Nobel-Favoriten: McCarthy und ein Unbekannter
Der bisher unbekannte Kenianer Ngugi wa Thiong'o und der US-Autor Cormac McCarthy sind Favoriten auf den Literaturnobelpreis. Jedenfalls bei den Buchmachern. Die Experten sind sich ziemlich einig, dass der Preis nicht zum achten Mal in Folge in Europa bleibt.
06.10.2010
Von Thomas Borchert

Jedenfalls nicht schon wieder ein Europäer: Unmittelbar vor der Stockholmer Entscheidung über den Literaturnobelpreis (7. Oktober, 13.00 Uhr MESZ) sehen die Buchmacher und allerlei Experten Anwärter aus anderen Kontinenten als Favoriten. Cormac McCarthy (77) aus den USA könnte es werden, oder der seit Jahren als Favorit mitgehandelte Japaner Haruki Murakami (61). Als hierzulande völlig Unbekannter ist aus dem Nichts der Kenianer Ngugi wa Thiong'o (72) an die Spitze der Wettlisten geschossen.

Einschließlich der rumänisch-deutschen Autorin Herta Müller (57) haben die schwedischen Juroren den begehrtesten Literaturpreis der Welt zuletzt siebenmal in Folge an Europäer vergeben. "Die Wetteinsätze dieses Jahr deuten auf einen Wettkampf zwischen den USA und Afrika hin", zitierte "Svenska Dagbladet" am Mittwoch Joakim Rönngren vom Wettbüro Ladbrokes.

"Kein Land für alte Männer"

Auf die Ladbrokes-Listen wird seit einigen Jahren besonders aufmerksam geschaut, seit die Einsätze auf jeweils spätere Sieger kurz vor der Bekanntgabe förmlich explodierten. Das signalisiert in diesem Jahr am ehesten die Vergabe an den Romancier McCarthy ("Die Straße", "Kein Land für alte Männer"). McCarthy gehört seit Jahren zu dem erlauchten Kreis von US-Autoren, die nach Meinung von Experten und vielen Lesefans wegen ihrer Erzählkunst einfach mal für den berühmtesten Literaturpreis der Welt fällig sind. Thomas Pynchon, Philip Roth, Don DeLillo, Joyce Carol Oates und bis zu seinem Tod letztes Jahr auch John Updike sind andere Dauerbrenner unter diesen ewigen Favoriten.

Sensationell wäre eine Entscheidung für Ngugi wa Thiong'o aus Kenia. Der in Kalifornien als Literaturprofessor lehrende Autor steht souverän an der Spitze der Wetteinsätze, aber seine Bücher dürften weder Leseratten im Land der Nobelpreise noch sonst in Europa bis jetzt gekannt haben. Der Autor ist aber politisch aktiv. Er beteiligt sich an einer Menschenrechts-Kampagne zur Freilassung des in Eritrea unter grausamen Bedingungen und ohne Gerichtsverfahren eingekerkerten schwedischen Journalisten Dawit Isaak.

Überraschung aus Stockholm

Bei der Kampagne aktiv ist auch Peter Englund, Sekretär der Schwedischen Akademie und damit oberster Nobel-Juror. Diese Interessenverquickung spricht wohl eher gegen eine Entscheidung für den Kenianer, dessen Name bisher nie und nirgends bei den Spekulationen aufgetaucht war. Aus der Akademie verlautet immer wieder, dass ein Autor es doch schon mehrfach in die Auswahl der letzten fünf Kandidaten geschafft haben muss, ehe er oder sie den Zuschlag bekommt.

Andererseits wurde die literarische und die Medienwelt doch immer wieder mit Überraschungen aus Stockholm schockiert. So zuletzt 2000 mit dem Preis für den in China geborenen und in Paris lebenden Gao Xingjian. Oder 1988 der Preis für den damals noch total unbekannten Ägypter Nagib Mahfus. Sollte die Regel gelten, dass die Akademie ungefähr alle zehn Jahre alle überraschen möchte, dann wäre die Zeit reif bei der diesjährigen Verkündung im ehrwürdigen alten Börsenhaus in der Stockholmer Altstadt.

Zum Thema Literatur finden Sie auf evangelisch.de auch "Dünne Bücher - Das Literaturblog".

dpa