Alt-Katholiken: "In der Taufe ist die Einheit schon längst da"
Eine katholische Kirche ohne Papst, dafür mit verheirateten Geistlichen und Frauen am Altar? Die alt-katholische Kirche ist eine Besonderheit in der konfessionellen Vielfalt des Christentums. Sie entstand im Jahr 1870, nachdem der Vatikan das Dogma von der päpstlichen Unfehlbarkeit in Lehrfragen verkündet hatte. Heute leben in Deutschland rund 15.000 alt-katholische Christen. Am Rande der Bistumssynode in Mainz, die an diesem Sonntag zu Ende geht, traf evangelisch.de Bischof Matthias Ring zum Gespräch. Darin erläutert er, was die Alt-Katholiken ausmacht, warum Priesterinnen bei ihnen ganz selbstverständlich sind, was sie theologisch von den Protestanten unterscheidet - und warum sie bisweilen auch Angst vor zu viel Ökumene haben.
02.10.2010
Die Fragen stellte Bernd Buchner

Herr Bischof, was ist "alt" an den Alt-Katholiken?

Ring: Das Wort "alt" hatte im 19. Jahrhundert eine ganz andere Bedeutung. Es war noch nicht die Zeit des Jugendkults. Männer ließen sich einen Bart wachsen, um möglichst schnell alt auszusehen. Wer alt war, hatte Macht und Einfluss. Das hat sich geändert - heute will jeder jung sein, auch wenn er achtzig ist. Im Jahr 1870 haben die Alt-Katholiken gesagt: Die vatikanischen Dogmen sind eine Neuerung, wir bleiben beim alten katholischen Glauben. Heute ist dieser Name ein riesiges Marketingproblem, denn unter alt-katholisch versteht man die „ganz Strengen“, wie man in Bayern salopp sagt ... Der Rückbezug auf die Alte Kirche, also jene der ersten Jahrhunderte, ist prägend für uns. Wir müssen immer wieder reformieren und verändern, gerade indem wir auf die Anfänge schauen. Kirche hat sich ständig weiterentwickelt. Das darf die Kirche, bitteschön, auch heute.

Aus anderen Kirchen heißt es häufig, die Alt-Katholiken seien ja eigentlich Protestanten ...

Ring: Vom äußeren Erscheinungsbild gibt es bei uns tatsächlich vieles, was an die evangelische Kirche erinnert. Unsere synodale Tradition ist sogar noch älter als bei den meisten protestantischen Landeskirchen. Aber wenn der Weihrauch qualmt, merkt man, dass wir eben doch katholisch sind. Die konfessionelle Zugehörigkeit ist ja auch eine Mentalitätsfrage.

Ist es nicht manchmal schwierig zu erklären, dass Sie zwar katholisch sind, aber Frauen zu Priesterinnen weihen und kein Zölibat kennen?

Ring: Was soll daran schwierig sein? Die meisten Menschen finden das toll und wünschen es sich, sofern sie römisch-katholisch sind, auch für die eigene Kirche. Das Verständnis für den Zölibat als geistliche Entscheidung ist fast bei null. Dass Frauen Pfarrerinnen sein können, ist zumindest in Deutschland kein Thema mehr. Über uns sagen viele: Aha, die sind so zwischen evangelisch und römisch-katholisch. Aber ich halte nicht viel vom Bild der Brückenkirche - denn eine Brücke ist etwas, über das man hinübergeht. Aber wir können eine vermittelnde Position zwischen den Konfessionen haben. Es fällt uns relativ einfach, mit der evangelischen Kirche Ökumene zu pflegen, obwohl uns einige Punkte ganz klar trennen. Mit der römisch-katholischen Kirche vereint uns viel, aber da ist die Nähe ein Problem. Neulich sagte ich mal: Wenn ich statt mit Stab und Mitra mit Federschmuck herumlaufen würde, würden sich römisch-katholische Bischöfe leichter mit mir tun, weil dann ein klarer Unterschied da wäre. Natürlich kommen auch viele unserer Gemeindemitglieder und Geistlichen aus der römisch-katholischen Kirche. Wir sind die Kirche des sich stets erneuernden Schismas, denn unsere Zuwächse beruhen auf Beitritten.

