TV-Tipp des Tages: "Im Dschungel"
Ein modernes Sozialmärchen mit komplexer Kritik an der Arbeitswelt verpackt in eine Romanze: "Im Dschungel" ist ein spannender, sehenswerter Film über die Undurchschaubarkeit der modernen Wirtschaft, Skandale, Korruption und die Konflikte, die sich aus der Überschneidung von Liebe und Beruf ergeben können.
06.10.2010
Von Tilmann P. Gangloff

"Im Dschungel" , Mittwoch, 6. Oktober, 20.15 Uhr im Ersten

 

In den Siebzigern, als Filme "Rote Fahnen sieht man besser" hießen und mit Adolf-Grimme-Preisen ausgezeichnet wurden, konnte man solche Geschichten noch ganz einfach erzählen: Junger Arbeiter will sich nicht mehr gefallen lassen, dass Entscheidungen über seinen Kopf hinweg gefällt werden, und setzt sich an die Spitze einer Protestbewegung; mit vereinten Kräften wird es "denen da oben" schließlich gezeigt. Heute wäre eine derart schlichte Handlung unrealistisch und weltfremd, sie würde allenfalls noch als Sozialmärchen durchgehen. Elmar Fischers Film trägt seinen Titel "Im Dschungel" daher völlig zu Recht: Er deutet nicht nur an, dass sich der junge Arbeiter Frank Sperber auf gefährliches Terrain begibt, sondern steht auch für die völlige Undurchschaubarkeit, die so charakteristisch für die moderne Wirtschaft ist.

Genau darin bestand auch die Herausforderung für die Autoren: Wie schafft man es, die ökonomische Realität in eine fesselnde Geschichte zu überführen? Fischer und Jörg Tensing bedienen sich eines ganz simplen Kniffs: Sie verpacken das komplexe Thema als Romanze. Frank verliebt sich in die Managerin Marie (Ina Weisse), die nach Feierabend bei weitem nicht so kühl ist wie am Arbeitsplatz. Und weil der Ungestüm des jungen Mannes dem mächtigen Betriebsratsmitglied Lohmann (Heino Ferch) imponiert, sitzt Frank seiner Geliebten alsbald auch bei Verhandlungen gegenüber. Beiläufig mischen Fischer und Tensing erste Anzeichen von Korrumpierbarkeit in Franks Ideale. Als ihm bei einer vom Vorstand organisierten Reise nach Marokko aufgeht, wie tief er schon im Sumpf steckt, ist es bereits zu spät.

Angesichts der Schlagzeilen der letzten Jahre muten die verschiedenen Skandale, mit denen das Drehbuch aufwartet, fast harmlos an. Man fragt sich im Gegenteil, wie sich Marie als einzige Frau unter lauter Männern die Zeit vertrieben hat, während sich die Vorstandskollegen im firmeneigenen nordafrikanischen Luxusrefugium mit Prostituierten vergnügten. Fischer inszeniert den Film ohnehin bewusst unspektakulär; die Faszination geht vor allem von den handelnden Personen und ihren Darstellern aus. Zehrfeld, der spätestens durch die ARD-Ausstrahlung von Dominik Grafs grandioser Gangster-Saga "Im Angesicht des Verbrechens" zum Star werden dürfte, ist ein kraftvoller, physisch sehr präsenter Schauspieler; schon allein die Kombination mit der ätherischen Ina Weisse, deren Figuren stets ein Geheimnis zu umgeben scheint, ist ein Genuss. Viel zu selten setzt Fischer optische Ausrufezeichen wie jenen spielerischen Übergang, als sich nach Franks erstem Rendezvous mit Marie ein Auto als Flitzer auf seiner Wohnzimmerrennbahn entpuppt.

 


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).