Künstliche Befruchtung: "Position der EKD überdenken"
Der Medizinnobelpreis ging in diesem Jahr an den Erfinder der künstlichen Befruchtung, Robert Edwards. Seine Technologie ermöglichte Millionen Kindern das Leben - dennoch ist die Methode umstritten. Der Vatikan hat die Vergabe verurteilt. Eine evangelische Sicht bietet der Theologe und Medizinethiker Ulrich Körtner im Interview.
07.10.2010
Die Fragen stellte Ralf Peter Reimann

Robert Edwards erhält den Medizinnobelpreis für die künstliche Befruchtung. Der Vatikan kritisiert dies und betont die moralische Verwerflichkeit der künstlichen Befruchtung – doch was sagt die evangelische Kirche? Welche Positionen vertritt sie?

Dr. Ulrich Körtner: Es gibt – anders als bei der katholischen Kirche – keine offizielle evangelische Stellungnahme zur Verleihung des Nobelpreises an Robert Edwards. Auch aus jüngster Zeit gibt es zur künstlichen Befruchtung – der In-vitro-Fertilisation bzw. IVF – keine kirchenamtlichen Äußerungen. Die relevanten offiziellen Texte der EKD zur Befruchtung außerhalb des Muterleibes stammen noch aus den 80er Jahren. Die EKD lehnt in diesen Veröffentlichungen die IVF nicht kategorisch ab, rät aber Paaren davon, von der künstlichen Befruchtung Gebrauch zu machen. ab. Ich kenne betroffene Paare, die sich von der evangelischen Kirche unverstanden und diskriminiert fühlen. Meines Erachtens ist es höchste Zeit, die bisherige Position der EKD zu überdenken.

Bei der Debatte um die Forschung mit embryonalen Stammzellen hat sich gezeigt, dass ein bloßes ethisches Verdammen nicht zielführend ist, sondern dass sich ethische Positionen im Dialog mit dem medizinischen Fortschritt weiterentwickeln müssen. Die EKD hat den politischen Kompromiß bei der Novelle des Stammzellforschungsgesetzes – die einmalige Verschiebung des Stichtages für Stammzelllinien, an denen geforscht werden darf – mit getragen, jedoch ohne eine theologisch und ethisch befriedigende Begründung. Auch in dieser Frage ist die EKD-Position zwiespältig. Um so wichtiger ist es, dass Thema IVF wieder aufzugreifen.

Welche Positionen gibt es innerhalb der evangelischen Theologie?

Körtner: Die evangelische Kirche kennt kein Lehramt, daher gibt es nicht die eine evangelische Position zur künstlichen Befruchtung. Innerhalb der deutschsprachigen evangelischen Theologie gibt es gegenwärtig auf der einen Seite Theologen, die die IVF grundsätzlich ablehnen. Andere – dazu gehöre ich – heißen die IVF als eine medizinische Methode prinzipiell gut, da sie Paaren den Kinderwunsch ermöglicht, denen eine Schwangerschaften auf natürliche Weise versagt ist.

"Nicht Erlaubnisse, sondern Verbote müssen begründet werden"

Wer darf eine künstliche Befruchtung für sich in Anspruch nehmen? Nur verheiratete Paare?

Körtner: Evangelische Theologie orientiert sich am Leitbild von Ehe und Familie, daher kommt vom Standpunkt einer evangelischen Ethik her die IVF zunächst für verheiratete Ehepaare in Betracht. Allerdings muss diese Frage weiter gefasst werden. Wir leben in einem säkularen Staat, daher stellt sich die Frage, ob eine christliche Ethik heute für alle Bürger allgemeinverbindliche Vorgaben machen kann. Für jeden einzelnen gilt, dass er auf der Grundlage seines Glaubens und seines Gewissens eine persönlich verantwortete Entscheidung treffen muss. Das staatliche Recht ist nicht auf eine bestimmte Auffassung von christlicher Moral verpflichtet, sondern auf die Einhaltung der Menschenrechte und die Achtung der Menschenwürde. Dazu gehört auch das Recht auf reproduktive Autonomie.

Grundsätzlich gilt im freiheitlichen Rechtsstaat: Nicht Erlaubnisse, sondern Verbote müssen begründet werden. Auch darf die ethische Diskussion nicht immer nur auf den Ruf nach dem Strafrecht reduziert werden. Evangelische Ethik bringt besser gewinnende Argumente in den gesellschaftlichen Diskurs ein.

Wie stehen Sie zur so genannten heterologen Samen- und Eizellspende, d.h. wenn der Samenspender nicht der Partner der Frau ist bzw. die Eizellspenderin nicht die Partnerin des Mannes?

Körtner: Es ist nicht einzusehen, weshalb die heterologe Samenspende zwar bei der intrakorporalen künstlichen Befruchtung erlaubt sein soll, nicht aber bei der extrakorporalen Befruchtung. Österreich ist deshalb im Frühjahr 2010 vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt worden, weil sein restriktives Fortpflanzungsgesetz in diesem Punkt gegen den Gleichheitsgrundsatz verstößt. Auch das österreichische Verbot der Eizellspende wurde vom Gericht in Straßburg beeinsprucht. Das Urteil hat auch für Deutschland Bedeutung, weil hier die Gesetzeslage ähnlich wie in Österreich ist. Allerdings fehlt in Deutschland bis heute überhaupt ein eigenes Fortpflanzungsmedizingesetz.

