Melanchthons Wirken sei viel zu lange nur im Schatten Martin Luthers wahrgenommen worden, heißt es in dem am Freitag in Berlin vorgestellten Ökumenischen Lagebericht des Generalsekretärs des Bundes, Walter Fleischmann-Bisten. Bei der jüngst zu Ende gegangenen Kunstinstallation in Wittenberg hätte man sich neben den Lutherfiguren auch Melanchthonfiguren vor dem Rathaus vorstellen können, ergänzte der Theologe. Immerhin fehle dort derzeit nicht nur das Lutherdenkmal, sondern auch das Melanchthondenkmal, so der Theologe.
Die im 19. Jahrhundert errichteten Denkmäler Luthers und Melanchthons werden zurzeit restauriert. Der Nürnberger Kunstprofessor Ottmar Hörl hatte im August auf dem Wittenberger Marktplatz 800 farbige Miniaturkopien des Lutherdenkmals platziert. Die Aktion stieß im Vorfeld auf Skepsis; so wandte sich etwa der Bürgerrechtler und Wittenberger Pfarrer Friedrich Schorlemmer in scharfen Worten gegen die sogenannten Lutherzwerge. Bei der Bevölkerung kam die Aktion aber sehr gut an.
"Ohne ihn gäbe es keine Theologie"
Die moderne wissenschaftlich fundierte Theologie sei ohne Melanchthons Wirken nicht denkbar, fügte Fleischmann-Bisten hinzu, der auch Leiter des Konfessionskundlichen Instituts der evangelischen Kirche ist. "Denn die Religion und die heiligen Schriften können nicht überdauern, wenn ihr sie nicht mit Hilfe der Wissenschaften bewahrt", zitierte der Theologe den Reformator.
Zum Thema Abendmahl sagte Fleischmann-Bisten in seinem Lagebericht, eucharistische Gastbereitschaft sei keine "theologische Willkür" einzelner Kirchen, "sondern die Einsicht, dass nach den Berichten der Bibel kein getaufter Christ vom Herrenmahl ausgeschlossen werden kann, egal aus welcher konfessionellen Tradition er kommt". Zudem könnten nach reformatorischem Verständnis die Kirchen mit Recht Frauen in alle Ämter berufen.
Generalversammlung in Berlin
An der 102. Generalversammlung des Evangelischen Bundes in Berlin-Wannsee nehmen den Angaben zufolge rund 150 Personen teil. Die viertägige Tagung geht am Sonntag zu Ende. Der Evangelische Bund ist das konfessionskundliche und ökumenische Arbeitswerk der Evangelischen Kirche in Deutschland. Seine Aufgabe ist, die konfessionellen, ökumenischen und weltanschaulichen Strömungen aufzuarbeiten und zu einem Urteil aus evangelischer Sicht beizutragen.
Das Melanchthonhaus in Bretten setzt zurzeit in einer Ausstellung zwei außergewöhnliche Zeitgenossen gegenüber: Melanchthon und den Alchemisten Georg Johann Faust (um 1480-um 1540) aus dem Nachbarort Knittlingen. Beide gelten als zeittypische Vertreter für die Umbruchphase von der Renaissance zur Aufklärung. Zahlreiche Bücher, Schriften, Lithographien und zwei seltene Federzeichnungen aus dem Jahr 1943 des Künstlers Max Beckmann zeigt die Sonderausstellung, die bis 4. November zu sehen ist. Sie dokumentiert zugleich die Entwicklung vom historischen Faust zur literarischen Faustfigur, die über Volksbücher, Marlowes Faust-Drama, Puppenspiele und Goethes Faust bis in die Gegenwart präsent ist.