Jochen Wegner: Der Teamchef verlässt Focus Online
Es ist fast unmöglich, jemanden zu finden, der etwas Schlechtes über Jochen Wegner sagt. "Er ist etwas rätselhaft", ist so ziemlich die härteste Kritik, die man hört, wenn man Menschen anspricht, die Wegner kennen. Und auch das liegt vielleicht nur daran, dass er nicht unbedingt zu der Sorte Mensch zählt, die ihr Innerstes nach außen kehrt.
05.10.2010
Von Henrik Schmitz

Wegner behauptet, es gebe in ganz Deutschland nur zehn Menschen, mit denen er sich ernsthaft über seinen Beruf unterhalten könne. Aber nicht einmal wer diese zehn ernsthaften Menschen sind, verrät er. Wäre Jochen Wegner Politiker, würde er auf der Sympathieskala ganz oben mitmischen. Er ist freundlich, ohne oberflächlich zu wirken. Er ist gebildet, ohne akademische Attitüde. Und er ist nicht so perfekt, dass es schon wieder unsympathisch wäre. Einzig sein goldener Ehering ist ein wenig zu protzig, um noch als bescheiden durchgehen zu können.

Vertraut mit der Materie

Wäre Jochen Wegner Politiker, würde er es aber wohl nie so weit nach oben geschafft haben wie im Journalismus. Konkurrenten ausstechen, jemanden wegbeißen und Intrigen spinnen, scheint seine Sache nicht zu sein. Zum Online-Alpha-Tier schaffte er es wohl vor allem deshalb, weil er mit der Materie besser vertraut war als die Generation derjenigen Journalisten, die zehn Jahre älter sind und vergeblich auf die Chefposten im Online-Zeitalter schielten.

Wenn Jochen Wegner von seinem Werdegang erzählt, der ihn schon mit 36 Jahren an die Spitze von "Focus Online" geführt hat, hat man irgendwie das Gefühl, mit einem Menschen auf eine Reise zu gehen, deren Ziel nicht Macht und Karriere ist, sondern alles über das Universum, die Welt und die Menschen zu erfahren. Ausgangspunkt dieser Reise ist Karlsruhe. Dort wurde Wegner am 9. Dezember 1969 geboren. Aufgewachsen ist er im badischen Bretten, nicht sehr weit weg von der französischen Grenze. Wegners Vater ist Ingenieur und Leiter einer Fabrik für Filteranlagen. Die Mutter arbeitete als Sekretärin bei den Stadtwerken in Bretten. Journalisten-Vorfahren gibt es in seiner Familie nicht.

Basteln am Computer

Und doch begeisterte er sich früh für das Schreiben. Schon in der vierten Klasse bringt er mit ein paar Freunden das 4A-Echo heraus, das der Vater eines Schulfreundes, der bei IBM arbeitet, kopiert. Auf ein Medium festgelegt ist Schüler Wegner nicht. Auf dem Gymnasium schließt er sich der Video-Gruppe an und startet – den Schulnamen aufgreifend – das Melanchthon-tv. "Wir haben einen rotierenden 3-D-Schriftzug fürs Intro programmiert, die Lehrer interviewt und das monatlich auf dem Pausenhof gezeigt", erinnert sich Wegner. Und wenn man ihn hört, rätselt man, ob ihm das Interviewen der Lehrer oder das Basteln der 3-D-Grafik am Computer mehr Freude gemacht hat.

Der Computer und die mit ihm verbundene Technik ist eine große Konstante in Wegners Leben. Er gehört zu der Generation Jugendlicher, die sich in den 1980er-Jahren für Computer begeisterten, diese aber nicht als reine Spielkonsolen nutzten, sondern selbst tüftelten und eigene Programme schrieben.