Aus meiner Sicht gibt es gute Gründe, zwischen Samen- und Eizellspende zu unterscheiden, schon deshalb, weil die Gewinnung von Eizellen für die Spenderinnen ungleich belastender als eine Samenspende ist und mit gesundheitlichen Risiken verbunden ist. Generell läßt sich jedoch ein Verbot der heterologen Befruchtung wegen des Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz schwerlich aufrecht erhalten. Allerdings sollte der Gesichtspunkt des Kindeswohls in der weiteren Diskussion stärker berücksichtigt werden.

Eine gespaltene Elternschaft in genetische, leibliche und soziale Elternschaft ist problematisch, zumindest aus der christlichen Sicht von Ehe und Familie. Aber auch hier gilt, dass evangelische Ethik kein Strafrecht ist, sondern Argumente vorbringen muss. Hier kann es in einer liberalen Gesellschaft zu anderen Entscheidungen kommen, als sie die Kirche erwünscht. Abzulehnen ist aus meiner Sicht die Leihmutterschaft. Sie sollte weiter verboten bleiben.

"Ich freue mich, dass der medizinische Fortschritt helfen kann"

Manche sehen in der künstlichen Befruchtung auch die Möglichkeit, eine Schwangerschaft auf eine spätere Lebensphase zu verschieben, um Beruf und Kinderwunsch besser zu vereinbaren. Wie sehen sie diese Entwicklung?

Körtner: Das Anliegen, Beruf und Familienplanung besser abzustimmen, kann ich gut verstehen. Allerdings ist dies für mich in erster Linie keine medizinische Frage, sondern ein gesellschaftliches Problem. Es geht um die generelle Vereinbarkeit von Familie und Beruf – in diesem Feld gibt es noch viel zu tun, in Österreich und auch in Deutschland. Übrigens gebe ich auch zu bedenken, dass die IVF keine Garantie ist, tatsächlich schwanger zu werden. Wer eine Schwangerschaft verschiebt läuft Gefahr, in einer späteren Lebensphase nicht mehr schwanger werden zu können.

Ein weiterer Anwendungsfall der IVF liegt z.B. bei Krebserkrankungen vor. Vor einer Chemotherapie werden Gewebe und Eizellen entnommen, um nach Abschluss der Behandlung den Patientinnen eine Schwangerschaft zu ermöglichen.

Körtner: Ich freue mich, dass hier der medizinische Fortschritt helfen kann, trotz einer Krebserkrankung noch schwanger zu werden. Gewebe und Eizellen werden eingelagert, um sie nach erfolgreicher Krebstherapie einzupflanzen und einen Kinderwunsch möglich zu machen. In diesem Falle ist die IVF ein Segen für Betroffene.

Häufig führen künstliche Befruchtungen zu Mehrlingsschwangerschaften. Ist dieser Preis nicht zu hoch für eine IVF?

Körtner: Dies ist in der Tat ein sehr ernstzunehmendes ethisches Problem. Allerdings macht auch hier die Medizin Fortschritte. Mehrlingsschwangerschaften sind zwar nicht ausgeschlossen, aber das Risiko einer Mehrlingsschwangerschaft in Folge einer künstlichen Befruchtung hat sich deutlich reduziert.

"Persönlich spreche ich lieber von der Unbestimmtheit des Anfangs"

Bei vielen ethischen Problemen steht eine Frage im Hintergrund: Wann fängt menschliches Leben an?

Körtner: Innerhalb evangelischer Theologie gibt es keine einheitliche Sichtweise, wann das Leben eines Menschen beginnt. In vielen – älteren – EKD-Texten setzt man die Verschmelzung Eizelle und Samenzelle als eigentlichen Beginn des menschlichen Lebens an und fordert daher Lebensschutz von der Zeugung an.

Persönlich spreche ich lieber von der Unbestimmtheit des Anfangs. Der Embryo im Reagenzglas – ist er schon ein Mensch? Das läßt sich nicht mit Sicherheit sagen, denn auch bei der natürlichen Zeugung sterben viele Embryonen ab, ehe sie sich in der Gebärmutter einnisten und als Fetus heranwachsen. Begönne menschliches Leben bereits mit der Verschmelzung, hieße dies, das auch bei der natürlichen Empfängnis Menschen stürben. Diese Konsequenz lässt sich jedoch aus dem Zeugnis der Bibel für mich nicht ziehen. Daher spreche ich lieber von einer Unbestimmtheit des Anfangs. Allerdings: Lebensschutz ist wichtig, und zwar von Anfang an.

Der Vatikan hat die Vergabe des Medizinnobelpreises an Robert Edwards kritisiert. Was ist Ihre persönliche Meinung?

Körtner: Es gibt für mich – anders als beim Vatikan - keinen Grund, warum der Nobelpreis nicht an Robert Edwards gehen sollte, denn in der Tat hat er einen entscheidenden Beitrag zum medizinischen Fortschritt geleistet. Persönlich begrüße ich auch die Möglichkeit der In-Vitro-Fertilisation dem Grundsatz nach, auch wenn ich manche Entwicklungen der Reproduktionsmedizin kritisch sehe.

Vielleicht gibt die Verleihung des Nobelpreises der evangelischen Kirche auch einen notwendigen Impuls, sich wieder mit der IVF zu beschäftigen und in einen neuen Diskussionsprozess einzutreten. In anderen bioethischen Fragen – zum Beispiel der Stammzellenforschung – diskutieren wir auf der Höhe des wissenschaftlichen Fortschrittes mit, warum sollte dies uns bei der künstlichen Befruchtung nicht auch wieder gelingen?


Prof. Dr. Ulrich Körtner ist Theologe und Vorstand des Instituts für Systematische Theologie und Religionswissenschaft der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien und zugleich Vorstand des dortigen Instituts für Ethik und Recht in der Medizin.