Potenziale aktivieren: Regierung will ausländische Fachkräfte
In der Debatte über Migration und Fachkräftebedarf will die Regierung mit Gesetzentwürfen und Initiativen konstruktive Lösungsansätze aufzeigen. "Integrationsverweigerer" sollen härter angefasst werden.

Die Regierung plant, Berufsabschlüsse von bereits in Deutschland lebenden Zuwanderern schneller anzuerkennen. Sie sollen bald einen Rechtsanspruch darauf haben, dass das Verfahren nicht länger als drei Monate dauert, wenn alle nötigen Nachweise vorliegen. Dies sieht ein Gesetzentwurf des Bundesbildungsministeriums vor, der der "Süddeutschen Zeitung" und der "Financial Times Deutschland" (Montag) vorliegt.

Das Gesetz solle helfen, dem Fachkräftemangel zu begegnen und Einwanderer besser zu integrieren. Das Ministerium schätzt, dass etwa 300.000 Menschen, die in Deutschland leben, von dem Gesetz profitieren werden - außerdem Zuwanderer, die neu ins Land kommen. Aktuell fehlen nach Angaben des Bundes 36.000 Ingenieure und 66.000 Computerspezialisten.

Der Entwurf werde derzeit mit anderen Bundesministerien abgestimmt, schreibt die "Süddeutsche Zeitung". Momentan müssen Einwanderer oder Deutsche, die im Ausland Abschlüsse erworben haben, oft jahrelang auf einen Bescheid warten, was ihre Zeugnisse hierzulande wert sind. Außerdem sind für die Anerkennung viele verschiedene Behörden und Kammern zuständig. Das Gesetz könnte bereits im kommenden Jahr in Kraft treten.

Ausländische Fachkräfte gewinnen

"Wir wollen das Potenzial, das in unserem Land schlummert, aktivieren", sagte Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) der "Financial Times Deutschland" (Montag). Sie verspreche sich vor allem Fachkräfte in Natur- und Ingenieurswissenschaften, Pflegeberufen und der Medizin. Das Gesetz sei auch ein Beitrag zur Integration. Schavan: "Wir erwarten zu Recht von Zuwanderern, dass sie unsere Werte respektieren. Aber umgekehrt können Zuwanderer von uns erwarten, dass wir ihre Qualifikationen und ihre Bereitschaft zur Integration anerkennen."

Auch Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) hat sich dem Thema angenommen: er stellte am Montag in Berlin eine Studie zu einem Informationsportal vor, in dem ausländische Bewerber ihre Abschlüsse bewerten lassen können. Das Internetportal werde voraussichtlich Ende des Jahres starten. Der Wirtschaftsminister will bei der Bekämpfung des Fachkräftemangels zweigleisig fahren: "Wir müssen inländische Potenziale besser ausschöpfen und durch intelligente Integrationspolitik ausländische Fachkräfte gewinnen." In der Debatte über den Zuzug qualifizierter Ausländer plädiert Brüderle für die Einführung eines Punktesystem nach kanadischem Vorbild.

Außerdem wolle Brüderle sich dafür einsetzen, dass die Einkommensgrenze von derzeit 66.000 Euro reduziert werde, um mehr hoch qualifizierte Ausländer mit einem dauerhaften Bleiberecht ins Land holen zu können: "Wir sind der Meinung, dass man das auf 40.000 Euro absenken sollte." Das möchte auch FDP-Generalsekretär Christian Lindner, der darauf hinwies, dass dies das marktübliche Einstiegsgehalt für Naturwissenschaftler und Ingenieure sei.

Seehofer will "Lufthoheit über Sarrazins Stammtisch"

Mit Blick auf die provokanten Äußerungen von CSU-Chef Horst Seehofer erklärte Brüderle, Zuwanderung dürfe sich nicht nach Herkunft und Religion richten: "Wir entscheiden nach Qualität." Im ZDF-"Morgenmagazin" hatte Brüderle zuvor gesagt: "Das ist meines Erachtens Stimmungsmache." Seehofer hatte in einem Interview gesagt, Zuwanderer aus anderen Kulturkreisen wie aus der Türkei und arabischen Ländern täten sich schwerer bei der Integration. Daraus ziehe er den Schluss, "dass wir keine zusätzliche Zuwanderung aus anderen Kulturkreisen brauchen".

Auch FDP-Generalsekretär Christian Lindner wies die Haltung von CSU-Chef Horst Seehofer zur Zuwanderung zurück. "Für mich war das kein fachlicher Beitrag von Horst Seehofer. Es war der Versuch, die Lufthoheit über den Stammtischen von Thilo Sarrazin zurück zu gewinnen", sagte er dem "Handelsblatt" (Montag). "Pauschalurteile und kulturelle Abschottung sind falsch." Entscheidend für Zuwanderung seien "nicht das religiöse Glaubensbekenntnis oder die private Lebensführung, sondern die Akzeptanz unserer Rechtsordnung und die Bereitschaft zur Integration in Wirtschaft und Gesellschaft. Wer also nach unseren Regeln spielt und mithilft, unser Land nach vorne zu bringen, sollte uns willkommen sein."

Integrationskurse überwachen, Zwangsehen bestrafen

Die Koalition will nach einem Bericht der "Neuen Osnabrücker Zeitung" noch in diesem Monat ein Gesetzespaket auf den Weg bringen, mit dem ein härteres Durchgreifen gegen Integrations-Verweigerer ermöglicht wird. Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Hans-Peter Uhl (CSU), sagte dem Blatt: "Wir werden die Träger von Integrationskursen gesetzlich verpflichten, den Sozial- und Ausländerbehörden sofort zu melden, wenn Migranten trotz Teilnahmepflicht Kursen fernbleiben." Auch sei ein lückenloser Daten-Austausch zwischen Arbeitsagenturen und Ausländerbehörden geplant.

Der Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, Wolfgang Bosbach (CDU), sagte der Zeitung, das strengere Durchgreifen gegen Integrationsverweigerung sei Teil eines Gesetzespakets, das noch im Oktober auf den Weg gebracht werden solle. Die Koalitionspläne zielen nach den Worten Bosbachs zudem darauf ab, Zwangsehen unter Strafe zu stellen und Scheinehen einen Riegel vorzuschieben. "Der hohe Unrechtsgehalt einer Zwangsverheiratung wird künftig durch einen eigenständigen Straftatbestand besonders betont."

Den Bedenken in der Union gegen weitere Einwanderung hielt Lindner entgegen, "dass wir gegenwärtig keine starke Zuwanderung haben" - und es bei qualifizierten Zuwanderern keine Integrationsprobleme gebe. Es gehe den Liberalen "nicht um Migranten, die Sozialleistungen verzehren, sondern um neue Mitbürger, die Steuern zahlen".

dpa