Echter Journalist wurde Wegner mit 17 Jahren. Damals schrieb er seinen ersten Artikel für die Computerzeitschrift "ST Magazin". "Es gab damals Abenteuerspiele, die nur mit Texteingaben funktionierten", sagt er, "man konnte etwa in einen Raum gehen und dort bestimmte Dinge tun. Als Schüler habe ich ein Programm geschrieben, mit dem man solche Text-Adventures automatisch generieren konnte, und darüber habe ich eine Artikelserie verfasst. Kurz darauf habe ich mich dann aber lieber dem klassischen Journalismus zugewandt und für die ,Badischen Neuesten Nachrichten' geschrieben."

Notwendige Seriosität

Nach dem Abitur hadert Wegner zunächst mit der Entscheidung, welche Richtung er nun einschlagen solle. Technische Berufe fand er ebenso spannend wie den Journalismus, weshalb er zunächst dem Computer zeit seines Zivildienstes treu bleibt – und als Programmierer in einem Krankenhaus arbeitet. Während dieser Zeit hatte der jugendliche Jochen beinahe jede Woche eine neue Berufsidee: "Zwei Jahre grübelte ich, weil ich nicht wusste, welche der vielen Möglichkeiten ich nun wählen sollte." Philosophie in Heidelberg? Informatik in Karlsruhe? VWL in Mannheim? Dokumentarfilm in München? "Sag einfach Bescheid, wenn du dich entschieden hast", sagte seine leicht entnervte Mutter irgendwann zu ihm.

Ein Studium, womöglich der Journalistik oder Kommunikationswissenschaft, kam für Wegner dann aber doch nicht in Betracht. "Meine Familie gehört dem Mittelstand an. Was man mit den Händen greifen kann, das hat Gewicht. So etwas wie Journalismus war eher nicht auf dem Radar und galt als ein wenig brotlos", sagt er. Journalistenschulen, bei denen sich Wegner während des Zivildienstes bewirbt, hatten hingegen die notwendige Seriosität, auch die Eltern zu überzeugen. "Die Leute von dort wurden etwas." Dass es schließlich die Kölner Schule für Wirtschaftsjournalismus wurde, die Wegner von 1990 bis 1992 besuchte, lag vor allem daran, dass von dort die erste Zusage kam.

Und doch hat Jochen Wegner schließlich ein bisschen von allem gemacht. Nach der Journalistenschule begann er ein Physik-Studium in Bonn. Und weil dies und seine Arbeit als freier Autor für verschiedene Medien ihm offenbar nicht reichten, studierte er zunächst auch noch Philosophie. "Das habe ich dann später irgendwann aufgegeben, weil einen das sehr verschulte Physik-Studium schon stark in Anspruch nimmt." Während des Studiums arbeitete Wegner bereits bei namhaften Medien, vor allem für Wissenschaftsressorts. Deutschlandfunk, "Bild der Wissenschaft", "Geo", "Berliner Morgenpost" und WDR sind nur einige seiner Abnehmer.

Kollegialer Umgang

Noch heute schwärmt Wegner vom damaligen Regierungssitz Bonn, einem "kleinen Ökosystem mit schnellem Zugang, in dem einem morgens beim Joggen am Rhein die Bundestagspräsidentin zuwinkte". Die "Meute", wie sie heute in Berlin zu finden sei, habe es damals nicht gegeben. Die älteren Kollegen hätten junge Journalisten an die Hand genommen. "Damals war der Umgang sehr kollegial", sagt Wegner und gibt so indirekt einen Hinweis darauf, dass er den Ton unter Kollegen heute öfter als rau empfindet.

Wenn Wegner von alten Bonn-Zeiten schwärmt, ahnt man, dass er nicht unbedingt ein Fan der schnelllebigen "Berliner Republik" ist, auch wenn für ihn als Chef eines Online-Mediums gerade die Schnelligkeit eine besondere Rolle spielt. Eine wichtige Entscheidung hat Wegner während seiner Zeit als freier Journalist getroffen: Schreiben ist seine Leidenschaft, auch wenn er kurz an eine Karriere als Dokumentarfilmer dachte und Georg Stefan Troller als Vorbild nennt.

