Die Filmkritik der Woche: Shahada
So schnell kann's gehen. Mit dem Film "Shahada" beendete der 29-jährige Burhan Qurbani in diesem Jahr sein Studium an der Filmakademie Baden-Württemberg. Der Diplomfilm hat den Leuten von der Berlinale so gut gefallen, dass sie Qurbani gleich für den Wettbewerb 2010, die Königsdisziplin des Festivals, nominierten.
29.09.2010
Von Dietmar Kanthak

Shahada ist das islamische Glaubensbekenntnis: "Es gibt keinen Gott außer Gott und Mohammed ist sein Prophet." Der von Burhan Qurbani und Ole Giec geschriebene Film erzählt die Geschichte von drei jungen Berliner Muslimen während des Ramadans und verlegt somit Robert Altmanns "Short Cuts" in die deutsche Hauptstadt. Maryam (Maryam Zaree), die westlich orientierte, lebenslustige Tochter eines Imams, ist ungewollt schwanger. Der Nigerianer Samir (Jeremias Acheampong) entdeckt, dass er sich für Jungs interessiert. Ismail (Carlo Ljubek), ein türkischstämmiger Polizist, ist in der Dauerkrise, seit er vor drei Jahren einen Schuss auf einen flüchtenden Dieb abgegeben hat. Ein Querschläger verletzte damals die Bosnierin Leyla lebensgefährlich.

Qurbani, dessen Eltern 1979 Afghanistan verließen, verknüpft die sich kreuzenden Lebenslinien seiner Figuren mit der Religion. "Eine der wichtigsten Aussagen ist für mich, dass der Koran ein Buch über die Liebe ist", sagt er. Allerdings kann auch der Koran einem wie Samir nicht helfen, der mit seiner Homosexualität nicht zurechtkommt. Der Koran "kann uns nicht sagen, wer wir sind", erklärt der liberale Imam Vedat (Vedat Erincin) dem jungen Samir. Der betet dennoch gegen seine sexuelle Orientierung an. Begründung: "In meinem Glauben darf man das nicht."

Verwandlung in sture Fundamentalistin

Vedats Tochter Maryam, von Maryam Zaree mit viel Intensität verkörpert, ist nach einem Schwangerschaftsabbruch traumatisiert und verwandelt sich zum Entsetzen des Imams in eine sture Fundamentalistin. Vor ihrem roboterhaften Dogmatismus kann man sich fürchten. Oder darüber lachen wie die jungen, selbstbewussten Frauen in der Koranstunde.

Der Polizist Ismail, der längst in der deutschen Gesellschaft angekommen ist, wird mit dem Glauben der Bosnierin Leyla konfrontiert. Sie betrachtet ihn als ihren "dunklen Engel". Seine (außereheliche) Beziehung zu Leyla führt den von Schuldgefühlen gepeinigten Ismail in die totale Verzweiflung. Carlo Ljubek als Ismail sieht aus, als hätte er Jahre nicht mehr geschlafen.

Seelenlandschaften

Vielerlei ist an Qurbanis Debüt beachtlich. Er beherrscht sein Handwerk souverän, er kann erzählen und Figuren zum Leben erwecken. Poesie kann er auch. In den Bildern der winterlich kalten Stadt spiegeln sich Seelenlandschaften, eingefangen durch Kameraneuling Yoshi Heimrath. Der Regisseur verrät seine Figuren nicht an halbstarke Effekte eines scheinbar hippen Kinos, dafür ist er zu ernsthaft. Er bedient keine Vorurteile, verzichtet auf wohlfeile Erklärung und Belehrung und bricht Szenen immer dann ab, wenn sich Gewissheiten und einfache Wahrheiten im Kopf des Betrachters einnisten könnten. Alles bleibt offen in diesem wichtigen Kinofilm. So nah am Leben ist die Kunst in deutschen Filmen selten.

Deutschland 2010. Regie: Burhan Qurbani. Buch: Burhan Qurbani, Ole Giec. Mit: Maryam Zaree, Jeremias Acheampong, Carlo Ljubek, Marija Karicic. 90 Min.

epd