturm gegen den Götzendienst
Das Bilderverbot hat Luther seinerzeit zwar auch hochgehalten. Doch ihm war vor allem daran gelegen, dem Prunk und Schmuck der Kirchen keine religiöse Verehrung entgegenzubringen – und somit nicht dem Götzendienst zu verfallen. In lutherischen Kirchen gibt es daher durchaus Gemälde oder Fresken, Leuchter oder Statuen. Dagegen hatten die Reformierten gründlich aufgeräumt: Während der Glaubenskriege war es, vor allem in den Niederlanden, zu regelrechten Bilderstürmen gekommen. Aufständische gegen die Römische Kirche hatten die Kirchbauten von jeglichem Zierrat befreit und dabei mitunter nicht mal die Bänke verschont.
Noch heute ist es durchaus nicht selbstverständlich, dass überhaupt ein christliches Kreuz in einer reformierten Kirche hängt. Und wenn, dann wird jede Darstellung des Gekreuzigten – als Bild Gottes – vermieden. Die schlichten Kreuze, tragen mithin keinen Corpus in reformierten Kirchen.
Die Predigt gerne doppelt bis dreimal so lang
Mit ähnlicher Ablehnung begegneten die calvinistisch geprägten Protestanten zur Zeit der Kirchentrennung aber auch schmückenden Elementen des Gottesdienstes. Traditionell spielt seither die Kirchenmusik im reformierten Gottesdienst keine so herausragende Rolle, wie im lutherischen. Die liturgischen Wechselgesänge im Gottesdienst, die Luther durchaus aus dem römischen Ritus übernommen hatte, wurden bei den Calvinisten abgeschafft. Mancherorts waren auch die Orgeln Opfer der Bilderstürmer geworden. Für den Gesang pflegen reformierte Gemeinden eine reiche Tradition vertonter Bibeltexte, vor allem vieler Psalmen. Die große Vielfalt in der Lieddichtung des evangelischen Kirchengesangbuchs geht dagegen auf die lutherischen Traditionen zurück, die das Kirchenlied bewusst zur Glaubens- und Wissensvermittlung einsetzen.
Ein deutliches Merkmal eines Kirchbaus calvinistischer Prägung ist auch eine mittig im Kirchenschiff platzierte Kanzel. Die Predigt – gerne mal doppelt bis dreimal so lang wie im lutherischen Gottesdienst –, das verlesene und ausgelegte Wort Gottes, steht ganz im Zentrum des Gottesdienstes.
Der Prediger tritt somit dort auf, wo in anderen Kirchen der Altar seinen festen Platz hat – der wiederum gänzlich fehlt in reformierten Kirchen. Als einfaches Möbel für das Abendmahl dient ein Tisch, der mitunter auch in der Mitte der Gottesdienstbesucher, der Versammlung steht.
Nicht nur eine Einrichtungsentscheidung
Was nach einer einfachen Einrichtungsentscheidung aussieht, hat freilich weitreichende theologische Gründe. Mit einem Tisch statt eines Altars soll wirklich jeder Anklang an einen Opferaltar vermieden werden. Die Protestanten – lutherisch wie reformiert – wollten das Abendmahl nicht mehr, wie in der mittelalterlichen Kirche üblich, als das stets wiederholte Opfer des Leibes und Blutes Christi feiern. Die Abkehr vom Abendmahl als Messopfer betonen die reformierten Gemeinden, wenn sie ihre Tischgemeinschaft als Erinnerungsmahl an den Opfertod Christi feiern.
Wie aber sind dann die unierten Kirchen eingerichtet, woran erkennt man deren Gottesdienste? Wie bei den Beffchen lautet die Antwort: genau dazwischen, oder: sowohl, als auch. So gestalten unierte Gemeinden ihren Kirchenraum mit einzelnen Bildern, wenigen Kerzen, dezenten Kreuzen. Oder, flapsig angemerkt, suchen sie sich aus beiden Traditionen das heraus, was ihnen gefällt. Zudem gibt es auch bekennende lutherische oder reformierte Gemeinden unter dem Dach unierter Landeskirchen – und machen die unierte Gemengelage perfekt. Die Unionen sind gegründet auf der Idee, dass die Unterschiede zwischen den protestantischen Traditionen letztlich nicht so trennend sind, dass man nicht gemeinsam Gottesdienst feiern und Gemeinde gestalten könnte.
Gardinensteuer oder Calvinismus?
So bleibt zuletzt nur noch zu klären, ob auch die gardinenlosen Fenster in den Niederlanden eine Art religiösen Code darstellen – und die Bewohner daran, wie oft gemutmaßt, als calvinistisch geprägt zu erkennen wären. Die reformiert-protestantische Ethik verlangt von den Gläubigen eine untadelige, bibeltreue Lebensführung, weil sich die Heiligung Gottes auf Erden eben nicht in sakralen Räumen oder Riten zeige, sondern im ganzen Leben und Tun der Welt. Hartnäckig hält sich daher das Gerücht, dass, wer hier etwas auf sich hält, ohne Gardinen wohnt: Er hat ja nichts zu verbergen. Eindeutige historische Belege dafür finden sich nicht. Allenfalls ist die eine Begründung widerlegt: Eine Gardinensteuer hat es in den Niederlanden nie gegeben.
Kathrin Althans ist Journalistin und Theologin und schreibt als freie Mitarbeiterin für evangelisch.de.