"Mein Thema war immer die große Reportage. Der perfekte Einstieg. Die Frage: Wie kann man Authentizität erfahren? Das geht als Schreiber, als Fotograf bedingt, als Filmer geht es gar nicht. Das habe ich gemerkt, als ich für den WDR gearbeitet habe. Der Film, bei dem man mit drei Leuten auftaucht, ist viel zu invasiv. Da bekomme ich nicht das, was ich gerne hätte", sagt Wegner. Seine wichtigsten "Medienprodukte", die Geschichten, die ihm wichtig gewesen seien, seien Texte.

Intensive Vorbereitung

"Der Himmel wollte nie, dass Dr. Mönke fliegt.", lautet einer von Wegners Einstiegen für ein Porträt über den damals 79-jährigen Dr. Mönke, der im Keller jahrelang an einem eigenen Flugzeug baute, das nie abhob. Zwei Jahre begleitete Wegner Mönkes Flugversuche. "So in die Leute reinkriechen, das fand ich damals spannend." Damals, das war im Jahr 2000, als Wegners Porträt im Focus erschien. "Intensive Vorbereitung" ist Wegners Geheimtipp für gute Recherche.

Menschen öffneten sich, wenn man sie mit Fachwissen überraschen könne und ihnen das Gefühl gebe, sich ernsthaft für sie und das, was sie tun, zu interessieren. Bei vielen Journalisten höre Recherche heute bei Google auf, sagt Wegner, und ist gleichzeitig überzeugt, dass die Qualität des Journalismus durch Google eher zugenommen habe. "Damit lassen sich grundlegende Zusammenhänge sehr schnell überprüfen."

Noch bevor er seinen Diplom-Abschluss in der Tasche hat, liegt auf Wegners Schreibtisch schon ein "Focus"-Vertrag. 1998 tritt er dort seine Stelle als Redakteur im Wissenschaftsressort an, das beim Focus ein sehr breites Feld bestellen darf. Zunächst sei er bei dem Nachrichtenmagazin der "Internet-Onkel" gewesen, der den Leuten erklärt habe, wie das so gehe mit diesem World Wide Web. Als das Netz Mainstream wurde, suchte sich Wegner neue Themen und wanderte damit quer durch die Ressorts. "Ich habe über Volkswirtschaft geschrieben, über Japan und die Börse, über Medizin oder Israel. Dazu kamen Titelgeschichten, etwa über den Zufall, das Glück, die Faulheit, den Sinn des Lebens. Das Spektrum war sehr breit."

Communities

Nach diesen "Abstechern" wendet sich Wegner noch einmal verstärkt dem Internet zu, erlebt eine zweite Themenrevolution im Web 2.0 und schreibt über Start-up-Unternehmen wie Flickr, damals noch eine kleine Klitsche mit drei Mitarbeiter.

Communities, sie bilden eine weitere Konstante in Wegners Leben. Schon im Studium gründete er eine eigene: das Jonet. Jonet ist eigentlich die Abkürzung für Journalisten-Netzwerk, aber über viele Jahre hinweg stand es sicher auch für "Jochens Netzwerk". Das Jonet ist sozusagen Wegners erstes Kind – inzwischen hat er mit seiner Frau Beatrice Lugger, die ebenfalls Journalistin im Hause Burda ist, noch zwei bekommen. Das Prinzip des Jonets stammte ursprünglich aus New York und orientierte sich am Vorbild der frühen Computer-Mailboxen. "Man konnte sich per Modem einwählen und in Bulletin-Boards diskutieren", erklärt Wegner. Als das Internet aufkam, zog das Jonet um und die Debattenbeiträge wurden einfach per E-Mail ausgetauscht. So funktioniert das Diskussionsforum auch heute noch.

Als Karriere-Netzwerk begreift er sein Projekt dabei nicht. Das Jonet sei einer der "letzten Horte des Altruismus", in dem man zunächst nur etwas gebe – etwa seine Expertise zu Fragen anderer Mitglieder –, ohne direkt etwas zu bekommen. Zwar gehöre es am Ende dazu, mit den richtigen Leuten im richtigen Netzwerk zu sein, aber Eigenwerbung sei im Jonet verpönt.

