Erneut Millionenprotest in Frankreich gegen Rentenreform
In Frankreich gehen die Proteste unvermindert weiter. Mehr als 3,5 Millionen Menschen demonstrierten nach Gewerkschaftsangaben erneut gegen die umstrittene Rentenreform. An diesem Donnerstag soll im Senat über die Reform abgestimmt werden.

Streiks, Blockaden und Krawalle: Frankreich droht im Chaos zu versinken. Aus Protest gegen die umstrittene Rentenreform gingen am Dienstag nach Gewerkschaftsangaben erneut 3,5 Millionen Menschen auf die Straße. Im Luftverkehr, auf Schienen und Straßen gab es massive Behinderungen. Auch in Schulen, Universitäten und Betrieben kam es zu Beeinträchtigungen. In Lyon, Paris und anderen Orten gab es erneut schwere Zusammenstöße zwischen randalierenden Jugendlichen und der Polizei. Wieder gingen Autos in Flammen auf. In Paris wurde eine 15-Jährige bei der Explosion eines in Brand gesetzten Motorrollers verletzt. Frühestens an diesem Donnerstag soll im Senat über die Reform abgestimmt werden, die eine schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters von 60 auf 62 Jahre vorsieht.

Treibstoff-Engpass, meterhoher Müll und brennende Schule

Die Regierung hatte erklärt, die Protestwelle werde zwar zunehmend radikaler, schwäche sich aber ab. Sie gab die Zahl der Demonstranten mit 1,1 Millionen an. Die Schätzungen beider Seiten liegen erfahrungsgemäß weit auseinander. Seit Beginn der Protestwelle vor einer Woche wurden nach Regierungsangaben mehr als 1.100 Randalierer festgenommen. Im Pariser Vorort Massy verwüsteten etwa 200 Jugendliche eine Tankstelle. In einem Nachbarort setzten sie einen Bus in Brand und beschädigten vier weitere.

In einem Drittel des Landes gebe es Treibstoff-Engpässe, sagte Ministerpräsident François Fillon. Es werde auch nach dem Ende der Proteste mindestens vier bis fünf Tage dauern, bis der Normalzustand wieder hergestellt sei. Ein von der Regierung eingesetzter Krisenstab tagte am Dienstag, ganz oben auf der Tagesordnung stand das Problem Treibstoff-Engpass. Der Arbeitgeberverband warnte, bei anhaltenden Protesten drohten Konsequenzen für die Produktivität des Landes.

In Toulouse und Marseille türmt sich der Müll meterhoch in den Straßen, weil auch die Müllfahrer streiken. Derweil sorgen sich Autofahrer - darunter viele Frankreich-Urlauber - um Treibstoffnachschub. Nach Schätzungen haben rund 4.000 der landesweit 12.500 Tankstellen kein Benzin mehr.

In der Stadt Le Mans brannte eine Schule ab, die zuvor blockiert worden war. Der Bürgermeister vermutete einen kriminellen Hintergrund. Unklar blieb, ob das Feuer im Zusammenhang mit den Protesten stand. Die Regierung drohte, gegen Randalierer werde hart vorgegangen.

Streiks im Schienen- und Flugverkehr

Insbesondere im Schienen- und Flugverkehr gab es erneut Ausfälle und Verspätungen. Landesweit sollte rund ein Drittel aller Flüge gestrichen werden, auf dem Pariser Großflughafen Orly sogar 50 Prozent. Dort soll streikbedingt auch am Mittwochmorgen ein Viertel der Flüge ausfallen, teilte die Luftfahrtbehörde mit. Der Flughafen von Bordeaux war vorübergehend blockiert.

Für die nächsten Tage sind weitere Beeinträchtigungen in Sicht: Die Gewerkschaft CGT plant für diesen Mittwoch einen landesweiten Streik des Flughafenpersonals. Die Behörden riefen die Airlines zur Straffung ihres Flugangebots auf. Der Protest richtet sich gegen die geplante Anhebung des Renteneintrittsalters. Hinzu kommt eine allgemeine Unzufriedenheit mit der Regierung von Präsident Nicolas Sarkozy.

Merkel: "Der Wahrheit ins Auge sehen"

Dieser erhielt Unterstützung von Bundeskanzlerin Angela Merkel. "Ich glaube, die Bevölkerung in Deutschland, genauso wie in Frankreich, wird nicht darum herumkommen, der Wahrheit ins Auge zu sehen. Und die Wahrheit heißt: Die Menschen leben länger", sagte die Kanzlerin dem französischen Sender France 2. "Und wenn wir eine vernünftige Rente garantieren wollen, dann muss die Tatsache, dass wir länger leben, auch dazu führen, dass die Lebensarbeitszeit länger wird."

Merkel verwies dabei auf Proteste gegen die Erhöhung des gesetzlichen Rentenalters in Deutschland von 65 auf 67 Jahre. Auch dabei habe es viel Widerstand gegeben, und viele Menschen verstünden es bis heute nicht. "Trotzdem muss jeder die Weichen für die Zukunft stellen", sagte die Kanzlerin. "Wir in Deutschland führen das auch stufenweise ein, genauso wie in Frankreich", sagte sie. "Aber es wäre ganz schlecht für die junge Generation, wenn wir jetzt einfach die Augen verschließen würden vor der Realität - und eines Tages unsere Kinder und Enkel mit den ganzen Problemen dasitzen."

dpa