Bauer - na und! Ein Beruf wie jeder andere?
Es ist Sonntagabend. Ich sitze am Küchentisch und ärgere mich über mich selbst. Eben habe ich eine Bestellkarte ausgefüllt und mir bei einem wissenschaftlichen Verlag ein Buch bestellt. Ganz unten auf der Karte stand noch eine Frage: „Für unsere Statistik: Ihr Beruf….“
29.09.2010
Von Rainer Hofmann

Zögernd schreibe ich nicht einfach Bauer hin, sondern beginne unbewusst nach gehobeneren Formulierungen zu suchen: Landwirt? Landwirtschaftsmeister? Agraringenieur? Tier- oder Energiewirt? Die Zeile ist immer noch leer.

Und jetzt sitze ich hier in der Küche und ärgere mich. Warum schreibe ich nicht einfach: Bauer. Ist es die eigene Eitelkeit und das damit verbundene Selbstverständnis? Und wir hatten uns so fest vorgenommen, unseren Beruf nicht mehr zu rechtfertigen. Schon Jahrzehnte arbeiten wir daran. Im gesellschaftlichen Leben, unter Kollegen, mit Altersgenossen. Unser Beruf ist so gut oder so schlecht wie jeder andere auch.

Klar, jede Menge Arbeit, manchmal Dreck, und Geruch. Aber Arbeit schändet ja schließlich nicht und Seife gibt's doch auch. Ein Arbeitsplatz, den man unternehmerisch weitgehend selbst gestalten kann. Natürlich mit allem Können, Verantwortung und den dazugehörigen Turbulenzen. Ebenso die Bemühungen um ein positiveres Bild unseres Berufsstandes in der Öffentlichkeit. Wir outen uns, haben Kindergärten, Schulklassen, Waldorfschüler und das Projekt "Landleben live" auf dem Hof.

Wir pflegen angebrachten Optimismus, kämpfen gegen Mitleid und Selbstmitleid. Kein Heile-Welt-Klischee, sondern moderne, verantwortungsvolle Landwirtschaft. Und obwohl wir vom Miesepeter zum Mutmacher geworden sind, ...

... sitze ich jetzt hier und schreibe meinen Beruf nicht hin.

 Vielleicht steckt einem die Historie in den Knochen? Die Bauern als tumbe Unterschicht, massenhaft vorhanden, zu allem zu gebrauchen. Vom Kriegsdienst bis zum Burgenbau. Geduldig, unterwürfig und leidensfähig. Ein zehntausend Jahre alter Beruf. Viele Handwerksberufe sind jünger. Aber besser organisiert, stolzer, freier. Die Landwirtschaft hat einen gigantischen Strukturwandel hinter sich, der noch lange nicht zu Ende ist.

Was bleibt, sind zum einen hochmoderne Ackerbau- und Veredelungsbetriebe, zum anderen innovative Spezialisten in vielen Bereichen. Sie versorgen eine 80 Millionenbevölkerung zuverlässig mit konventionellen oder biologisch erzeugten Nahrungsmitteln, nachwachsenden Rohstoffen und Energie. Wir sind zu modernen, umweltbewussten und selbstständigen Bauern und Unternehmern geworden, und eine wachsende Weltbevölkerung gibt der Nahrungsmittelerzeugung eine Schlüsselrolle.

Und jetzt tue ich das, was einem Handwerker nie passiert wäre:

Ich schreibe meinen Beruf nicht hin.

Vielleicht kommt es aus der Erziehung? Viele Kinder, viele Tiere, überforderte Eltern. Kaum Zeit, am öffentlichen Leben teilzuhaben, und wenn, dann unter Berufskollegen. Landwirtschaft war Mühe und Arbeit. Ich habe den Beruf gelernt, weil ich das wollte, habe aber weit über 20 Jahre alt werden müssen, um spüren zu können, dass Landwirtschaft auch Freude machen kann.

