Nach 28 Ehejahren will Louise das gemeinsame Bett durch einen Vorhang teilen. Sie kann abends nur schlecht einschlafen, wenn ihr Mann neben ihr liegt und liest. Während sie morgens gerne sehr früh aufsteht, schläft Bruno lang. Um nicht gestört zu werden, zieht er abends manchmal ins Gästezimmer um. Louises innere Uhr tickt einfach anders als Brunos.
Eine solche "innere Uhr" haben viele Lebewesen, wissen Chronobiologen wie Till Roenneberg, der seit Jahrzehnten zu dem Thema forscht. Sie bestimmt, wann Pflanzen ihre Blätter auf- und zuklappen, ob einzellige Meeresalgen sich Richtung Meeresboden oder Wasseroberfläche bewegen, oder wie und wann Menschen schlafen. Außerdem reguliert sie die menschliche Körpertemperatur und steuert Hormone. Sie legt auch fest, welche Tageszeiten jeder für Sport, Sex oder Mahlzeiten bevorzugt.
Am stärksten wird dieser innere Rhythmus durch die Sonnenzeit beeinflusst, den Wechsel zwischen Hell und Dunkel. Allerdings steht die Innenzeit eines Menschen häufig in Spannung zur "sozialen", von der Gesellschaft gemachten Zeit.
Seit 1884: Örtliche Sonnenzeit nicht mehr maßgebend
Roenneberg hält darum auch nicht viel von der regelmäßigen Umstellung zwischen Winter- und Sommerzeit - denn dann wird auch an der inneren Uhr gedreht. "Viele intelligente Menschen halten die innere Uhr immer noch nicht für besonders wichtig", kritisiert der Wissenschaftler, der in München am Institut für Medizinische Psychologie forscht.
"In modernen Gesellschaften leben wir selten im Einklang mit unserer inneren Uhr. Einige von uns durchqueren auf Reisen in kürzester Zeit mehrere Zeitzonen, andere wiederum - etwa 20 Prozent der arbeitenden Bevölkerung in industrialisierten Ländern - arbeiten nach Schichtplänen." Viele Menschen litten unter einer Art von "sozialem Jetlag", beschreibt Roenneberg.
Bis ins 19. Jahrhundert hinein drifteten Sonnen-, soziale und innere Zeit nicht so weit auseinander wie heute, sagt Roenneberg: "Mittag war, wenn die Sonne am höchsten stand." Doch dann wurde die Eisenbahn erfunden, und die Menschen überwanden in kurzer Zeit große Strecken. Die örtliche Sonnenzeit sei unpraktisch geworden: "Die Reisenden mussten an jedem Bahnhof ihre Uhr neu stellen." 1884 wurde die Welt in 24 Zeitzonen eingeteilt.
Disco ist "notwendige Nische"
Fließband- und Schichtarbeit machte den natürlichen Rhythmen vollends den Garaus. Diese sind jedem Menschen angeboren: Langschläfer wie Bruno, sogenannte Eulen, gehen gerne spät ins Bett. Müssen sie unter der Woche früh raus, holen sie am Wochenende den versäumten Schlaf nach. Die Sonne hoch oben am Himmel stört sie dabei nicht. Rund 60 Prozent der Bevölkerung gehören zu den Spättypen.
Dagegen leiden der Frühaufsteher wie Louise, die "Lerchen", darunter, wenn es am Wochenende abends mal spät wird. Das Ausschlafen bleibt ihnen versagt, weil sie auch dann früh wach werden. "Diese Zeittypen, die wir Chronotypen nennen, werden in vielen Kulturen und Sprachen nach verschiedenen Vögeln benannt, nämlich 'frühen' und 'späten' Vögeln", weiß Roenneberg.
Alter verändert Schlafgewohnheiten
Allerdings sind jene extremen Frühtypen selten, die auch an freien Tagen vor 22 Uhr einschlafen und von allein zwischen 5.30 und sechs Uhr morgens wieder aufwachen. Auf der anderen Seite der Skala schlafen nur vier Prozent der von Roenneberg Befragten erst zwischen drei und halb vier Uhr nachts ein. Das Alter verändert allerdings die Schlafgewohnheiten: Kleine Kinder werden meist morgens früh wach, ältere finden abends nicht ins Bett. Die Fähigkeit, lange wach zu bleiben, erreicht um das 20. Lebensjahr ihren Höhepunkt.
Roenneberg bezeichnet deshalb die Disco als "notwendige Nische": "Wenn die Innenzeit von Menschen dieses Alters so spät ist, dass sie vor den frühen Morgenstunden nicht einschlafen können, wo sollten sie dann hingehen, um niemanden zu stören?"
Die Forschung beginne erst langsam, die möglichen schädlichen Folgen eines Lebens gegen die innere Uhr zu verstehen, sagt der Chronobiologe. "Wenn wir gemäß unserer Innenzeit schlafen könnten, wären wir tagsüber weniger müde und besser gelaunt, würden bessere Leistungen erbringen und würden seltener krank." Er plädiert deshalb für flexiblere Arbeitszeiten - und einen späteren Schulanfang.
Buchtipp - Till Roenneberg: Wie wir ticken. Die Bedeutung der Chronobiologie für unser Leben. DuMont Buchverlag, Köln 2010.