SPD-Laizisten: Neutralität des Staates nicht verletzen
Rolf Schwanitz (SPD) war der erste ostdeutsche Staatsminister im Bundeskanzleramt (1998-2005). Nun steht der Bundestagsabgeordnete an der Spitze einer Bewegung innerhalb der SPD, die eine stärkere Trennung von Kirche und Staat fordert. Nach der ersten Versammlung schlug den Laizisten in der SPD Gegenwind auch aus der Parteispitze entgegen. Im Interview mit evangelisch.de spricht Schwanitz über die Ziele und Chancen des Arbeitskreises.
27.10.2010
Die Fragen stellte Karola Kallweit

Herr Schwanitz, sind Sie religiös?

Rolf Schwanitz: Ich bin konfessionsfrei. Aber ich finde, das ist jedem Einzelnen freigestellt. Das ist eine der großen Errungenschaften unserer freiheitlichen Demokratie, dass jeder nach seiner Façon sich zu einem Glauben bekennen kann, den Glauben ausüben soll. Ich finde, das ist in einer Demokratie wichtig. Ich komme ja aus Ostdeutschland und ich kann mich noch gut daran erinnern, wie das in der DDR war, einem Staat, der ja hochgradig ideologisch den Menschen eine Staatsdoktrin aufgezwungen hat. Ich bin froh, dass das heutzutage anders ist und jeder die weltanschauliche Sicht wahrnehmen und vertreten kann, die er für richtig hält.

Wie schätzen Sie denn die Macht der christlichen Kirchen ein? Braucht es die Gründung eines laizistischen Arbeitskreises in der SPD?

Schwanitz: Ich finde es ist wichtig, dass wir die Neutralität des Staates gegenüber einer speziellen Glaubensrichtung nicht verletzen. Das ist eine der Motivationen, die uns zu der beabsichtigten Gründung des Arbeitskreises der Laizisten als Sozialdemokraten motiviert und uns zusammengeführt hat. Ich glaube, dass es in einer Gesellschaft, bei der auf der einen Seite die Glaubensvielfalt immer größer wird, aber auch die Anzahl der Menschen, die sich zu einem Glauben bekennen, immer kleiner wird, wichtiger ist als noch vor Jahrzehnten, dass man darauf achtet, dass der Staat nicht eine spezielle Glaubensrichtung begünstigt, sondern sich neutral gegenüber allen Weltanschauungen in der Gesellschaft stellt. Das ist ein Gebot gerade dieser Zeit.

Am 16. Oktober haben Sie sich in Berlin getroffen, um den Arbeitskreis "Laizisten in der SPD" zu gründen. Wie weit sind Sie nun gekommen, wie konkret können Sie schon jetzt Dinge umsetzen oder geht das noch gar nicht?

Schwanitz: Nein, wir sind eigentlich strenggenommen noch mitten im Verfahren. Es gibt dazu ja ein Prozedere innerhalb der SPD. Unser Ziel ist, dass wir einen Arbeitskreis für Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten einrichten wollen, die sich für die stärkere Trennung von Staat und Religion einsetzen. Wir wollen übrigens beides sein, nicht nur eine Plattform für diesen laizistischen Gedanken, sondern durchaus auch ein Plattform für die wachsende Zahl von Menschen, die eben konfessionsfrei sind. Das sind ja insgesamt mehr als ein Drittel der Menschen, die in Deutschland leben – auch das ist ein Anliegen dieses Arbeitskreises.

"Die Sozialdemokraten haben ein plurales Fundament"

Wie ist denn das Prozedere?