Ein "richtiges Netzwerk" erschloss sich für Wegner beim Focus. Zu Verleger Hubert Burda hatte er aufgrund seiner Arbeit über neue Medien einen guten Draht und Burda öffnete Wegner sein eigenes Netzwerk und damit Türen, die sonst vielleicht verschlossen geblieben wären. Als Förderer sieht Wegner die beiden Chefredakteure Helmut Markwort und Uli Baur sowie seinen ersten Ressortleiter, Martin Kunz. Alle drei seien "sehr tolerante Menschen", die nicht in Schubladen dächten.

Machen, machen, machen

"Ich wollte immer breiter werden und nicht auf einem Thema sitzenbleiben. Das war ein langes, großes Glück, durchs ganze Heft marschieren zu dürfen. Ich habe überall gewildert und auch immer mal wieder eine investigative Geschichte gemacht, über Kalamitäten beim BND etwa oder über ein Sicherheitsleck bei Siemens. Die für mich wichtigste Förderung bestand im Rückblick darin, dass man mir das erlaubt hat. Derart durchlässig sind nicht viele Redaktionen."

Neben "Fakten, Fakten, Fakten" konnte Wegner beim Focus zunächst vor allem "machen, machen, machen." Und vielleicht waren es der Luxus der Vielfalt und Wegners Wunsch, von allem möglichst viel zu wissen und zu erfahren, die ihn beim "Focus" hielten. Immer wieder einmal bekam er andere Angebote, besonders während des Booms der New Economy – und blieb dennoch. Helmut Markwort habe sich in jener Zeit geradezu rührend darum bemüht, ihn beim Focus zu halten, sagt Wegner. Da ein Jobangebot ihn sozusagen an die Küste geführt hätte, bot Markwort Wegner sogar an, ihm ein Salzwasseraquarium in die Wohnung zu stellen – quasi als Ersatz.

Das war 2001, Wegner war damals 31 Jahre alt. Dass Wegner blieb, hat aber vielleicht nichts mit einem Aquarium zu tun, sondern damit, dass es ihm in diesem Alter etwas unheimlich war, bereits das Ziel seiner Träume erreicht zu haben.

Chefredakteur ist Wegner inzwischen dennoch – seit 2006. "Als für ,Focus Online' ein neuer Chefredakteur gesucht wurde, lag es nahe, das jemanden machen zu lassen, der einerseits weiß, wie ,Focus' tickt, und sich andererseits tiefer mit dem Internet beschäftigt hat, mit Online-Communities und mit dem, was plötzlich Web 2.0 hieß", sagt Wegner. Heute leitet er ein Team von 50 Redakteuren, und auch die meisten der 200 Print-Redakteure arbeiten heute für "Focus Online".

Eingeschworene Gemeinschaft

Wer "Focus" sagt, dem fällt auch schnell der "Spiegel" ein. Wie das Printprodukt muss sich auch "Focus Online" stets an "Spiegel Online" messen lassen, das bei den Nachrichtenportalen eine Vorreiterrolle innehat und auch bei den Klick-Zahlen besser abschneidet als alle Konkurrenten. Wegner selbst redet diesen Konkurrenzkampf eher klein, was daran liegen mag, dass er zu Mathias Müller von Blumencron, der "Spiegel Online" bis Anfang 2008 leitete und jetzt einer der zwei Chefredakteure beim gedruckten "Spiegel" ist, ein freundschaftliches Verhältnis pflegt und die beiden gelegentlich einen Wein zusammen trinken. Und sicherlich ist von Blumencron auch einer der zehn Menschen, mit denen Wegner ernsthaft über seinen Beruf reden kann. Eher von sich weisen würde Wegner hingegen wohl eine gewisse Ähnlichkeit mit Spiegel-Korrespondent Gabor Steingart.

