Türkei: Wulff startet schwierigste Auslandstour
In Deutschland tobt weiter die Islam-Debatte, die nicht zuletzt der Bundespräsident befeuert hat. Sein Staatsbesuch in der Türkei gilt deshalb als brisant. Wulff will für mehr Religionsfreiheit werben.
18.10.2010
Von Frank Rafalski und Carsten Hoffmann

Mit viel Vorschusslorbeeren reist Bundespräsident Christian Wulff an diesem Montag in die Türkei. Sein dritter Staatsbesuch in der gerade mal gut dreimonatigen Amtszeit ist nach Reisen in die Schweiz und nach Russland zugleich der bisher heikelste.

Wulff hat mit seiner Rede am Tag der deutschen Einheit die Debatte über die Rolle des Islam in Deutschland befeuert. Sie ist noch lange nicht abgeebbt, wie sich auch am Wochenende in der Union wieder zeigte. Wird das Staatsoberhaupt weiter Öl ins Feuer gießen? Oder doch eher den heftigen Meinungsstreit aus der Ferne dämpfen?

Spannung vor Wulffs Rede vor dem türkischen Parlament

Mit Spannung wird am Dienstag Wulffs Rede vor dem türkischen Parlament erwartet - es ist das erste Mal überhaupt, dass ein deutsches Staatsoberhaupt vor den türkischen Abgeordneten spricht. Für seine offizielle Anerkennung des Islam als Teil der deutschen Lebenswirklichkeit hat Wulff bereits höchstes Lob von der türkischen Staats- und Regierungsführung geerntet. "Mir hat seine Rede zu 20 Jahren deutsche Einheit sehr gefallen", ließ Staatschef Abdullah Gül seinen Gast vor der Ankunft in Ankara wissen.

Vor zehn Jahren war zuletzt mit Johannes Rau ein Bundespräsident in der Türkei gewesen. Inzwischen verhandelt Ankara über eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Der Haltung der Regierung in Berlin kommt dabei eine Schlüsselstellung zu. Doch auch aus anderen Gründen stehen die deutsch-türkischen Beziehungen unter genauer Beobachtung.

In Deutschland leben drei Millionen Bürger türkischer Herkunft. Sie sind die größte Minderheit im Land. Nicht wenige gelten als integrationsunwillig. Hinzu kommen engste wirtschaftliche und politische Verbindungen Deutschlands mit dem NATO-Partnerland, das eine besondere Rolle in den benachbarten Krisenregionen Irak und Nahost spielt. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat erst im März die Türkei besucht. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan war vor wenigen Tagen wieder in Berlin.

Kritik: Diskriminierung religiöser Minderheiten

Das Programm von Wulffs Staatsbesuch, der noch von seinem Vorgänger Horst Köhler geplant war, wird die gesamte Bandbreite der bilateralen Beziehungen umfassen. Dazu gehört die Grundsteinlegung der ersten Deutsch-Türkischen Universität in Istanbul und das Gespräch mit den Religionsvertretern des Landes.

Die Türkei wird immer wieder wegen Diskriminierung ihrer eigenen religiösen Minderheiten, auch der kleinen christlichen Gemeinde, kritisiert. Besuche bei den Vertretern der Christen in der Türkei gehören deswegen inzwischen zum Pflichtprogramm deutscher Politiker.

Wulff wird mit dem Vorsitzenden der Religionsbehörde (Diyanet), Ali Bardakoglu, sprechen. Als oberster Religionswächter ist dieser formal zwar nur für die staatliche Steuerung des sunnitischen Islam zuständig. Doch hat seine Stimme in allen religiösen Streitfragen Gewicht.

Die Christen beklagen, dass die Türkei ihren Gemeinden keinen juristisch festen Status zuerkennt. Und dabei geht es um mehr als nur um Formalien. Das Recht am eigenen Grundbesitz oder die für das Fortbestehen religiöser Minderheiten unbedingt notwendigen Schulen und Hochschulen hängen immer wieder von der politischen Großwetterlage im Land ab.

"Wenn ihr die Türkei nicht wollt, sagt es offen"

Die Rechte der Minderheiten spielen auch in den Verhandlungen über einen EU-Beitritt des Landes eine Rolle. Türkische Politiker äußern sich immer frustrierter, weil insgesamt kaum noch etwas vorankommt. "Leider wurde der Verhandlungsprozess mit Intrigen, die so noch kein anderer Beitrittskandidat erleben musste, unterbrochen", beklagte jüngst Europaminister und Chefunterhändler Egemen Bagis. "Wenn ihr die Türkei nicht wollt, sagt es offen und haltet uns nicht hin", legte Regierungschef Erdogan nach.

Wird der Ex-CDU-Vize Wulff in der Türkei für eine "privilegierte Partnerschaft" anstelle einer EU-Vollmitgliedschaft plädieren, wie das offiziell auch Parteilinie von CDU-Chefin Merkel ist? Wenn es nach den Bundesbürgern geht, sollte der Bundespräsident der Türkei keinerlei Hoffnung auf einen baldigen EU-Beitritt machen. In einer Umfrage für die "Bild"-Zeitung (Montag) sprachen sich 72,5 Prozent der Teilnehmer dagegen aus.

Einen kleinen medialen Vorgeschmack auf die Vorurteile, die im Zusammenhang mit der Türkei immer noch grassieren, bekommt Wulff an diesem Montag: Im Türken-Look mit schwarzem Schnauzbart ziert er das Titelblatt des Magazins "Focus".

dpa