Schwanitz: Dazu gibt es im Organisationsstatut der SPD eine klare Regel. Man kann einen Arbeitskreis nur einrichten, wenn der Parteivorstand das beschließt. Also haben wir vor einer Woche, wenn man so will, das Selbstverständnis und die organisatorischen Voraussetzungen für uns erst einmal geklärt – indem wir uns über Ziele verständigt haben, indem wir uns einen Sprecherkreis gegeben haben. Was jetzt natürlich kommen muss, ist das offizielle Stellen eines solchen Antrages an den Parteivorstand. Und dann werden die nächsten Schritte folgen, dann wird sich sicherlich auch der Parteivorstand damit befassen.

Die SPD-Führung hat aber jetzt noch einmal auf das jüdisch-christliche Erbe als eine Wurzel der SPD hingewiesen. Wie stehen Sie dazu?

Schwanitz: Dem widerspreche ich nicht. Die Sozialdemokraten haben mehrere, verschiedene Wurzeln. Zu den Wurzeln zählt ganz ohne Frage auch das jüdisch-christliche Erbe, aber zu den Wurzeln zählen natürlich auch Aufklärung und Humanismus. Die Sozialdemokraten haben ein plurales Fundament, bei dem Aufklärung und humanistische Überzeugungen immer schon eine große Rolle gespielt haben.

Haben Sie mit dem Gegenwind innerhalb der eigenen Partei gerechnet?

Schwanitz: Ich habe damit gerechnet, weil ich natürlich weiß, dass in den letzten zehn, zwanzig Jahren, die Verbindung zwischen Christ sein auf der einen Seite und Sozialdemokrat sein auf der anderen Seite, ich will nicht sagen selbstverständlich, aber doch eine sehr große Normalität geworden ist. Das bewusste und auch selbstbewusste Artikulieren, konfessionsfrei zu sein, also sich als solches auch organisieren zu wollen und auch für eine stärkere Trennung von Kirche und Staat einzutreten – das ist neu.

Wie sehen sie Ihre Chancen, dass Sie als Arbeitskreis anerkannt werden?

Schwanitz: Ich bin von diesem Gegenwind nicht pessimistisch gestimmt. Das sind erste Stellungnahmen, die eigentliche Befassung wird später in den Gremien passieren. Und Voraussetzung ist, dass erst einmal ein Antrag da ist. Auf dieser Grundlage muss man sich im Parteivorstand eine Meinung bilden. Es wird kein Urteil da sein, bevor die Gespräche und die Befassung da sind. Das kann ich mir nicht vorstellen.

"Verständigung über Grundwerte ist nicht abhängig vom religiösen Bekenntnis"

Die Frage religiöser Symbole in öffentlichen Gebäuden ist eines Ihrer Themen.

Schwanitz: Ich finde, dass es dabei bereits beginnt. Im Verwaltungsgericht in Düsseldorf haben wir gerade einen Streit über die Frage, ob ein Kreuz in ein Gericht gehört. Aus meiner Sicht gehört es dort nicht hin. In einem Gericht, wo unabhängig vom Glauben des Einzelnen gerecht Recht gesprochen werden soll, darf man diese Trennung, diese auch aus dem Grundgesetz ja schon kommende Trennung zwischen Staat und Religion oder einer speziellen Religion, nicht verwischen. Oder wenn ich mir vergegenwärtige, dass die Verbraucherschutzministerin Frau Aigner in den nächsten Wochen ein Kreuz im Besucherraum des Ministeriums aufhängen will, dann weiß ich, dass diese Fragen der Trennung von Kirche und Staat und auch die Frage nach kirchlichen Symbolen aktuell wichtig sind.

Aber beispielsweise eine Beamtin, die ein Kopftuch tragen möchte – ist das nicht auch Ausdruck ihrer persönlichen Freiheit?

Schwanitz: Wir haben schon Urteile in Karlsruhe zu dem Thema Kopftuch einer Lehrerin an Schulen oder Kreuze in Schulzimmern. Die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtes ist hier absolut klar. Allerdings ist der Vollzug an einigen Stellen in der Praxis äußerst mangelhaft. Und wird auch nicht beachtet. An der Stelle gibt es aus meiner Sicht Handlungsbedarf.