Oder aus der Erziehung durch Berufsstand und Verband?  Demonstrationen: "So kann es nicht weitergehen! Wir fordern mehr Gerechtigkeit für die Landwirtschaft." Die Bauern fühlten sich am unteren Ende der Gesellschaft. Bauer als Schimpfwort, Tierquäler, Luftverpester. Landwirtschaft als angewandte Chemie. Egoisten gibt es in allen Bereichen.

Aber obwohl mich selbst noch nie jemand wegen meines Berufes schräg angesehen oder diskriminiert hat, und obwohl ich mich meines Standes noch nie geschämt habe, ...

- sitze ich jetzt hier und schreibe meinen Beruf nicht hin.

 Vielleicht wegen der EU-Beihilfen? Jahrzehntelang bestimmte die verfehlte EU-Agrarpolitik die öffentlichen Diskussion, besonders an Stammtischen. Milchseen, Butter- und Getreideberge standen förmlich in der deutschen Landschaft. Jetzt aber ist die Landwirtschaft doch am Markt angekommen. Die EU-Betriebsprämie ist produktionsunabhängig, und Exporterstattungen werden in absehbarer Zeit verboten werden.

Da mir und meiner Frau die Tierhaltung in den heute notwendigen Größenordnungen nicht liegen, haben wir unseren Betrieb Schritt für Schritt umgebaut. Von einem Gemischtbetrieb mit Milchvieh und Sauen zur Saatgutvermehrung von Feinsämereien, wie Blumen und Gräsern, Pflückblumen, Selbstvermarktung von Weidenochsenfleisch und Restbeständen der Milchviehhaltung. Wir haben das nur geschafft, weil wir einen funktionierenden Bauernhof schrittweise umbauen konnten, weil Maschinen, Wirtschaftsgebäude und Äcker vorhanden waren. Wir produzieren heute nicht übervolle Märkte.

Wir sind kreativ und aufgeschlossen und haben die Chancen genutzt ...

... und trotzdem sitz’ ich jetzt hier vor dieser Karte und schreibe meinen Beruf nicht hin.

 Vielleicht aufgrund des Bildes vom Bauern in der Öffentlichkeit?  Bauer sucht Frau. Tollpatschig, schrullig, ewig gestrig. Um drei Bauern unter einen Hut zu bringen, müsste man zwei……! Gewiss, Bauern sind ein eigenes Völkchen. Sie arbeiten viel alleine, sind eigenwillig und meist nicht ganz so wortgewandt. Sich aber in Gummistiefeln auf seinen Hof zu verkriechen und nur an Markttagen herauszukommen, kann und will sich im Grunde heute niemand mehr leisten. Bauern arbeiten zusammen, in Maschinenringen, Beratungsringen oder Kooperationen. Nach einer relativ langen Ausbildung ist man fortan ständig auf der Suche nach Innovationen und Vergleichen.

Die vergangenen drei Winter haben meine Frau und ich in getrennten Kursen eine Bauern- und Unternehmerschulung besucht. In zehn mal zwei Tagen beschäftigt man sich intensiv mit dem Betrieb, dem Umfeld und sich selbst. Man lernt Betriebsziele in sein Umfeld einzubauen, sie zu kommunizieren und zu präsentieren. Man fühlt sich jetzt durchaus auf der Höhe der Zeit.

Das hat richtig Geld und Mühe gekostet ...

...und jetzt sitze ich hier mit einem Diplom und schreibe meinen Beruf nicht in diese Zeile.

Laut Umfragen schätzt die Bevölkerung ihre Landwirtschaft. Als Nahrungsmittelproduzenten, aber auch als wichtigen Teil der Gesellschaft. Das ist auch in unseren Köpfen angekommen, nur darstellen und präsentieren können wir es noch nicht. Unser Umfeld wartet darauf.

Für unsere Statistik, Ihr Beruf: „Bauer“.

Ich stelle mich vielleicht an!


Rainer Hofmann ist... Bauer in Blaufelden-Wittenweiler und Mitglied im Evangelischen Bauernwerk. Seine Überlegungen zum eigenen Beruf erschienen in der Zeitschrift der Evangelischen Landjugendakademie "Kirche im ländlichen Raum" 2/2009.