Der amtierende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, kritisierte die Laufzeitverlängerung als unverantwortlich. "Der Atommüll strahlt derart lange, dass wir für einen Zeitraum Verantwortung übernehmen müssen, der von Menschen real nicht übernommen werden kann", sagte der rheinische Präses der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Mittwochsausgabe). "Wir überschreiten hier das menschliche Maß."
Durch die von der Bundesregierung beschlossene Laufzeitverlängerung werde weiter Atommüll in Massen erzeugt. Bis heute sei unklar, wo dieser Abfall gelagert werden könne. Schneider: "Es ist nicht zu verantworten, dass kommenden Generationen ein solch ungelöstes und weiter wachsendes Problem hinterlassen wird."
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Richtig sei zwar, "dass wir voraussichtlich eine Technologiebrücke hin zu den erneuerbaren Energien benötigen", fügte der Präses hinzu. Man werde tatsächlich auf Kohle und Gas nicht verzichten können. "Die Energiebrücke kann aber aus Sicht der EKD nicht die Atomtechnologie sein." Denn diese erfordere in einer Weise Perfektion, "wie sie Menschen zu leisten nicht in der Lage sind". Die Vorkommnisse im maroden Atommülllager Asse seien dafür ein Beleg.
Staat profitiert von Steuer und Abgabe
Solche Defizite seien nicht hinnehmbar, betonte Schneider: "Wenn es dann noch in erster Linie unter Gewinnaspekten gemacht wird, weiß man, dass im Zweifelsfall Profit vor Sicherheit geht." Wegen der Aussicht auf riesige Verdienste habe die Atomindustrie vermutlich gar keine Motivation, etwas Neues zu entwickeln. "Ich befürchte deshalb, dass durch längere Atomlaufzeiten neue Energie-Entwicklungen abgeblockt werden", sagte der amtierende EKD-Ratsvorsitzende.
Mit dem Beschluss kündigt die Regierung den zehn Jahre alten Atomausstieg von Rot-Grün auf. Mit der Entscheidung des Kabinetts würde der letzte Atommeiler nicht vor dem Jahr 2036 vom Netz gehen. SPD und Grüne hatten einen Ausstieg bis 2022 vereinbart.
Das Gesetz sieht neben den längeren Laufzeiten vor, dass die Stromkonzerne zwischen 2011 und 2016 als Steuer 2,3 Milliarden Euro pro Jahr an den Bund zahlen. Zusätzlich zahlen sie im selben Zeitraum insgesamt 1,4 Milliarden Euro in den Öko-Fonds ein, der zur Finanzierung erneuerbarer Energien da sein soll. Ab 2017 werden dann neun Euro je Megawattstunde Atomstrom an den Staat fällig. Diese Abgabe kann allerdings schwanken, weil sie an die Inflation und den Strompreis gekoppelt ist.
Kraftwerksbetreiber machen 60 Milliarden Zusatzgewinn
Auf der anderen Seite haben sich die Stromkonzerne aber abgesichert, falls die Regierung wechseln sollte. Denn wenn ein Regierungsbeschluss dazu führt, dass die Betreiber der 17 Kernkraftwerke je Reaktor mehr als 500 Millionen Euro investieren müssten, zahlen sie weniger Geld in den staatlichen Öko-Fonds. Auch wenn die bis 2016 befristete Atomsteuer verlängert oder erhöht wird, eine Kernbrennstoffsteuer eingeführt oder die Konzerne sonst irgendwie belastet werden, müssen sie weniger Geld geben.
Sogar wenn die von Schwarz-Gelb zugesagte Verlängerung der Atomlaufzeiten um im Schnitt 12 Jahre mit der Übertragung von Strommengen "geregelt, verkürzt, verändert, unwirksam oder aufgehoben werden" sollte, verringern sich die Zahlungen der Konzerne in den staatlichen Fonds zum Ausbau der erneuerbaren Energien.
Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) nannte das Gesetz in Berlin einen "Meilenstein in der Wirtschaftsgeschichte unseres Landes". Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) und RWE-Chef Jürgen Großmann betonten vor allem den Ausbau der Stromnetze. Das sei die wichtigste Aufgabe, damit Wind-, Sonnen- und natürlich der Atomstrom zu den Kunden komme, so Großmann.
Geld dafür sollte eigentlich genug da sein: Für das Laufzeitplus erwartet der Staat im Gegenzug insgesamt 30 Milliarden Euro, weil er mehr als die Hälfte der Zusatzgewinne der Konzerne abschöpfen will. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass die zusätzliche Laufzeit bis 2036 statt 2022 den Kraftwerksbetreibern ebenfalls 30 Milliarden Euro mehr in die Kassen spült.
Den Verbrauchern hilft das Gesetz nicht
Für die Verbraucher wird es allerdings trotzdem höhere Energiepreise geben, prognostizierte Gerd Billen, Vorstand der Verbraucherzentrale Bundesverband. "Die Laufzeitverlängerung wird nicht den von der Regierung erhofften preisdämpfenden Effekt haben", sagte er der "Passauer Neuen Presse" (Mittwoch). Der unbestritten notwendige Ausbau der Stromnetze und die Förderung der erneuerbaren Energien, vor allem der Photovoltaik, werde die Strompreise weiter in die Höhe treiben. Es sei auch keinesfalls sicher, dass die Kraftwerksbetreiber die Extraprofite in den Ausbau erneuerbarer Energien investierten.
Der Vorsitzende des Sachverständigenrats für Umweltfragen der Bundesregierung, Martin Faulstich, kritisierte das Energiekonzept. Er sagte dem "Straubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung" (Mittwoch): "Es besteht die Gefahr, dass die vier großen Stromkonzerne am System des Einspeisevorrangs und der -vergütung für erneuerbare Energien kratzen, wenn sie merken, dass ihre Atomkraftwerke doch nicht so profitabel laufen. Denn je mehr erneuerbare Energien im Netz sind, desto häufiger müssen sie ihre Kraftwerke ja eigentlich abschalten, weil deren Strom dann viel zu teuer ist. Deshalb könnte der Druck auf die Politik wachsen, das Erneuerbare-Energien-Gesetz entsprechend abzuändern."
Häuser werden nur freiwillig stromsparend
Linke-Fraktionschef Gregor Gysi sagte, das Konzept sei nichts anderes als eine Agenda für die Atomkonzerne. Und Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin sagte, die Grünen würden den Kniefall vor der Atomlobby sofort rückgängig machen, wenn sie wieder an der Macht seien.
Auch das sieht Faulstich als Problem im Konzept: "Durch das neue Energiekonzept sollte ja eigentlich Investitionssicherheit erreicht werden. Wenn die Opposition aber bereits jetzt ankündigt, die Laufzeitverlängerung wieder rückgängig zu machen, dann wissen viele Branchen wieder nicht, was sich zukünftig lohnen wird."
Zum Energiekonzept gehört auch die Sanierung von Häusern, um Energie besser zu nutzen. Da allerdings traf die Regierung keine so eindeutigen Maßnahmen wie beim Schutz der Atomkonzerne: "Es wird kein Zwang ausgeübt zur Gebäudesanierung, sondern wir wollen Sanieren erreichen durch finanzielle Anreize", sagte Bauminister Peter Ramsauer (CDU) über die zwei Drittel der 18 Millionen Gebäude, die nicht dem neuesten Stand entsprächen.
An allen zwölf Akw-Standorten projizierte Greenpeace den Slogan "Atomkraft schadet Deutschland" auf Reaktoren und Kühltürme. Greenpeace-Experte Tobias Münchmeyer sagte, das Energiekonzept sei "nicht mehr als die Verpackung für ein milliardenschweres Geldgeschenk an die Atomkonzerne". Ein geeignetes Endlager für den Atommüll sei aber immer noch nicht in Sicht.