Wie viele Alt-Katholiken gibt es in Deutschland?

Ring: Am 31. Dezember 2007 waren es, das ist die aktuellste Statistik, 15.291. Vor 20 Jahren lag die Zahl bei 12.000. Wir haben eine Erneuerungsentwicklung, manche Gemeinden haben ein recht starkes Wachstum. In Bonn etwa ist die Zahl der Gläubigen von 250 auf 600 gestiegen. Tendenziell haben wir eine Überalterung, denn jene, die beitreten, sind in der Mitte des Lebens. Auf der anderen Seite gibt es auch junge Gemeinden, und Wachstumszonen im Rheinland und im Rhein-Main-Gebiet. Aber man sieht natürlich, dass wir eine sehr kleine Kirche sind. Für manchen Alt-Katholiken ist das ein Problem. Man möchte gerne viele sein - man ist ja auch lieber Fußballfan vom FC Bayern als vom FC Hinterschlappenreuth. Aber diese 15.000 Menschen leisten sich immerhin 35 hauptamtliche Geistliche. Auch das muss man sehen. Insgesamt haben wir einen Klerus von 90 bis 100 Geistlichen, die zum Teil nebenamtlich tätig sind.

Bezahlen die Alt-Katholiken Kirchensteuer?

Ring: Ja, rund 2,8 Millionen Euro jährlich.

Woran merkt ein papsttreuer Katholik, dass er in einer alt-katholischen Kirche ist?

Ring: An der Architektur nicht. Wir haben zum Teil historische Kirchen, die uns im 19. Jahrhundert zugesprochen wurden. Um das Jahr 1900 haben wir angefangen, selbst Kirchen zu bauen, etwa in Karlsruhe. Jede Zeit baut anders. In Frankfurt am Main haben wir eine sogenannte Hauskirche, das frühere Titania-Kino. Der ehemalige Kinosaal ist Bürgerzentrum, das Foyer ist Gottesdienstraum. Die Lösung Hauskirche war allerdings eine der 1970, 1980er Jahre. Heute wird wieder klassisch gebaut, etwa in Hannover und bald in Augsburg.

Und der Gottesdienst?

Ring: Dort merkt man den Unterschied daran, dass bestimmte Antworten ein bisschen anders sind. Bei uns heißt es "Gott dem Herrn sei Dank" statt "Dank sei Gott dem Herrn", auf "Erhebet Eure Herzen" folgt nicht "Wir haben sie beim Herrn", sondern "Wir erheben sie zum Herrn". Das hängt damit zusammen, dass wir die Liturgie bereits 1884 ins Deutsche übertragen und so beibehalten haben.

Und die Neuerungen durch das Zweite Vatikanische Konzil, etwa Volksaltar und Laienkelch?

Ring: Auch bei uns feierte der Priester die Messe bis in die 1960er Jahre mit dem Rücken zum Volk, und es gab keine Kelchkommunion. Man wollte vermeiden, dass man als Protestant gilt und die eigenen Sakramente als ungültig betrachtet werden. Wir haben zwar gewagt, die Messe auf Deutsch zu feiern - aber die Liturgie der Bischofsweihe blieb lateinisch. Dahinter steckt, dass die römisch-katholische Kirche unter Leo XIII. (1878-1903) die anglikanischen Weihen für ungültig erklärte - weil man in England das Weiheformular verändert hatte. So blieb unsere Spendeformel bei der Bischofsweihe lange Zeit lateinisch. Heute würde man sagen: Das ist magisches Denken. Doch die Katholiken waren damals so, die haben so getickt - und die Alt-Katholiken auch.

Erkennt die römisch-katholische Kirche die alt-katholischen Bischofsweihen an?

Ring: Es gibt diese schöne Unterscheidung: gültig, aber unerlaubt. Alles, was ich mache, ist gültig, aber nicht erlaubt - weil es nicht in Gemeinschaft mit Rom geschieht. Das Problem ist aber die Frauenordination. Es gibt römisch-katholische Theologen, die sagen, in dem Moment, in dem wir eine Bischöfin haben, sind alle von ihr gespendeten Weihen ungültig. Andere sind der Meinung, es reiche schon, dass wir die Frauenordination eingeführt haben - damit hätten wir uns vom katholischen Amtsverständnis entfernt. Damit sei unser Amt defekt, so wie das evangelische Amt defekt sei. Diese Theorie hat sich bislang in Rom nicht durchgesetzt.

