Viele Verletzte bei Protesten gegen Stuttgart 21
Eskalation in Stuttgart: Mit Pfefferspray und Wasserwerfern geht die Polizei gegen die Gegner des umstrittenen Bahnprojekts vor. In der Nacht sollen die ersten Bäume gefällt werden. Die Gegner leisten erbitterten Widerstand.

Der Konflikt um das Bahnprojekt Stuttgart21 eskaliert. Bei der Räumung des Schlossgartens sind am Donnerstag viele Demonstranten verletzt worden. Nach Informationen der Aktivisten erlitten 300 bis 400 Menschen leichte Augenverletzungen, als sich die Polizei mit Tränengas, Pfefferspray und Wasserwerfer einen Weg durch die Menge bahnte. Empörung löste auch der Polizeieinsatz gegen eine Schülerdemonstration aus.

Kirchenvertreter reagierten mit Erschütterung auf die Zusammenstöße. Der katholische Bischof von Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst, und der evangelische württembergische Landesbischof Frank Otfried July riefen gemeinsam dazu auf, "unverzüglich von der Gewalt Abstand zu nehmen und zum Gespräch zurückzukehren".

Erste Bäume sollen gefällt werden

Alle Parteien sollten auf den "Einsatz gewalttätiger und illegaler Mittel" verzichten, forderten die Bischöfe. Eine erschreckende Unversöhnlichkeit, wie sie bei den aktuellen Vorgängen zutage trete, erschüttere das Gemeinwesen in seinen Grundfesten. Die Kirchen müssten dem in aller Entschiedenheit entgegentreten, betonten Fürst und July.

In der Nacht zum Freitag sollen in dem Park die ersten von insgesamt 300 Bäumen gefällt werden. Tausende Menschen protestierten gegen die geplante Abholzung. Die "Parkschützer" kündigten massiven Widerstand an. "Masse zählt, weil die Polizei nicht tausende Leute räumen kann", sagte der Sprecher der "Parkschützer", Matthias von Herrmann.

Gewalt gegen Beamte

Die Polizei konnte noch keine Verletztenzahl nennen. Es gebe aber auch Gewalt gegen Beamte, sagte eine Sprecherin: "Es sind Steine geflogen." Ob dabei Polizisten verletzt wurden, konnte sie nicht sagen. Auf einem dpa-Bild war ein verletzter Demonstrant zu sehen, der heftige Schwellungen und Blutungen im Augenbereich erlitten hat.

Die frühere Verdi-Landesvorsitzende Sybille Stamm berichtete von massivem Gewalteinsatz bei der Auflösung von Blockaden. Sie habe neben Demonstranten gestanden, die sich an einen Zaun gekettet hatten, und sei ohne Vorankündigung von Polizisten zu Boden geworfen, getreten und mit Tränengas besprüht worden. "Das habe ich seit '68 nicht erlebt", sagte Stamm.

Einsatz gegen Schülerdemo

Am Vormittag hatten laut Polizei mehr als 1.000 Schüler im Schlossgarten gegen die Räumung des Parks demonstriert. Etwa 30 Schüler hatten einen Polizei-Lkw mit Absperrgittern besetzt und wurden später von Spezialkräften der Polizei heruntergeholt. "Dass dieser Aufmarsch der Polizei während der Schüler-Demo stattfindet, finde ich die größte Unverschämtheit", sagte der Grünen- Verkehrsexperte Werner Wölfle: "Unsere Schüler brauchen diesen Eindruck der geballten Staatsmacht nicht."

Baden-Württembergs CDU-Fraktionschef Peter Hauk warf den Gegnern des Bahnprojekts vor, sogar Kinder für den Protest zu instrumentalisieren. "Ich finde es unverantwortlich von Müttern und Vätern, dass sie ihre Kinder nicht nur mitnehmen, sondern auch in die erste Reihe stellen", sagte Hauk der Nachrichtenagentur dpa in Stuttgart. Er gab den Grünen eine Mitschuld an der Eskalation des Konflikts: "Da geht die Saat, die die Grünen mitgelegt haben, jetzt auf." Hauk verteidigte den Einsatz der Polizei. "In einem Rechtsstaat muss man darauf achten, dass Entscheidungen nicht nur getroffen, sondern auch umgesetzt werden."

Kritik von den Grünen

Der Grünen-Bundesvorsitzende Cem Özdemir mahnte die baden- württembergische Landesregierung, den Konflikt nicht weiter eskalieren zu lassen. "Mit einer brutalen Bulldozer-Politik wird die Auseinandersetzung nur schärfer und noch schwieriger werden", sagte Özdemir in Berlin. "Die Strategie von Ministerpräsident (Stefan) Mappus, mit gezielten Provokationen die Stuttgart21-Gegner zu emotionalisieren, um sie anschließend möglichst kriminalisieren zu können, ist offenkundig und zynisch."

Nach Angaben des Stuttgarter Polizeipräsidenten Siegfried Stumpf begannen sechs Hundertschaften der Polizei am Donnerstag um 10.45 Uhr damit, den Baustellen-Aufbau für das Grundwassermanagement durch Gitter zu sichern sowie Baufahrzeuge und Geräte in das Areal im Mittleren Schlossgarten zu bringen. Die Fällarbeiten sollen bis Samstag dauern. Danach werde das Baulager durch einen Zaun abgesperrt.

Beamte auch aus anderen Bundesländern

Innenminister Heribert Rech (CDU) sagte, auch Bundespolizisten sowie Beamte aus Bayern, Rheinland-Pfalz, Hessen und Nordrhein- Westfalen seien nun wegen Stuttgart21 im Einsatz. Es sei Aufgabe der Polizei, diese rechtlich genehmigte Baumaßnahme zu sichern. "Dem kommen wir ohne Wenn und Aber nach", sagte Rech. Die Polizei setze zwar weiterhin auf Deeskalation. Bei Straftaten oder Blockaden werde aber mit Härte vorgegangen.

Das Projekt Stuttgart21 sieht den Umbau des Kopfbahnhofs in eine unterirdische Durchgangsstation und deren Anbindung an die geplante ICE-Neubaustrecke nach Ulm vor. Die Bahn rechnet mit Gesamtkosten von sieben Milliarden Euro. Kritiker rechnen mit einer Kostensteigerung auf bis zu 18,7 Milliarden Euro.

Bäume werden nachgepflanzt

Der Projektsprecher Udo Andriof berichtete, dass zur Einrichtung der Baustelle zunächst 25 Bäume gefällt werden müssten. Auf dem Baugelände werden eine 1000 Quadratmeter große Halle aufgebaut und Wasserbehälter aufgestellt. Insgesamt müssen dem Bahnprojekt voraussichtlich 282 Bäume weichen. Dabei sollen auch Bäume versetzt werden. Die Deutsche Bahn ist verpflichtet, nach Abschluss der Bauarbeiten 293 Bäume nachzupflanzen.

dpa/epd