Um es vorweg zu sagen: Körperspenden für Forschung und Lehre sind nicht zu kritisieren, im Gegenteil gilt, dass nur durch diese Spenden mancher Fortschritt der Medizin erst ermöglicht wurde. Außerdem gilt, dass Internet ist ein Vertriebsweg für Produkte, der ethisch in keiner Weise verwerflich ist – vielleicht schont er sogar die Umwelt, wenn so der Papierverbrauch durch das Drucken von Katalogen reduziert werden kann.
Durch diese beiden Argumente lässt sich aber in keiner Weise der von Gunther von Hagens geplante Webshop legitimieren, über den der kontroverse Plastinator ab Anfang November Leichenteile, Produkte aus Tierkörpern und weitere Accessoires vertreiben will.
Juristisch macht sich der Shop-Betreiber unangreifbar, indem er Leichenteile nur an Bildungs- und Forschungsinstitutionen oder Personen liefert, die nachweisen müssen, in Forschung oder Lehre tätig zu sein.
Körperteile als Handelsware zu betrachten ist würdelos
Aber nicht alles, was juristisch erlaubt ist, muss auch ethisch gebilligt werden. Auch wenn menschliche Körperteile in der Forschung und Lehre ihren Ort haben, so sind sie eben nicht beliebige Handelsware oder Produkte, sondern Körperteile eines Verstorbenen, dem Menschenwürde gebührt. Wenn Gunther von Hagens sich für seinen Shop eine Internetadresse auswählt, die den englischen Ausdruck "products" enthält, zeigt er deutlich, dass für ihn Körperteile eines Menschen nur Produkte sind. Sie lassen sich über einen Mausklick in den virtuellen Warenkorb legen – ein Mensch oder besser seine Leiche ist zu einer Ware im Online-Shop geworden.
[listbox:title=Leben und Tod[Ausstellung im Sepulkralmuseum Kassel]]
Daher kritisiert der Badische Landesbischof Ulrich Fischer zu recht: "Wo sterbliche Überreste eines Menschen zur Handelsware werden, verletzt er dessen Würde." Hinter dieser Kritik steht die Einsicht, dass nicht nur den Lebenden, sondern auch den Toten Menschenwürde zukommt.
Die Kommerzialisierung des Leichnams treibt aber von Hagens noch weiter. Es drängt sich die Vermutung auf, dass die Empörung über die Webplattform und den Webshop zum Marketing-Konzept gehört. Je größer die Kritik, desto höher die Aufmerksamkeit. Je größer der Skandal, desto höher die Verkaufserlöse. Der gesamte Aufbau der Internetseite und die Anmutung machen mehr als deutlich, dass sich die Verkaufsplattform eben nicht vorrangig an ein Fachpublikum aus Forschung und Lehre wendet, sondern Endkunden ins Visier nimmt. Leichenteile dienen als Vehikel für – so nennt es von Hagens – "Lifestyle"-Produkte.
Ohne Achtung vor dem Leben
Dazu zählen Schmuck und Accessoires, zum Beispiel Taschen, die mit Motiven aus den Körperwelten-Ausstellungen bedruckt sind, oder Schmuckstücke, die aus Tierkörpern hergestellt sind. Das Collier aus Scheiben vom Bullenpenis oder Bullenhoden ist nur einen Klick entfernt vom präparierten Herzen oder dem plastiniertem Totenkopf. Wer hier (legal als Endkunde) ein Produkt ersteht, bekommt gratis eine Skandal-Geschichte mitgeliefert.
Tote Körper, ob vom Tier oder Menschen, werden zu Lifestyle-Produkten umgearbeitet und umgedeutet. Dies widerspricht unserer Bestattungskultur, die sich über Jahrhunderte entwickelt hat. Natürlich befinden sich Traditionen im Wandel – dies gilt gerade auch für die Bestattung – und sind auch kein Selbstzweck. Die Ehrfurcht vor Toten entspringt jedoch der Achtung vor den Lebenden und dem Leben. Dies vergisst, wer mit toten Körperteilen kokettiert und den Skandal genießt.
Ralf Peter Reimann ist Pfarrer der rheinischen Landeskirche und evangelisch.de-Mitarbeiter.