Große Verwirrung um einen angeblichen Baustopp für Stuttgart 21: Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) hat die Ankündigung des Schlichters Heiner Geißler dementiert, wonach die Bauarbeiten an dem Milliardenprojekt vorerst eingestellt werden. "Es gibt keinen Baustopp", sagte Mappus am Donnerstagabend der Nachrichtenagentur dpa und widersprach damit der Darstellung des Vermittlers Heiner Geißler. Der frühere CDU-Generalsekretär hatte kurz zuvor erklärt, die Bauarbeiten würden voraussichtlich bis Ende des Jahres gestoppt. Bahnchef Rüdiger Grube und Mappus hätten dies zugesagt. Auch Grube dementierte das Zugeständnis.
Geißler beharrte am Abend darauf, dass sich alle Seiten auf eine Unterbrechung der Arbeiten geeinigt hätten. "In dieser Frage bestand völlige Übereinkunft, dass für die Zeit der Schlichtungsgespräche völlige Friedenspflicht herrscht", sagte Geißler im SWR-Fernsehen. Dies könne man als Baustopp bezeichnen. Von einem "generellen Baustopp" habe er allerdings nie gesprochen, sagte Geißler den ARD-"Tagesthemen"
Geißler: Es geht nur im Konsens
Mappus und Grube nannten die von Geißler zunächst verwendete Formulierung "vorläufiger Baustopp" dagegen "etwas missverständlich". Geißlers kündigte an, nur im Konsens mit allen Seiten zu arbeiten. "Es dürfen kein vollendeten Tatsachen geschaffen werden, während wir verhandeln." Er fügte hinzu: "Wenn einer nicht einverstanden ist, dann ist die Veranstaltung beendet." Er werde sich nicht für eine "Alibi-Veranstaltung" hergeben.
Mappus wollte von einem Baustopp nicht sprechen. "Es steht das Grundwassermanagement an, und das geht weiter. Es ist die Voraussetzung für alles Andere", sagte Mappus im SWR. Mappus wiederholte aber sein Angebot aus seiner Regierungserklärung vom Mittwoch: "Es gibt die ausgestreckte Hand: Der Südflügel wird bis auf Weiteres nicht abgerissen." Auch auf Baumrodungsmaßnahmen werde vorerst verzichtet.
Grünen-Fraktionschef Winfried Kretschmann sagte, die Gespräche würden an dem Grundwassermanagement nicht scheitern. "Heiner Geißler hat eine ganz klare Ansage gemacht. Ich finde es in Ordnung, dass keine neuen Fakten geschaffen werden."
SPD-Landeschef Nils Schmid erklärte dagegen, die schwarz-gelbe Regierung versinke im Chaos. "Mappus demontiert seinen eigenen Schlichter", sagte er der dpa. Der Regierungspartner FDP zeigte sich dagegen zufrieden, dass Mappus nicht von der ursprünglichen Linie abweicht.
Schlichtung soll "ergebnisoffen" sein - in beide Richtungen
Grube erklärte den "Stuttgarter Nachrichten", er habe mit Geißler bislang nur ein einziges Mal telefoniert. Dabei sei über Inhalte gar nicht gesprochen worden. Zuvor hatte Geißler nach Gesprächen auch mit Mappus und Grünen-Fraktionschef Winfried Kretschmann in einer Pressekonferenz am Hauptbahnhof erklärt: "Der Ministerpräsident war einverstanden mit einem Bau- und Vergabestopp. Er ist ja ein gescheiter Mensch." Mappus und Grube hatten einen Baustopp immer ausgeschlossen, weil die Bahn dabei hohe finanzielle Verluste erleiden würde.
Geißler sagte: "Ziel der Gespräche kann nicht sein, dass ausgestiegen wird." Es müsse ein ergebnisoffener Dialog sein. Ende der nächsten Woche will er Gegner und Befürworter erstmals an einen Tisch bringen - diese müssten ohne Bedingungen dazu bereit sein. "Diese Schlichtung soll zumindest dazu beitragen, dass die Fakten und die Argumente gegeneinander abgewogen werden."
Die Deutsche Bahn darf auf dem Stuttgart-21-Gelände vorerst keine Bäume mehr fällen, weil dort seltene Tiere leben. Die DB Projektbau müsse erst einen Plan zum Schutz von Juchtenkäfern und Fledermäusen im Mittleren Schlossgarten vorlegen, verfügte das Eisenbahnbundesamt. Bei Zuwiderhandlung droht nach dpa-Informationen ein Zwangsgeld von 250.000 Euro.
Neues Gutachten: Aussteig geht auch per Volksabstimmung
Eine landesweite Volksabstimmung über das Bahnprojekt wäre nach einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags doch zulässig. "Ein einseitiger Ausstieg vonseiten des Landes Baden-Württemberg aus dem Projekt "Stuttgart 21" verstieße nicht gegen bundesrechtliche Bindungen", heißt es in der Expertise. Zwar habe sich das Land vertraglich zur Realisierung des Plans verpflichtet. "Sollten aber ein Festhalten an dem Vorhaben den Frieden in der Region nachhaltig stören und das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat und seine Institutionen bleibend beschädigen, könnte eine Kündigung des Vertrages (...) in Betracht kommen."
Ein Gesetz zum Ausstieg aus dem Projekt könne auch durch eine Volksabstimmung beschlossen werden, heißt es in dem Gutachten, das der baden-württembergische SPD-Bundestagsabgeordnete Peter Friedrich in Auftrag gegeben hatte. Dies widerspricht dem Gutachten des Verfassungsjuristen Paul Kirchhof. Dieser hatte erklärt, für den Bau von Bahnstrecken sei der Bund und nicht das Land zuständig. Kirchhof hatte die Zulässigkeit eines von der SPD gewünschten Plebiszits im Auftrag von Mappus untersucht.
Stuttgart 21 sieht den Umbau des Stuttgarter Kopfbahnhofs in eine unterirdische Durchgangsstation und deren Anbindung an die geplante ICE-Neubaustrecke nach Ulm vor. Das Projekt soll laut Bahn 4,1 Milliarden kosten. Hinzu kommt die neue Schnellbahnstrecke nach Ulm, die mit 2,9 Milliarden Euro zu Buche schlagen soll. Kritiker rechnen mit erheblich höheren Kosten.