UN-Klimaverhandlungen: Die Erde retten wir später
Gegenseitige Vorwürfe, kühles Taktieren und eine bürokratische Maschinerie. Die Klimaverhandlungen der Vereinten Nationen treten auf der Stelle. Es fehlt der politische Wille. Die Zeit für konkrete Schritte zum Kampf gegen die Erderwärmung läuft ab.
04.10.2010
Von Andreas Landwehr

Aus dem Scheitern des Weltklimagipfels vor einem Jahr hat UN-Klimachefin Christiana Figueres eine Lehre gezogen: "Es lässt sich kein Hochhaus bauen, ohne erst das Fundament zu legen." In einem neuen Anlauf zum nächsten Weltklimagipfel in zwei Monaten im mexikanischen Cancún sollen jetzt die Grundmauern hochgezogen und die nötige Infrastruktur für ein neues Klimaabkommen geschaffen werden. Doch das ist leichter gesagt als getan: Zum Auftakt der UN-Verhandlungen im funkelnagelneuen Konferenzzentrum der nordchinesischen Metropole Tianjin prallten die Gegensätze erstmal unversöhnlich aufeinander.

Die ärmeren Staaten und China erinnerten die entwickelten Länder sofort an ihre Zusagen, ihnen bei der Bewältigung des Klimawandels finanziell und technologisch helfen zu wollen. Davon hängt im Moment das letzte bisschen Glaubwürdigkeit ab, das die reichen Industrieländer im Moment noch genießen. Doch es ist das alte Spiel: "Sie werfen sich gegenseitig den Ball ins Feld, damit der andere anfängt", sagt Raman Mehta von der Organisation ActionAid in Indien. Im Ergebnis bedeutet das Stillstand: "Sie einigen sich auf nichts, solange es keine Einigung über alles gibt."

Keine Grenzen für Treibhausgase

Nach allem politischen Gerede seit Kopenhagen müssten jetzt die "institutionellen und architektonischen Vereinbarungen" getroffen werden, um den Klimaschutz auf den rechten Weg zu bringen, fordert der EU-Delegierte Peter Wittoeck. Er will vor den 3000 Teilnehmern aus 177 Ländern nicht locker lassen: "Es ist wichtig, dass Cancún ein erfolgreiches Ergebnis erzielt." Doch steht schon heute fest, dass ein Weltklimavertrag als Nachfolgeabkommen für das 2012 auslaufende Kyoto-Protokoll mit bindenden Grenzen für Treibhausgase auch in Cancún nicht zustande kommt.

Was wäre dann also ein Erfolg in Mexiko? Die EU-Unterhändler hoffen auf ein "ausgewogenes Paket" mit Entscheidungen in einzelnen Punkten. Der Vertreter der EU-Kommission, Artur Runge-Metzger, sieht den Klimagipfel in Cancún ohnehin nur als Teil eines längeren Prozesses. Er hofft bescheiden auf "Fortschritte". "Das wird die Welt nicht retten", räumt Runge-Metzger ein. Cancún sei auch nicht die letzte Chance. "Wir sind noch nicht so weit in den Verhandlungen." Jetzt wird schon der nächste Gipfel 2011 in Südafrika avisiert - die Erde wird weiter auf ihre Rettung warten müssen.

Westliches Wachstumsmodell basiert auf Verschwendung

Um schneller voranzukommen, bemüht UN-Klimachefin Figueres im Plenum eine Weisheit des weithin respektierten, 1976 gestorbenen chinesischen Ministerpräsidenten Zhou Enlai: "Gemeinsamkeiten suchen, Differenzen beiseitelegen." Da die Unterschiede in Tianjin aber bei weitem überwiegen, passt der Leitsatz höchstens zum Tagungsort in China. Er steht auch im Lehrbuch chinesischer Diplomatie - erfreut sich in der Praxis aber nur begrenzter Erfolge.

Allerdings hätten sich die Vereinten Nationen keinen besseren Ort aussuchen können. Nirgendwo lässt sich den Teilnehmern besser vor Augen führen, welche Dynamik in den Schwellenländern heute den Ausstoß der Treibhausgase vorantreibt und wie groß deswegen die Dringlichkeit eines Klimaabkommens ist. In keinem Land der Welt wird heute soviel Kohlendioxid in die Atmosphäre abgegeben und soviel Energie verbraucht wie in China, der zweitgrößten Volkswirtschaft.

Auf keinem anderen Land liegen aber auch so viele Hoffnungen für eine Erholung der Weltkonjunktur wie auf China, dessen Wirtschaft mit rund zehn Prozent Wachstum brummt. Dank des Booms geht es der Weltwirtschaft besser, was nicht unbedingt für das Klima gilt. Die Erderwärmung stellt das in China kopierte westliche Wachstumsmodell insgesamt infrage, weil es zu stark auf Verbrauch oder gar Verschwendung basiert. Mit dem wachsenden Wohlstand in China und Indien stößt die Welt an ihre Grenzen - ohne dass sie die Kraft für Auswege findet. 

dpa