Nadia Qani ist eine erfolgreiche Geschäftsfrau. In Frankfurt am Main hat sie eine Firma mit rund 50 Mitarbeitern. Bemerkenswert ist das insofern, als Qani vor 30 Jahren ihrem politisch verfolgten Ehemann nach Deutschland folgte und hier gerade mal mit einem Sommerkleid ankam. Im Land der Zuflucht entpuppte sich die Afghanin zur Unternehmerin. Ihre Lebensgeschichte fand der Krüger-Verlag so interessant, dass er sie verlegte. Qanis Biographie ist 270 Seiten lang; erzählt wird darin unter anderem, wie aus der Tochter eines Fotografen, der vier Ehefrauen und mehr als 20 Kinder hatte, in der Mainmetropole die Inhaberin eines ambulanten Pflegedienstes wurde.
Das Wort "muslimisch" kommt zwar weder im Titel noch in der Unterzeile vor, doch wird wohl so mancher, der das Buch in den Händen hält, die Protagonistin mit eben dieser Religion in Verbindung bringen. "Ich bin eine Deutsche aus Afghanistan", heißt die Biografie. Schon der Titel suggeriert, dass Qani - entgegen dem gängigen Klischee über Frauen aus islamischen Ländern - kein Opfer von Repressalien wurde. Sie ließ sich nicht von religiösen Verboten und Geboten, von Werten und Normen der Herkunftskultur kleinkriegen. Und auch der Untertitel "Von der Drachenläuferin zur Unternehmerin" lässt erkennen, dass eine Erfolgsgeschichte erzählt wird.
Im Ländle aufgewachsen
Bücher von und über Frauen aus dem muslimischen Kulturkreis gibt es mittlerweile zuhauf - die Leidens- und Erfolgsgeschichten erscheinen in Form von Sachbuch, (Auto-)Biografie oder gar als eine Mischung aus beiden. Unabhängig vom Format ähneln sich die Bücher in der Aufmachung. Meist ist auf dem Cover ein Kopfbild der Protagonistin/Autorin abgebildet, nicht selten enthält der Titel einen Hinweis auf die Herkunft sowie Begriffe wie "muslimisch", "Moschee" und "zwischen den Welten". Nur ein Beispiel: "Ich träume deutsch ... und wache türkisch auf. Eine Kindheit in zwei Welten" lautet der Titel von Nilgün Tasmans Buch, einer im Ländle aufgewachsenen und aus der Türkei stammenden Frau, die ihr Manuskript unaufgefordert an den Herder-Verlag geschickt hatte.
Auch das Schema, nach dem die Seiten gefüllt werden, ist ähnlich: Die Autorinnen schildern teils sehr persönliche Erlebnisse, berichten aus dem Familienleben und beschreiben oziale Verhältnisse. Als Referenz für die Thesen und Aussagen werden Freundinnen und Bekannte hinzugezogen, hier und da Statistiken und Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen eingeflochten. Meist gibt es, sei es in separaten Kapiteln oder als Einsprengsel quer durch das Buch verteilt, eine Einführung in das politische, gesellschaftliche und religiöse System des Herkunftslandes sowie Anmerkungen zur deutschen Integrationsdebatte.
Bei der Lektüre manch eines der Bücher stellen sich allerdings Zweifel ein, ob all die Gesellschaftsanalysen und politischen Forderungen und Statements tatsächlich von den Autorinnen stammen und nicht etwa dem Fleiß von Ghostwriterin oder Lektorin geschuldet sind. Da die Bücher das vermeintliche Ziel verfolgen, den ob der hitzig geführten Islamdebatte verunsicherten Leser aufzuklären, gerieren sich die allermeisten Autorinnen als Expertinnen in Sachen Islam, Herkunftsland und -gesellschaft.
