"Tatort Internet": Imagepflege ohne Rücksicht?
RTL macht sich im "Tatort Internet" auf die Jagd nach Pädophilen. Unterstützt wird der Sender dabei von Stephanie zu Guttenberg. Nun ist ein Mann verschwunden, der sich an eine vermeintlich 13-Jährige heran gemacht hat. Ist RTL II zu weit gegangen?
19.10.2010
Von Henrik Schmitz

Auf den ersten Blick stellt "Tatort Internet" eine Win-Win-Win-Situation dar. RTL II gewinnt, weil der Sender, der bislang vor allem durch fragwürdige Formate wie "Grenzenlos geil! - Deutschlands Sexsüchtige packen aus", "Big Brother" oder "Frauentausch" auf sich aufmerksam machte, sein Image aufpoliert. Man kämpft für die gute Sache und wird dabei von Stephanie zu Guttenberg im wahrsten Sinne des Wortes geadelt, deren positives Image auf den Sender abfärbt.

Umgekehrt profitiert auch zu Guttenberg, weil sie sich mit ihrem Kampf gegen Kindesmissbrauch vor einem breiten Publikum profilieren kann. Einem Publikum übrigens, dass womöglich weder durch "Bunte", "Bild" oder ARD und ZDF erreichbar wäre – vor allem nicht für Politiker oder deren Ehepartner. Selbst wenn Stephanie zu Guttenberg beispielsweise in den Medien oder auch in Kreisen von Juristen eher in der Kritik steht: Die breite Masse der RTL II-Zuschauer steht an ihrer Seite. Theodor zu Guttenberg kann das nur Recht sein. Denn auch diese Menschen gehen – zumindest teilweise – wählen.

Gesellschaftlicher Gewinn

Darüber hinaus gibt es aber auch einen gesellschaftlichen Gewinn. Wie zuletzt durch Thilo Sarrazin wird durch "Tatort Internet" eine Debatte angestoßen oder weitergeführt, die relevant ist. Dass (vor allem) Männer sich im Internet an Minderjährige heran machen ist hinlänglich bekannt. RTL II ist nicht investigativ, der Sender enthüllt nichts. Aber welche Konsequenzen man daraus zieht, wie man mit dem Phänomen Kindesmissbrauch und Internet umgeht, darüber ist noch zu reden. Obwohl das Thema Kindesmissbrauch nach den Vorgängen in den Kirchen und auch durch die von Ursula von der Leyen angestoßenen "Stopp"-Schilder gegen Kinderpornografie im Netz durchaus auf der Agenda steht. Der "Skandal" oder "Eklat" hat immer den Vorteil, dass er eine Aufmerksamkeit generiert, die produktiv sein kann. Zumindest dann, wenn die Politik nicht in Aktionismus verfällt.

Und doch ist die Sendung auch problematisch. Wer die "Generation Porno" samt Lady Gaga bekämpft, macht sich nicht glaubwürdiger, wenn er ausgerechnet mit denen zusammenarbeitet, die ihr Geld auch damit machen, die Sehnsüchte nach nackter Haut und Sexskandalen zu bedienen. Nicht nur der RTL II-Zuschauer wird sich die Frage stellen, ob es zu Guttenberg wirklich um Kinder geht, oder um Imagepflege. Setzt sich letztere Deutung durch, steht zu Guttenberg irgendwann nicht mehr als aufrecht und sympathisch sondern berechnend und kalt da.

Problem Pranger

Kritikwürdig ist auch das Format an sich. RTL II hat die mutmaßlichen Täter in "Tatort Internet" nicht ausreichend anonymisiert. Mindest zwei wurden im Internet "enttarnt". Der Pranger aber stammt aus dem Mittelalter und hat in einem Rechtsstaat nichts verloren. Es mag manchmal unerträglich sein, aber auch Täter haben Rechte. Das ist gut so und muss so bleiben. Politiker wie zu Guttenbergs Ehemann haben auch die Aufgabe, das Volk gelegentlich vor sich selbst zu schützen. Zwangskastration, Todesstrafe: All dies ließe sich im Namen des Volkes durchsetzen. Mit einem Rechtsstaat hätte Deutschland dann nur noch sehr wenig zutun. Das kann auch zu Guttenberg nicht wollen.

Die Kritik an ihr hat allerdings nicht nur etwas damit zu tun, dass es Menschen gibt, die es tatsächlich etwas besser wissen und andere Anforderungen an den Rechtsstaat stellen als der berühmte "Stammtisch", selbst wenn es um Kindesmissbrauch geht. Es hat auch etwas mit Neid zutun. Neid darauf, dass es zu Guttenberg gelungen ist, in der Öffentlichkeit mit einem Thema nahezu gleichgesetzt zu werden, das so konsensfähig ist wie kaum ein anderes. Gegen Kindesmissbrauch ist jeder. Die Kritik an der Sendung kann - so fundiert sie sein mag - auch als Versuch gewertet werden, zu Guttenberg und damit immer auch ihren Mann, politisch zu bekämpfen.

Popstars der Politik

Wenn die Guttenbergs die neuen Popstars der Politik sind und im Volk geliebt werden, dann geht es in letzter Konsequenz eben nicht mehr nur um das Thema Kindesmissbrauch, sondern auch um Mindestlöhne, Krankenkassenbeiträge und den Einsatz in Afghanistan. Vermeintliche Fehler zu Guttenbergs selbst im Kampf für die gute Sache werden von ihren Gegnern daher immer skandalisiert werden. Die Interessen, die dahinter stehen, haben nicht unbedingt etwas mit dem Persönlichkeitsrecht von Tätern zutun.

Noch eines sollte zu Guttenberg allerdings aus der causa "Tatort Internet" mitnehmen. Es reicht nicht, sein Gesicht für eine gute Sache herzugeben. Man muss dahinter stehen und sich auch intensiv mit den inhaltlichen Fragen befassen. Lächeln und Sonntagsreden reichen nicht, sie verhöhnen übrigens auch die Arbeit derer, die sich ebenfalls im Kampf gegen Kindesmissbrauch engagieren. Dass RTL II im Mai den Leiter eines Kinderdorfes dabei ertappt, wie er sich an eine vermeintlich 13-Jährige ranmacht und dieser dann bis zur Ausstrahlung der Sendung im Oktober weiter mit Kindern arbeiten kann, ist nicht verzeihlich.

Fehler von RTL II

Es ist auch ein Hinweis darauf, dass RTL II Quote und eigenes Image vielleicht doch die größeren Anliegen sind als der Schutz von Kindern. Der ehemalige Leiter des Kinderdorfes ist verschwunden, es gibt die Befürchtung, er könnte sich etwas angetan haben. Auch das ist nicht verzeihlich. Es darf nicht das Ziel einer Fernsehsendung sein, dass Menschen sich selbst richten. Hätte RTL II von Anfang an mit Ermittlern zusammengearbeitet, hätte es vielleicht die Chance gegeben, dass Pädophile sich vor Gericht hätten verantworten müssen. RTL II hat darauf verzichtet. Es hat Situationen geschaffen, die potenzielle Täter zu Straftaten verlocken sollten. Das nennt man auch Anstiftung. Wenn RTL II nicht ohnehin so schamlos wäre, könnte man sagen: Der Sender hat seine Unschuld verloren. Stephanie zu Guttenberg macht derweil Urlaub und schweigt.


Henrik Schmitz ist Redakteur bei evangelisch.de und betreut die Ressorts Medien und Kultur