Friedenspreisträger Grossman: Frieden in Nahost ist möglich
Der Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels, der israelische Schriftsteller David Grossman (56), sieht eine Chance auf Frieden im Nahen Osten. "Wir sind nicht zum Krieg verdammt", sagte Grossman auf der Frankfurter Buchmesse. Viele Menschen in Israel und Palästina hätten sich jedoch derart an die ständig präsente Gewalt gewöhnt, dass sie gar nicht mehr an eine andere Wirklichkeit glaubten.

Die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels am Sonntag in der Paulskirche wird ab 11 Uhr live in der ARD übertragen. Der ehemalige Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Joachim Gauck, hält die Laudatio. Der Preis wird seit 1950 vergeben und ist mit 25.000 Euro dotiert.

Israelis und Palästinenser gut zusammenarbeiten, sagte Grossman weiter. Beide Völker hätten viele Gemeinsamkeiten, ihre Ambitionen, Gefühle und ihren Humor. Wenn die Voraussetzungen zum Frieden geschaffen würden, könnten sie gute Nachbarn sein. Das wichtigste gemeinsame Interesse sei, "sich selbst vor dem Absturz in den Abgrund zu retten".

Gewissen der Menschen

Als Schriftsteller versuche er, das betäubte Gewissen der Menschen, die nicht an die Möglichkeit des Friedens glaubten, wiederzubeleben. Frieden sei in Israel eine fiktive Vorstellung wie Krieg in Deutschland. Vor 20 Jahren hätten sich Menschen in Israel noch vorstellen können, wie ein Leben ohne Angst und Lebensgefahr aussieht. Heute könnten es die meisten nicht mehr.

"Ich bin nicht verzweifelt, denn wer verzweifelt ist, ist ein Gefangener der Situation", sagte Grossman. "Ich glaube, dass die Dinge geändert werden können. Wir müssen die Bedingungen dafür schaffen."

Dazu trage die Literatur bei, deren Herz darin bestehe, den andere von innen heraus zu verstehen. "Ich will der andere werden", beschrieb Grossman sein Verhältnis zu seinen Romanfiguren. "Wir sollten die Palästinenser, ihr Leid und die Gründe für ihre Fehler besser verstehen." Sonst verharrten Israelis in ihrer eigenen Vorstellungswelt und verlören den Kontakt mit der Realität.

Gegenseitige Vorurteile

"Wenn ich hebräische und arabische Zeitungen lese, bin ich schockiert über die gegenseitigen Vorurteile", erläuterte Grossman. Ein Vergleich der Politik Israels gegenüber den Palästinensern mit dem Holocaust an den Juden "macht mich verrückt, wütend, das ist dumm und völlig unakzeptabel." Obwohl viele Dinge in Israel schwer zu akzeptieren seien: "Israel ist meine Heimat, ein Ort, an dem ich mich nicht als Fremder fühle. Lange Zeit hatten Juden keinen solchen Ort."

Der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Gottfried Honnefelder, sagte, dass selten eine Wahl des Stiftungsrats so begrüßt worden sei wie die von Grossman. Der Buchhandel ehre einen Schriftsteller, der sich aktiv für die Aussöhnung zwischen Israelis und Palästinensern einsetze. Seine Bücher zeigten, dass die Spirale von Gewalt, Hass und Vertreibung im Nahen Osten nur durch Zuhören, Zurückhaltung und die Kraft des Wortes beendet werden könne.

Verlust des Sohnes

Der in Jerusalem lebende David Grossman veröffentlichte 1983 seinen ersten Roman, "Das Lächeln des Lammes" (dt. 1988). Mit dem 1986 erschienenen Roman "Stichwort: Liebe" (dt. 1991) über die zweite nachfolgende Generation der Opfer der Shoah und der Reportagensammlung "Der gelbe Wind" (1987, dt. 1988) über das Verhältnis zwischen Israelis und Arabern wurde er weltweit bekannt. In dem Roman "Eine Frau flieht vor einer Nachricht" (2008; dt. 2009) versucht er den Verlust seines Sohnes Uri zu verarbeiten, der 2006 im Libanon-Krieg getötet wurde.

epd