Auch zu anderen Protagonisten des Online-Gewerbes pflegt Wegner gute Kontakte, Mercedes Bunz etwa. Es ist wohl so, dass Wegner und die anderen Alpha-Tiere des Online-Journalismus mehr oder minder alle einer eingeschworenen Gemeinschaft angehören, die sich seit Jahren kennt oder sich zumindest ständig auf diversen Internet-Tagungen begegnet. Irgendwann Ende der 1990er-Jahre wurden sie dann von der Welle der New Economy erfasst und an die Spitze neu entstandener Online-Portale renommierter Medien gespült.

Der Kontakt zu "etablierten" Journalisten ist hingegen nicht immer so freundschaftlich und von einigen ist Wegner sogar regelrecht genervt. Ein "Kartell der Selbstbeweihräucherung" hat Wegner unter einigen Journalisten ausgemacht. "Ich mag es nicht, wenn Journalisten zum Gegenstand ihrer Berichterstattung werden. Ich mag Leute, die gut recherchieren, und nicht Leute, die den ganzen Tag darüber reden, dass sie gut recherchieren", sagt er. Auch vom Stil her sieht Wegner Unterschiede zwischen seiner Generation und "den Kollegen, die 68 geprägt wurden". "Das sind oft sehr autokratische und patriarchalische Erscheinungen. Meine journalistische Generation besteht eher aus Teamplayern. Wir arbeiten auf Augenhöhe."

Jamsession

Das Entstehen von "Focus Online" vergleicht er mit einer "Jamsession", bei der jeder zwar autonom arbeite, aber gleichzeitig auf den anderen höre. Und bei aller Bescheidenheit ist auch klar, dass Wegner bei dieser Jamsession nicht nur den Takt, sondern oft auch den Ton vorgibt.

Unterschiede zu älteren Journalisten sieht Wegner auch in der Art, an Themen heranzugehen, und behauptet von sich und "Focus Online", an "Sachthemen entlangzu - argumentieren". Dabei unterscheide sich "Focus Online" auch mal von der Haltung des gedruckten "Focu ", etwa bei der kritischen Begleitung von Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und dessen Plänen zu "Eingriffen in die digitale Sphäre". Ein Thema, das ihm nicht nur wegen seiner Internetsozialisation wichtig ist, sondern weil er im Internet auch so etwas wie die Zukunft der Demokratie sieht.

"Die Meinungsbildung wird immer stärker im Netz stattfinden müssen, weil dies der Ort ist, wo Menschen immer stärker in Kontakt zueinander treten", sagt Wegner. "Schauen Sie sich nur einen modernen Wahlkampf wie den von Barack Obama an." Das Netz werde zum zentralen "Durchlauferhitzer für politische Meinungen". Und Wegner glaubt fest daran, dass Parteien Gefahr laufen, eben diese Funktion zu verlieren: "Moderne Menschen sind informiert, sie entscheiden in der Sache und orientieren sich immer weniger an den großen Linien einer Partei."

Aufklären

Die Tatsache aber, dass Wegner bei der Aufzählung der Parteien, mit denen er hier und da übereinstimme, als erste die FDP und als letzte die SPD nennt, zugleich aber auch "Schröders Agenda" lobt, könnte ein Hinweis darauf sein, dass er mit seiner eigenen politischen Haltung nicht ganz so weit von Ex-"Focus"-Chef Helmut Markwort entfernt liegt.

Anders als Markwort ist Wegner aber zurückhaltender im Auftreten und könnte im Fernsehen problemlos in einer Rolle als Schwiegermamas Liebling besetzt werden. Pathos liegt ihm fern, gleichzeitig nimmt er die journalistische Aufgabe des Aufklärens ernst und verweist auf Stärken von "Focus Online" jenseits des Nachrichtengeschäfts.

Dazu zählen für Wegner die vom Focus etablierten Nutzwert-Themen, die wie für das Netz geschaffen sind – Rankings von Ärzten, Anwälten und anderen Berufsgruppen etwa. "Das ist eine starke beratende Komponente, mit der wir uns unterscheiden und die so sonst keiner anbieten kann", sagt Wegner. Und auch bei Focus Online setzt er – wie einst beim Jonet – auf das Bilden von Communities. "Unsere User bringen auch ihre Erfahrungen mit Banken oder Versicherungen ein oder mit Ärzten. Dann können wir den Ball zwischen Online-Portal und Magazin hin- und herspielen."

