Hamburgs neuer Kultursenator Reinhard Stuth (CDU) verteidigte unlängst die Mittelkürzungen für die Bibliotheken der Stadt mit einem neuen Argument: Das Sparen sei nicht so schlimm, weil sich die Lesegewohnheiten im Zeitalter des Internets grundlegend gewandelt hätten. Heutzutage lese man im Internet oder auf iPads, Apples neuen tragbaren Computern. Ob das auch für die Arbeiterstadtteile wie Wilhelmsburg gilt?
Der Deutsche Bibliotheksverband macht gegen die schleichende Aushöhlung der Bibliotheken in ganz Deutschland mobil. Zwei Drittel aller kommunalen Büchereien seien von Einsparungen betroffen, sagte die Verbandsvorsitzende Monika Ziller am Donnerstag in der Klassikerstadt Weimar. Allein 20 Prozent der hauptamtlich geführten Einrichtungen müssten seit dem Frühjahr mit Haushaltssperren arbeiten. In Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern seien es sogar 40 Prozent aller Einrichtungen.
Die 10.855 Bibliotheken in Deutschland würden "als Sparschwein für öffentliche Haushalte genutzt", beklagte Ziller. Dabei seien Bibliotheken mit jährlich 200 Millionen Besuchen das wichtigste Bildungs- und Kulturmedium überhaupt - trotz aller Unkenrufe, dass das Internet der Tod der Bibliotheken sei. Seit dem Jahr 2000 stiegen die Entleihungen um 22 Prozent, doch gleichzeitig seien die Öffnungszeiten reduziert worden.
Massenhafte Budgetkürzungen
Erstmals legte der Verband den "Bericht zur Lage der Bibliotheken in Deutschland" vor. Sechs Jahre nach dem verheerenden Feuer in Weimar mit verbrannten Büchern und Kunstwerken drohten Deutschland durch die Sparpolitik Verluste anderer Art, klagt das Bündnis. 43 Prozent der hauptamtlich betriebenen Einrichtungen seien Budgets gekürzt worden oder es stehe eine Kürzung an. 28 Prozent seien zur Gebührenerhöhung "verdonnert" worden, sagte Vorsitzende Ziller. Sie ist Leiterin der Stadtbibliothek in Heilbronn.
Weitere Ergebnisse des Bibliotheken-Berichts: Acht Prozent müssen Öffnungszeiten, knapp ein Viertel die Veranstaltungen reduzieren. 20 Bibliotheken melden die Schließung von Abteilungen oder Nebenstellen. Bei ehrenamtlich betreuten Einrichtungen sehe es noch düsterer aus.
Es drohe eine flächendeckende Unterversorgung, warnten die Bibliothekare. Selbst in Baden-Württemberg, das man noch als "Musterländle" bezeichnen könne, gebe es bereits große Gebiete ohne Bibliotheken. Dies sei vor allem für Kinder und Jugendliche oder Menschen mit Migrationshintergrund verheerend, für die Medienangebote zur Sprachförderung und Integration wichtig sind. Bereits jetzt habe nur jede dritte Gemeinde zwischen 5000 bis 10.000 Einwohnern überhaupt eine eigene Bibliothek.
Woanders sieben Mal so viel Geld
Zur Schieflage trage auch bei, dass nur jede dritte Bibliothek regelmäßig ihren Medienbestand erneuern könne. Deutschland gebe pro Kopf und Jahr im Schnitt 8,21 Euro für öffentliche Bibliotheken aus, in Finnland sind es 54,55 Euro, in den USA umgerechnet etwa 27 Euro.
Bei den rund 400 wissenschaftlichen Bibliotheken in Hochschulen sieht es auf den ersten Blick besser aus: Die Zahl der Entleihungen stieg um 47 Prozent auf 92 Millionen, die Öffnungszeiten verlängerten sich, die Zahl der Nutzer stieg. Von 11,7 auf 82,5 Millionen Euro kletterten die Ausgaben für elektronische Medien. "Bei stagnierenden Gesamtausgaben geht das jedoch extrem zulasten gedruckter Bücher und Zeitschriften", sagte Vorstandsmitglied Frank Simon-Ritz.
Als eine nationale Aufgabe bezeichnete er die Digitalisierung der Bestände. "Deutschland hinkt da international hinterher." Es mangele an Koordination, Absprachen und Zuständigkeiten. Es gebe viel "Wildwuchs".