Ein Zitat von Bundeskanzlerin Angela Merkel: "Wer das christliche Menschenbild nicht akzeptiert, ist fehl am Platze in Deutschland". Und für Frau Merkel ist Multikulti gescheitert, bei Horst Seehofer ist Multikulti sogar schon tot. Kommen Sie jetzt genau zum richtigen Zeitpunkt oder genau zum Falschen?

Schwanitz: Ich halte Frau Merkels Position für falsch und auch für kritikwürdig. Es ist richtig, dass wir uns in Deutschland der Mühe unterziehen müssen, eine gründliche Integrationsdebatte zu führen, aber ich sehe schon mit Sorgen, dass wir ein zweifaches Abgleiten der Debatte haben. Auf der eher linken Seite vielleicht im Sinne einer Verharmlosung der Integrationsprobleme, die sich tatsächlich stellen. Und auf der konservativen Seite ein Hinübergleiten ins Religiöse. Das Signal einer solchen Botschaft an einen Bürger oder eine Mitbürgerin in Deutschland, die muslimischen Glaubens ist, man sei nicht willkommen, wenn man keiner christlichen Orientierung folge, das halte ich in höchstem Maße für falsch. Was wir in Deutschland brauchen, ist ein Bekenntnis, ist eine Verständigung über Humanität, über Grundrechte, über Grundwerte in unserer Gesellschaft. Die ist nicht abhängig vom religiösen Bekenntnis.

"Trennung von Kirche und Staat ist ein Thema in allen Parteien"

Gesetzt den Fall, sie würden vom SPD-Vorstand anerkannt, müssten sie wohl auch Kompromisse eingehen.

Schwanitz: Die Politik besteht aus Kompromissen. Das geht gar nicht anders. Man formuliert auch erst einmal Ziele – da muss man sich im Klaren sein – die eine bestimmte Vision einer Trennung beinhalten. Es werden Kompromiss gemacht werden müssen, gar keine Frage. Aber Ausgangspunkt des Kompromisses muss ja nun zunächst einmal die Formulierung der Interessenlage sein.

Abgesehen vom SPD-Vorstand, wie waren denn so die Reaktionen in der vorangegangenen Woche?

Schwanitz: Es gab noch nie ein Thema in den zurückliegenden zwanzig Jahren, in denen ich Politik mache, wo ich so viele Rückmeldungen und Emails erhalten haben. Und übrigens die weit überwiegende Zahl sehr positiv. Ich glaube, dass wir die stärkere Interessensvertretung der Konfessionsfreien in unserer Gesellschaft und den Gedanken einer stärkeren Trennung von Kirche und Staat als ein Thema vor uns haben, nicht nur in der SPD, sondern in allen Parteien.

Was wünschen Sie sich von der Parteispitze und den Kirchen?

Schwanitz: Ich werbe dafür, dass man zunächst einmal in Ruhe unsere Argumente aufnehmen sollte. Wir sind mittlerweile über 500 Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen, die gesagt haben, wir wollen da mitmachen, wir finden das wichtig. Wir sind innerhalb von einer Woche von 300 auf 500 Interessenten gekommen. Also da beteht eine große Nachfrage. Und es sind nicht nur Konfessionsfreie, da sind auch viele Christen dabei, da sind Muslime dabei, da sind auch Buddhisten dabei. Das ist sehr, sehr heterogen und es ist durchaus so, dass jemand, der für sich persönlich sagt, ich habe auch einen christlichen Glauben, Vertreter einer stärkeren Trennung von Staat und Kirche sein kann.


Der Thüringer Rolf Schwanitz (SPD) Mitglied des Deutschen Bundestages, war von Oktober 1998 bis November 2005 der erste ostdeutsche Staatsminister beim Bundeskanzler und 2005 bis 2009 Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin für Gesundheit.

Karola Kallweit ist freie Journalistin in Frankfurt und Berlin.