Auch auf die Beteiligung der Leser durch Leserkommentare setzt Wegner. "Wir bekommen pro Monat 80.000 Kommentare, damit sind wir in diesem Feld sicher das erfolgreichste journalistische Projekt." Die Rankings sind für ihn nicht nur ein Alleinstellungsmerkmal im Konkurrenzkampf mit anderen Medien, sondern aufgrund ihrer Orientierungs- und Aufklärungsfunktion auch Aufgabe des Journalismus, wozu schließlich auch der Dienst am Leser zähle.

Wahrhaftigkeit und Transparen

Ein Bekannter habe mit dem Verdacht auf Krebs im Krankenhaus gelegen, berichtet Wegner. "Mit einem Blick in unsere Datenbank konnten meine Kollegen prüfen, ob er bei seinem behandelnden Arzt in guten Händen ist." Den professionellen Journalismus ersetzen Foren, Leserkommentare und Blogs dabei nicht, Wegner sieht daher auch keine Widersprüche zwischen neuen und alten Formen des Journalismus. Je professioneller ein Blog werde, desto mehr nähere es sich journalistischen Standards an, sagt er.

Wahrhaftigkeit und Transparenz hält Wegner für besonders wichtig. Daher würden Falschmeldungen bei "Focus Online" auch nicht einfach aus dem Netz genommen, sondern – mit einem Korrekturhinweis versehen – online bleiben.

Neue Wege

Die Reise des Jochen Wegner ist sicher noch nicht zu Ende, auch beruflich nicht. Am "Ziel seiner Träume" sei er bereits vor vielen Jahren angelangt, als er von seinem potenziell brotlosen Dasein als Journalist plötzlich habe leben können, behauptet Wegner. Über das Ziel seiner Träume will Wegner nun offenbar hinaus. Zusammen mit dem Software-Pionier, früheren Yahoo-Manager und Web-Investor Marco Börries will er eine Service-Plattform für verlegerischen Content rund ums Zukunftsthema iPad aufbauen. Womöglich hatte Wegner bei Focus Online am Ende nicht mehr die Möglichkeiten, die er zu Beginn seiner Karriere bei Burda hatte. Dass mit journalistischen Inhalten im Netz nicht sehr viel Geld zu verdienen ist, war bei Burda zuletzt offenbar fest in den Köpfen. Für jemanden wie Wegner, der ein Journalist mit Herzblut ist und der ungern halbe Sachen macht (vor allem nicht im Internet!), war es zuletzt vielleicht zunehmend schwierig.

Sein größter Luxus sei es, sagt Wegner, samstagnachmittags einmal auf der Couch liegen zu können und nichts zu tun. Die Freizeit könnte künftig noch etwas knapper ausfallen, wenn es gilt, das neue Geschäft anzukurbeln. Aber einfach nichts tun, kann ein Jochen Wegner ohnehin nicht. Einmal habe er einen Tag freimachen wollen, von "Focus Online" und Familie und sei einfach nur durch München geschlendert, erzählt er. Einen halben Tag habe er dies ausgehalten und dann begonnen, die Mails auf seinem Blackberry zu beantworten. Er bekommt viele Mails und hat viel zu tun. Vielleicht ist das der Grund, warum er sich bei alten Freunden manchmal wochenlang nicht meldet. Das ist übrigens die einzige wirkliche Unart, die man über Wegner erfahren kann, wenn man Menschen anspricht, die ihn kennen.


Bei dem Porträt über Jochen Wegner handelt es sich um eine geringfügig aktualisierte Version eine Textes aus dem Buch "Die Alpha-Journalisten 2.0", das 2009 erschienen ist. Das Porträt ist auch bei epd medien (Ausgabe 11/2009) erschienen.