Lektoren hinterfragen die Aussagen nicht
Das aber ist ein nicht ungefährliches Unterfangen. Denn die häufig über 200 Seiten langen Büchern - der Umfang scheint verlagstechnische Gründe zu haben, denn inhaltlich ist er in den meisten Fällen nicht zu begründen - enthalten immer wieder auch Aussagen, die offensichtlich von Lektoren nicht hinterfragt wurden, die aber schlicht und einfach falsch sind. Und diese beziehen sich nicht allein auf den Kontext Islam, sondern auch auf Alltagspraxis. Wenn etwa Aylin Korkmaz (Foto: dpa) in ihrer Autobiographie "Ich schrie um mein Leben. Ehrenmord mitten in Deutschland" schreibt, dass "in der Türkei Geburtstagsfeiern nicht üblich sind", dann ist das in dieser verallgemeinerten Form nicht richtig.
Die hitzig geführte Debatte über den Islam führt bei vielen zur Verunsicherung, und bei manchem entsteht das Bedürfnis nach Aufklärung. Dazu trägt aber die Befindlichkeitsprosa von Pseudoexpertinnen, die sich aufgrund ihrer Herkunft auch dazu berufen fühlen, Auskunft über den Islam und die muslimische Gesellschaft zu geben, nicht wirklich bei. Im Gegenteil! Sie führen eher zur Verfestigung von Vorurteilen. Insofern müssten Verlage und Lektoren einen verantwortungsbewussteren Umgang mit Manuskripten pflegen, die ihnen - sei es unaufgefordert, sei es über die Vermittlung von Agenten - vorgelegt werden.
Selbstauskünfte und Leidensgeschichten wie die von Aylin Korkmaz oder Serap Cileli ("Wir sind eure Töchter, nicht eure Ehre", erstmals erschienen 1999) sind mittlerweile nicht ganz passé, um die Gunst der Leser konkurrieren inzwischen aber auch ganz andere Bücher. Der Fokus wird neuerdings auch auf die "Powerladys" aus dem muslimischen Migrationsmilieu gerichtet. Eine dieser Powerladies ist Ayse Auth. "Freiheit schmeckt wie Tränen und Champagner. Mein wunderbares Leben gegen den Strom" lautet der Titel des Buches, in dem die türkischstämmige Friseurin mit Geschäften in Frankfurt und München aus ihrem Leben plaudert.
Eingeleitet hat die leichte und fröhliche Erzählform zweifelsohne Hatice Akyün. ?hre Bücher "Einmal Hans mit scharfer Soße" und "Ali zum Dessert" handeln von ihrem und dem Leben ihrer aus Anatolien stammenden Eltern. Mit amüsanten Anekdoten macht sie deutlich, dass sie ihre Vorstellung vom Leben immer weniger mit den Erwartungen der Familie in Einklang bringen konnte. Kaputtgegangen ist Akyün daran nicht. So ihre Botschaft. Die 41-Jährige erzählt mal mit Humor, mal mit ironischer Distanz und immer liebevoll von sich und ihrer Familie - und sie erzählt es selbst.
Mit Hilfe von Ghostwritern
Denn nicht immer sind es die Frauen selbst, die ihre Geschichten aufs Papier bringen. Und nicht immer enthält das Buch den entsprechenden Hinweis auf den Ghostwriter. Immerhin machte der Krüger-Verlag kein Geheimnis über die tatsächliche Verfasserin von Qanis Biografie und veröffentlichte auch deren Namen. Bei manch einer Autobiografie wäre es durchaus wünschenswert gewesen, wenn eine des Schreibens kundige Hand die Federführung gehabt hätte. Denn Bücher wie "In meiner Not rief ich die Eule" (Betül Licht) sind keine leichte Kost - nicht nur allein wegen des Inhalts, sondern auch wegen der Art des Erzählens.
Romane sind übrigens eine eher seltene Form für die Auseinandersetzung rund um das Thema Frauen aus muslimischen Migrantenmilieu. Als vor rund 20 Jahren Renan Demirkans Roman "Schwarzer Tee mit drei Stück Zucker" erschien, zog er sehr große Aufmerksamkeit auf sich. Das Buch wurde zum Verkaufsschlager. Eine vergleichbare Resonanz wie das Debüt der deutsch-türkischen Schauspielerin erweckte in Folgezeit kein anderer Roman.
