Rettung der Kumpel: Letzte Vorbereitungen und Gebete
Die Spannung steigt. Endlich soll die letzte Phase der Rettung im chilenischen Bergwerk von San José beginnen. Die Befreiung der 33 eingeschlossenen Bergleute ist minutiös vorbereitet.
12.10.2010
Von Jan-Uwe Ronneburger

Hoffen, Nägel kauen, beten: Die in einem chilenischen Bergwerk eingeschlossenen Kumpel und ihre Angehörigen warteten am Dienstag zunehmend ungeduldig auf den Beginn der für die Nacht zu Mittwoch geplanten Rettungsaktion. Die 33 Bergleute bekamen eine Diät mit erhöhtem Salzgehalt, damit sie mehr trinken und damit besser auf die Auffahrt vorbereitet seien, sagte Gesundheitsminister Jaime Mañalich.

Drei Psychologen werden zudem mit jedem einzelnen der Eingeschlossenen sprechen, um festzulegen, in welcher Reihenfolge die Männer an die Oberfläche gezogen werden sollen. Die katholische Kirche des südamerikanischen Landes rief unterdessen die Gläubigen zu Gebeten auf, bis auch der letzte Kumpel gerettet ist.

Minutiöser Zeitplan der Rettung

Insgesamt werde die Rettungsaktion wohl fast zwei Tage dauern, da pro Verschüttetem eine Stunde veranschlagt sei, teilten die Experten mit. In der Nacht zu Mittwoch soll zunächst ein Sanitäter der Polizei in die Tiefe abgelassen werden. Er und drei weitere Kollegen von der Marine sollen die Lage in der Tiefe sondieren, letzte Informationen über die Reihenfolge der Rettung sammeln und den Kumpeln die Kapsel erklären. 16 Männer halten sich für diese Aufgabe bereit.

An der Oberfläche angekommen, werden die Männer von einem Arzt untersucht, medizinisch betreut und können sich waschen. Dann kommt das sehnsüchtig erwartete Wiedersehen mit engsten Familienangehörigen. Immer vier Kumpel werden anschließend in Hubschraubern in das Krankenhaus der nahe gelegenen Stadt Copiapó geflogen. Dort erhalten sie Schlafanzüge mit dem aufgedruckten Stern der chilenischen Flagge und der Aufschrift "33".

Nach einer eingehenden Untersuchung könnten sie je nach Gesundheitszustand nach einem bis zwei Tagen nach Hause entlassen werden. In einer Erklärung baten die Männer, die ersten Tage mit ihren Familien in Ruhe verbringen zu können. Fragen von Journalisten würden sie dann später gerne beantworten. Ein Teil der Familien plane einen Kurzurlaub in Ferienhäusern im Süden und Norden des Landes, was die Psychologen auch sehr empfohlen hatten.

Hoffen, dass der Rettungsschacht hält

Das Drama unter Tage hatte am 5. August begonnen. Mehr als zwei Wochen dauerte es, bis die Verschütteten nach dem Einsturz entdeckt und über Schächte versorgt wurden. Noch nie waren Menschen so lange Zeit in so großer Tiefe gefangen. Die Aktion zu ihrer Rettung ist die längste und aufwendigste, die je im Bergbau vorgenommen wurde. Den Verschütteten half ein ausgeklügeltes Beschäftigungs- und Fitnessprogramm, die belastende Zeit in der Tiefe zu überstehen.

Für die eingeschlossenen Bergleute in Chile bedeutet die Fahrt in der schmalen Rettungskapsel "Phönix" nach Einschätzung eines Experten eine weitere psychische Extrembelastung. Zwar sei die Freude groß, die Rettung aber sei erst erfolgreich abgeschlossen, wenn alle heil oben seien, betonte Helmut Nold, Psychologe bei der Berufsgenossenschaft Rohstoffe und Chemische Industrie in Mainz in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. Die 33 Kumpel müssten bis zu eine Stunde in angespannter Körperhaltung in der sehr kleinen Kapsel ausharren - und hoffen, dass der Rettungsschacht hält.

"Zuerst werden wohl die psychisch Robusten auf den Weg geschickt, die gehen quasi vorneweg", erklärte Nold. Letzter sei vermutlich einer der Retter, der zuvor durch den Schacht nach unten geschleust wurde. "Es kann aber auch sein, dass der bisherige Anführer der Eingeschlossenen sagt: "Ich möchte als Letzter gehen", dann ist das auch denkbar."

"Die Euphoriewelle wird die Kumpel tragen"

Bergleute seien üblicherweise darauf trainiert, es auch in so engen Räumen wie in einem Rettungskorb auszuhalten. Mit mentalem Training und Entspannungsübungen könnten sie etwa eine aufkeimende Panik unterdrücken. Oben angekommen herrsche dann erst einmal Euphorie pur. "Ob die weinen, schreien, sich im Kreis drehen - sie sollten den Gefühlen freien Lauf lassen", sagte der Experte. Dabei störe auch das zu erwartende Blitzlichtgewitter sehr wahrscheinlich nicht.

"Die Euphoriewelle wird die Kumpels über die erste Zeit tragen, erst langfristig drohen psychische Probleme." Etwa dann, wenn ein Bergmann sich in den vergangenen zwei Monaten von einer völlig neuen Seite kennengelernt hat. "Jemand dachte, er sei total tough und ist dann dort unten zusammengebrochen - das kann zum großen Problem werden", erklärte der Psychologe. Auch der andere Weg sei möglich: "Ein bislang eher schüchterner Mensch war sehr tapfer, der kann auch absolut gestärkt werden durch so eine Erfahrung."

Für Wissenschaftler seien die Geschehnisse hochinteressant - etwa für die Entwicklung neuer Trainingsmethoden. "Wir profitieren immer noch von Erfahrungen, die man bei dem Unglück von Lengede 1963 gemacht hat", sagte Nold. Spannend sei nun etwa eine Analyse, wie die Kumpel die schlimme ungewisse Phase direkt nach dem Unglück so gut überstehen konnten.

dpa