Die Ent-Sarrazinisierung der Islamdebatte
Am Donnerstagabend ging es bei Maybrit Illner mal wieder um Islam und Integration. Es wurde eine wohltuend sachliche Debatte zu einem schwierigen Thema. Ruhender Pol der ZDF-Talkshow war der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber.
14.10.2010
Von Bernd Buchner

Dienstag Maischberger, Mittwoch Plasberg, Donnerstag Illner: Die öffentlich-rechtliche Talkshowralley kaprizierte sich in dieser Woche, wie kaum anders zu erwarten war, geschlossen auf das derzeitige Megathema in Deutschland: auf den Islam und die Frage, ob sich muslimische Gläubige nun leichter oder schwerer integrieren lassen als andere. Das ist ein emotionales Thema, deshalb wundert es wenig, dass einschlägige TV-Talkshows gerne etwas heißlaufen.

Da werfen sich die Diskutanten dann vor laufender Kamera gegenseitig wahlweise Ignoranz, Dummheit oder Unverständnis vor; beliebt sind neuerdings Totschlagfragen wie "Haben Sie denn das Buch von Sarrazin gelesen?" oder "Waren Sie überhaupt schon einmal in Neukölln? Gemessen daran verlief Maybrit Illners ZDF-Sendung auf einem ansprechenden Niveau. Die fünf teilnehmenden Herren samt Gastgeberin brachten es fertig, den Reiznamen Thilo Sarrazin, der ihnen das Thema letztlich eingebrockt hatte, kaum in den Mund zu nehmen.

"Gehört der Islam zu Deutschland?"

"Gehört der Islam wirklich zu Deutschland?" lautete der Titel der Sendung, naturgemäß eine provokante Frage in Anlehnung an die nicht ganz glücklich gewählte Formulierung des Bundespräsidenten am Einheitstag. Als Einheitsbeauftragter der einstündigen ZDF-Runde empfahl sich sogleich Grünenchef Cem Özdemir mit dem Statement: "Manche Debatten wiederholen sich, und es tut sich in der Sache nichts. Damit hat auch manche Enttäuschung über Politik zu tun."

Aber so ganz friedlich wollte es Özdemir dann auch wieder nicht und fuhr prompt eine Breitseite gegen Bayerns Landesvater Horst Seehofer, der sich jüngst als Zuwanderungsexperte verdient gemacht hatte. Das wiederum konnte Seehofers Spezl Markus Söder (CSU) nicht auf sich sitzen lassen und hub zur Verteidigungsrede für seinen Parteichef an, sagte dann aber etwas über die Zuwanderung von Fachkräften aus Osteuropa im nächsten Jahr. Alles ganz brav und sachlich.

Über die positiven Beispiele reden

Staatstragend gab sich anfangs auch Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime, den offenkundig ein ungutes Gefühl über die Debatte der vergangenen Wochen beschlichen hat: "Wir müssen aufpassen, dass wir unser Land nicht kaputtmachen." Allenfalls zehn bis 15 Prozent der Migranten, so der Islam-Funktionär später, seien nicht integrationswillig. "Lasst uns doch über die positiven Beispiele reden!" Für den leicht aufbrausenden Mazyek ist das Votum der Muslime zum Rechtsstaat kein Lippenbekenntnis, sondern Überzeugung.

Aber wie religiös sind die Muslime, wenn es schon die Christen nicht mehr sind? Der Religionskritiker Michael Schmidt-Salomon behauptete keck, weniger als die Hälfte der Deutschen seien religiös – und Wulff habe vergessen, in seiner Rede auch die vielen "konfessionsfreien" Menschen zu erwähnen. "Sie tauchen nirgends auf." Das wiederum rief endlich Wolfgang Huber auf den Plan, den ehemaligen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und ruhenden Pol des Illnerschen Fernsehabends.

Huber verteidigt Bundespräsidenten

Huber verteidigte zunächst den Bundespräsidenten, der eine Klischeebildung vermieden habe, die komplexe Identität von Menschen auf die Religionszugehörigkeit zu reduzieren. Das schüre den Konflikt, sei falsch. "Wir sollten heute eine Verabredung treffen, dass wir aufhören, alle über einen Kamm zu scheren." Der Kern, so der Berliner Altbischof, sei die demografische Frage. "Stattdessen führen wir eine Zuwanderungsdebatte mit pauschalen Urteilen über ganze Bevölkerungsgruppen."

Dem hielt der stramme Söder entgegen, wer hierher komme, müsse sich den Sitten und Gebräuchen des Landes anpassen und nicht umgekehrt. Worauf sich ein kleines Scharmützel zwischen Söder und Özdemir entspann, ebenso wie später zwischen Huber ("Verharmlosung ist genauso schlecht wie Pauschalurteile") und Mazyek, als es um den Zusammenhang von Migrationshintergrund und Gewalt geht. Mazyek sagt stur, türkische oder arabische Gewalttäter seien für ihn nichts als "pseudomuslimische Gangster".

Nicht alles hat mit der Religion zu tun

So ging das in einem großen Bogen weiter, vom fragwürdigen Burkaverbot bis zur Rolle des Religionsunterrichts. Einig waren sich die Herren, dass sich nicht jedes Problem, das durch Muslime in Deutschland entsteht, automatisch mit der Religion zu tun hat. Illner tat gut daran, Themen wie die jetzt viel diskutierte "Deutschenfeindlichkeit" mit in das Kurzgespräch mit dem Berliner Streetworker Fadi Saad zu nehmen – der fragte sich, was bei Beleidigungen der Unterschied zwischen "Kameltreiber" und "Kartoffel" sein soll.

Ob der Islam nun zu Deutschland gehört oder nicht, konnte auch im ZDF nicht geklärt werden. Dafür kam eine über weite Strecken brauchbare Debatte zustande, sieht man einmal von Schmidt-Salomon ab, der den Kirchen vorwarf, "unmündigen Säuglingen Wasser über den Kopf zu schütten". Wohltuend selten fielen Talkshow-Standardsätze wie "Darf ich das zu Ende führen" oder "Lassen Sie mich doch ausreden". Nur ein einziges Mal sagte jemand: "Jetzt sind Sie mal kurz still!" Das Lob des Abends gebührte Frau Illner – aus dem Munde von Grünenchef Özdemir: "Danke sehr, Frau Moderatorin."


Bernd Buchner ist Redakteur bei evangelisch.de und zuständig für die Ressorts Politik und Religion.