In einem ähnlich unaufgeregten Stil und fern von Larmoyanz geschrieben hat auch Dilek Güngör: "Das Geheimnis meiner türkischen Großmutter" ist das Debüt der Journalistin, die als Tochter von Arbeitsmigranten 1972 in Schwäbisch-Gemünd zur Welt kam. Ihr autobiografischer Roman handelt von einer jungen Deutsch-Türkin, die sich langsam an das ihr fremde Herkunftsland nähert und dabei ein Geheimnis lüftet. Eine Journalistin ist auch die Autorin von "Mihriban pfeift auf Gott": Hilal Sezgin, Tochter von deutsch-türkischen Eltern, die beide Islamwissenschaftler sind. Sonst eine versierte Autorin von Essays zum Thema Islam, entpuppt sie sich mit diesem Buch als Schriftstellerin mit leichter Feder.
Am Anfang stand Saliha Scheinhardt
Eine der ersten aus der Türkei stammenden Autorinnen, die das Schicksal von zwangsverheirateten und unterdrückten Frauen in den Mittelpunkt rückte, war übrigens Saliha Scheinhardt. Anfang der 1980er Jahre erschien ihr Erzählband "Drei Zypressen". Die literarische Qualität ihrer authentischen Geschichten geriet gänzlich in den Hintergrund, das Lesepublikum interessierte sich damals mehr für den Inhalt. Denn in jenen Jahren war hierzulande wenig bekannt über die Frauen aus muslimischen Ländern, die im Zuge der Arbeitsmigration in die Bundesrepublik gekommen waren. Scheinhardt ist weitgehend in Vergessenheit geraten.
Einen Namen haben heutzutage vor allem Necla Kelek ("Die verkaufte Braut", Foto: dpa) und Seyran Ates; die beiden Autorinnen gelten als Stimme der entrechtechten Muslima. In "Große Reise ins Feuer. Die Geschichte einer deutschen Türkin" hat Ates über ihr eigenes Leben als Tochter anatolischer Einwanderer, über den familiären und gesellschaftlichen Druck sowie ihrem Ausbruch aus diesen Zwängen geschrieben. Ihrer 2003 veröffentlichten Biografie folgten weitere Bücher – unter anderem im Herbst vergangenen Jahres eine "Streitschrift", wie es im Untertitel zu "Der Islam braucht eine sexuelle Revolution" heißt. In einer Mischform aus persönlichen Erlebnissen, Aussagen und Auskünften von anderen Frauen und unter Hinzuziehung von wissenschaftlichen Texten und Untersuchungen setzt sich die inzwischen 47-Jährige Rechtsanwältin mit der Frage auseinander, warum es dieser Religion nicht gelingt, sich zu erneuern.
Eine Mischform ist auch Keleks Buch "Die verkaufte Braut". Darin verknüpft die türkischstämmige Autorin Episoden aus ihrer eigenen Familiengeschichte mit Biografien von zwangsverheirateten Frauen, die sie in Deutschland interviewt hat. Mit dieser Arbeit gelang Kelek der Durchbruch als Islamkritikerin und Kämpferin für die Rechte der unterdrückten muslimischen Frau. Kelek ist bei Musliminen aber nicht unumstritten - zu ihren Kritikerinnen zählt beispielsweise die Islamwissenschaftlerin und Religionspädagogin Lamya Kaddor.
Kritik an "selbsternannten Islamexperten"
Als Reaktion auf Keleks Thesen ist Kaddors Buch "Muslimisch. Weiblich. Deutsch. Mein Leben für einen zeitgemäßen Islam" zu verstehen. Sie habe es satt gehabt, schreibt Kaddor, dass Islamkritiker wie Kelek nicht sehen wollen, dass es Frauen gibt, die gläubig sind und einen liberalen Islam leben. Als fromme Muslima habe sie es nicht länger hinnehmen wollen, dass hierzulande "selbsternannte Islamexperten" ohne entsprechende theologische Kenntnisse "den Islam" kritisieren.