Wann ist die Zeit reif für eine alt-katholische Bischöfin?

Ring: Die Frage ist, wann wir genug Frauen haben. Das ist ein langwieriger Prozess. Wir haben 1996 die ersten Frauen ordiniert und momentan gerade einmal zwei Pfarrerinnen, eine Theologieprofessorin und sieben weitere weibliche Geistliche. Es gibt aber keine Bedenken gegen eine Bischöfin. Die Gemeinden empfinden Frauen im Amt auch nicht als etwas Besonderes. Da ist Normalität eingekehrt, wohl auch weil in der Gesellschaft die Frauenfrage prinzipiell durchgefochten ist. Man muss leider sagen, dass Kirche in all diesen Fragen selten Avantgarde ist.

Die Abendmahlsfrage trennt Protestanten und Alt-Katholiken nicht.

Ring: Es gibt seit 1985 eine gegenseitige Einladung. Die Vereinbarung wurde geschlossen, weil das zuvor bereits viele Jahre lang Praxis war. Auch gemeinsame Gottesdienste gab es schon immer. Diese sogenannte Interzelebration ist durch die Vereinbarung gar nicht gedeckt. Aber in der Ökumene muss die Praxis der Theorie vorausgehen, sonst ändert sich überhaupt nichts.

(Foto: Bischof Ring, rechts, mit dem leitenden Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands, Johannes Friedrich, beim Jubiläumsgottesdienst der 25-Jahrfeier der Einladungserklärung am 18. September in Bonn)

Worin unterscheiden sich das Abendmahlsverständnis?

Ring: Wir Alt-Katholiken gehen von der bleibenden Gegenwart Christi in Brot und Wein aus. Das ist ein Problem in der Praxis. Wenn wir miteinander Abendmahl feiern, geht es eben nicht, dass man hinterher den übriggebliebenen Wein wegschüttet. Die praktischen Dinge, die natürlich auch einen theologischen Hintergrund haben, sind ein ganz heikles Feld. Man muss klare Absprachen treffen, sonst kann es zu Verletzungen kommen.

Der Papst ist ein Stolperstein der Ökumene. Welchen Blick haben Sie auf das Kirchenoberhaupt?

Ring: Wir Alt-Katholiken haben immer gesagt, wir halten am Primat fest, wie er in der Alten Kirche war. Solange man nicht nachfragt, was das konkret heißt, ist das alles schön und gut. Jetzt liegt das römisch-katholisch/alt-katholische Konsenspapier "Kirche und Kirchengemeinschaft" auf dem Tisch - das ist mit Emotionen und Ängsten verbunden. Wenn ein kleiner Partner mit einem sehr großen Partner Gespräche führt, gibt es immer Ängste, geschluckt zu werden. Wenn man das Papier liest, merkt man, dass das an den Haaren herbeigezogen ist. Es legt zum ersten Mal dar, wie wir uns eine Gemeinschaft mit Rom und dem Papst vorstellen können - ohne dabei unsere Selbstständigkeit aufzugeben. Nun muss auch die römisch-katholische Seite die Hand zum Schwur erheben, ob sie sich ein Konzept kirchlicher Gemeinschaft jenseits der Rückkehr-Ökumene vorstellen kann.

Welche Vorstellung haben Sie genau?

Ring: Der Papst hat in der Kirche die Rolle des Moderators. Er ist für die Einheit zuständig. Seine Aufgabe ist es, zwischen den einzelnen autonomen Kirchen zu vermitteln und gegebenenfalls zu sagen: Moment, ihr macht jetzt etwas, was für andere ein Problem ist, was die Einheit gefährdet. Man muss ihm dann auch das Recht geben können, in eine Kirche hineinzusprechen - nicht hineinzuregieren. Das hört sich nach wenig an, aber das wäre eine Möglichkeit, wie man das Amt der Einheit verstehen kann.

Evangelische Bischöfe holen sich regelmäßig blaue Augen aus den eigenen Reihen, wenn sie vom Ehrenprimat des Papstes sprechen.

