Christen warten in der Türkei auf verbriefte Rechte
In Europa gibt es inzwischen mehr als 3.000 Moscheen, wie der oberste türkische Religionswächter Ali Bardakoglu im Sommer festgestellt hat. Bundespräsident Christian Wulff hat in der Türkei gefordert, nun sollten die islamisch geprägten Staaten auch den Christen mehr Rechte geben. Doch das Konzept der Gegenseitigkeit kommt bisher kaum voran.
21.10.2010
Von Carsten Hoffmann

Das zeigt auch das Beispiel der Kirche St. Paul, die Wulff am Donnerstag in der südtürkischen Kleinstadt Tarsus besuchte. Das aus dem 12. Jahrhundert stammende Gotteshaus am Geburtsort des Apostels Paulus war 1943 vom türkischen Staat konfisziert und über mehrere Jahrzehnte von der Armee als Lagerhaus genutzt worden. Dann erklärte der Staat das Gebäude zum Museum.

Im sogenannten Paulus-Jahr 2008 und 2009 erleichterten die türkischen Behörden Gottesdienste, drehten die Uhr danach aber wieder zurück. Der Kölner Kardinal Joachim Meisner warf der Türkei eine "unwürdige Behandlung" der Christen vor. Inzwischen gibt es etwa 150 Gottesdienste im Jahr in dem Kirchenmuseum - allerdings nur auf Antrag. Die katholische Kirche aber fordert ein ökumenisches Pilgerzentrum, in dem das Gotteshaus in der Hand der Kirche Herzstück sein soll.

Türken warten immer noch auf ihre Rechte

Nun unterscheiden sich die Bedingungen in der Türkei deutlich von Mitteleuropa. In Staaten wie Deutschland sind Muslime Zuwanderer, die es allerdings in großer Zahl gibt. Die Landstriche in der heutigen Türkei dagegen waren zwar Keimzelle und einst das Kernland des Christentums, aus dem bedeutendste Kirchenväter stammen. Noch Ende des 19. Jahrhunderts lebten mehr als zwei Millionen Christen in Anatolien. Nach Vertreibung und Massakern im vergangenen Jahrhundert sind die Christen aber inzwischen eine kleine Minderheit, die nur etwa ein Prozent der türkischen Bevölkerung stellt. So gibt es in Tarsus keine einheimische christliche Gemeinde mehr.

Allerdings warten die Christen auch da, wo es sie in der Türkei noch gibt, auf ihre Rechte. Ein Beispiel dafür ist das vor mehr als 30 Jahren von der Türkei geschlossene orthodoxe Priesterseminar auf der Heybeli-Insel vor Istanbul, das trotz langer Verhandlungen noch immer geschlossen ist. Die theologische Hochschule ist für den Nachwuchs und den Fortbestand der griechisch-orthodoxen Kirche lebenswichtig.

Die griechischstämmige Minderheit ist in den letzten 50 Jahren von etwa 120 000 auf nun rund 3000 Personen geschrumpft. Das griechisch-orthodoxe Patriarchat hat Nachwuchssorgen, denn der Patriarch muss türkischer Staatsbürger sein. So verlangt es Ankara.

Bisher nur Einzelfall-Entscheidungen der Regierung Erdogan

Appelle zur Öffnung hat die türkische Regierung bisher nicht erhört, auch wenn immer mal wieder Hoffnungsschimmer aufblitzen. Zuletzt berichteten türkische Medien, die Hochschule könne geöffnet werden, wenn Athen den Bau einer schönen Moschee zulasse.

Die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat schon einige Zugeständnisse gemacht, nutzt dabei aber die Möglichkeit von Entscheidungen im Einzelfall. Dies ist auch ein Grund, warum Christen in der Türkei nicht mehr bei jeder Ankündigung in dankbare Begeisterung verfallen, mit der politische Besucher schon reagiert haben. Sie fordern vom Staat verbriefte Rechte, die Zugang zu Grundbesitz und eigenen Ausbildungsstätten ermöglichen, ohne dass dies von der politischen Großwetterlage abhängt. Zudem wollen sie besseren Schutz vor Übergriffen türkischer Nationalisten, die in den vergangenen Jahren bereits mehrere Priester und Gläubige ermordet haben.

In drastischen Worten hat Bartholomäus I., der orthodoxe Patriarch von Konstantinopel, im vergangenen Dezember die Lage kritisiert. "Wir werden als Bürger zweiter Klasse behandelt", beklagte er. Er selbst fühle sich in der Türkei manchmal "gekreuzigt".

dpa