Und so nähert sie sich ihrem Thema aus der doppelten Perspektive - der der Gläubigen und der Islamwissenschaftlerin. Die Tochter syrischer Einwanderer, die in einer westfälischen Stadt zur Welt kam und aufwuchs, beschreibt ihre religiöse Sozialisation, indem sie aus dem Familienleben erzählt. Sie schildert ihren ganz persönlichen Weg zum Islam und gewährt Einblick in ihr spirituelles Verhältnis zu Gott. Die Debatte über den Islam will die 38-jährige Kaddor (Foto: epd-bild), wie sie ausdrücklich anmerkt, nicht den Islam-Verbänden und den Islamkritikerinnen überlassen.
"Ich kann den Koran mit dem Verstand einer Wissenschaftlerin und mit dem Herzen einer Gläubigen betrachten", stellt Kaddor klar und kritisiert Islaminterpretationen, die beispielsweise mit der Unterdrückung der Frau einhergehen. Kritik übt sie mit dem Wissen einer Expertin und aus der Position der Gläubigen, die einen positiven Bezug zu ihrer Religion hat. Und gerade deswegen ruft Kaddor denn auch zur innerislamischen Diskussion darüber auf, wie der Islam zeitgemäß zu leben ist und was an dieser Religion einer Reform bedarf. Ihr Ton und ihre Herangehensweise sind – anders als der vieler anderer Autorinnen – versöhnlich.
Neben all den Sachbüchern über muslimische Migrantinnen und den Erfahrungsberichten schaffen es inzwischen auch Bücher auf den Markt, die frech-fröhlich daherkommen und ebenfalls den Anspruch erheben, Einblick in das wirkliche Leben von "muslim girls" geben. Mit eben dieser Absicht hat sich Sineb al Masrar ans Schreiben gemacht. Pünktlich zur Frankfurter Buchmesse erschien ihr Buch "Muslim Girls. Wer wir sind ...". Dass die 1981 in Hannover geborene Autorin, die zwar humorvoll, zuweilen frech schreibt und sich somit von der larmoyanten Betroffenheitsprosa abhebt, ihrer Ankündigung nicht gerecht wird, scheint allerdings den Lektoren entgangen zu sein.
Die "muslim girls" betreten die Bühne
Denn die Antwort auf die Frage, was die muslim girls verbindet und wer sie denn nun wirklich sind, bleibt die 29-Jährige ihren Lesern schuldig. Zu lesen ist, dass sie modebewusst und sexy sind, dass sie gerne ausgehen und am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Für diese Informationen hätte es solch ein Buch nicht gebraucht. Denn schon allein der Blick auf deutsche Straßen macht die Vielfalt der mu limischen Frauen deutlich. Und wie viele Autorinnen vor ihr widmet sich Masrar, deren Eltern aus Marokko stammen, auch der Arbeitsmigration und liefert - inzwischen hinreichend bekannte - Informationen über den Islam und muslimische Communities in der Bundesrepublik.
Weit aus mehr zu erfahren ist, zumindest über ein muslim girl, von Melda Akbas. "So wie ich will: Mein Leben zwischen Moschee und Minirock" heißt das Buch der gerade einmal 19 Jahre alten Deutsch-Türkin. Sie schreibt über das Hin- und Hergerissensein zwischen der Herkunftskultur, den vermeintlich religiös motivierten Verboten und Geboten und dem Wunsch nach einem Leben frei von Zwängen. Am Ende der Lektüre sind aber nicht alle Fragen beantwortet – wie etwa die, ob die gesellschaftlichen Analysen und Weisheiten tatsächlich der Reflexion dieser Gymnastin entstammen.
Am Ende der Lektüre all der vielen Bücher gewinnt man den Eindruck: Über das Leben und Leiden der muslimischen Frau ist eigentlich alles geschrieben und gesagt - nur nicht von allen.
Canan Topçu ist Redakteurin bei der "Frankfurter Rundschau". Sie lebt in Hanau und arbeitet auch als freiberufliche Journalistin.