Ring: Wir haben diesen Begriff natürlich auch auf der Agenda. Die Frage ist nur, was man darunter versteht. Der Begriff muss gefüllt werden. Ist der Papst nur Ehrenvorsitzender, oder gesteht man ihm eine gewisse Kompetenz zu? Von einem Ehrenprimat ohne Kompetenzen zu sprechen, ist Etikettenschwindel. Aber diese Kompetenzen muss man klar benennen. Allein schon eine Moderatorenfunktion schließt Kompetenzen ein. Der Vatikan hätte dann aber auch ein viel mühseligeres Geschäft. Es ist einfacher zu sagen: Diskussion verboten, oder das ist jetzt eingeführt.

Jeder ökumenische Weg hat das Ziel der Einheit, jede Kirche stellt sich damit infrage. Löst das bei den Alt-Katholiken auch Ängste aus?

Ring: Theologisch gesehen, sind wir schon eins in der Taufe. Man muss Abschied nehmen von dem Ökumene-Modell, dass man erst volle Übereinstimmung hat, und dann kommt die große Einheit. Dieses Alles-oder-nichts-Modell ist theologisch nicht sauber und unhistorisch. Kirche war immer ein plurales Gebilde. Die große Einheitskirche wird es nicht geben - spätestens bei der nächsten Frage, die auf dem Tisch liegt, wird es wieder zu einer Abspaltung kommen. Die Frage ist, wie man es schafft, diese verschiedenen pluralen Gebilde in Gemeinschaft zu halten. Vielleicht sollte man sogar vom Begriff der Einheit Abschied nehmen. Wir stellen uns darunter so etwas wie die deutsche Einheit vor - einen äußerlichen Prozess. Aber wir wissen ja, dass das auch eine innere Seite hat. Man kann äußerlich etwas vereinigen, und es ist nicht eins - man kann aber auch innerlich eins sein, ohne die äußeren Strukturen zusammenzuwerfen. Wir brauchen in der Ökumene einen Paradigmenwechsel. Die Konsens-Ökumene führt in die Sackgasse, auch wenn man es differenzierten Konsens nennt. Das bedeutet ja nur, dass man weiß, worin man unterschiedlicher Meinung ist. Wir sagen nicht wie die römisch-katholische Kirche: Erst am Ende wenn alles klar ist, können wir Eucharistie feiern. Eucharistie ist nicht die Belohnung für Einheit, sondern bereits jetzt die Möglichkeit zu erfahren, dass wir eins sind. Vielleicht muss man gerade, wenn man gespalten ist, miteinander Eucharistie feiern.

In der Ökumene ist viel von Profilen die Rede. Was ist das Profil der alt-katholischen Kirche, was ist besonders an ihr?

Ring: Wir sind eine katholische Kirche. Unser geistesgeschichtlicher Auftrag ist, Katholizismus und Moderne zu verbinden. Gerade weil wir eine kleine Kirche sind, können wir dabei auch einmal neue Wege gehen, eher experimentieren. Eine große Kirche ist ein riesiger Tanker - bis der mal wendet und seine Richtung ändert, das dauert. Das heißt aber auch, wir gehen eher einmal einen Irrweg. Natürlich versucht auch die römisch-katholische Kirche, Katholizismus und Moderne zu verbinden. Aber wir haben da ein alternatives Konzept.


Dr. Matthias Ring (47) stammt aus dem oberfränkischen Wallenfels bei Kronach und studierte katholische sowie alt-katholische Theologie in Würzburg und Bonn. Nach der Priesterweihe 1989 war er als Geistlicher in Regensburg tätig, von 2000 bis 2005 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am alt-katholischen Seminar der Universität Bonn. Seine Doktorarbeit schrieb Ring über das Thema "Katholisch und Deutsch. Die alt-katholische Kirche Deutschlands und der Nationalsozialismus". Seit 2005 wieder Pfarrer in Regensburg, wurde der Theologe am 7. November 2009 von einer außerordentlichen Synode der alt-katholischen Kirche zum Nachfolger von Bischof Joachim Vobbe gewählt. Die Bischofsweihe folgte am 20. März diesen Jahres in Karlsruhe. Ring ist der zehnte Bischof der deutschen Alt-Katholiken.