Kirchen, Gemeindehäuser und Schulen sind nach Bonhoeffer benannt und schmücken sich mit dem Namen des Märtyrers und Widerstandskämpfers. Diese Anerkennung durch die verfasste Kirche blieb ihm während des Zweiten Weltkriegs und unmittelbar danach versagt. Die Kirche tat sich schwer mit dem Widerstandskämpfer, der ihr ihre Angepasstheit und Trägheit vor Augen führte.
Christsein hatte für Bonhoeffer politische Konsequenzen. Sein Glaube führte Bonhoeffer zum aktiven Widerstand gegen Hitler – damit ging er viel weiter als die Bekennende Kirche. Die intensive Auseinandersetzung mit der Bergpredigt führt Bonhoeffer zum Anfang der 1930er Jahre zum Pazifismus. Selbst im Falle eines Angriffskrieges plädiert Bonhoeffer für gewaltfreien Widerstand.
"Dem Rad in die Speichen greifen"
Die Ermordung der Juden durch die Nazis lässt Bonhoefffer umdenken, in Ausnahmefällen hält er den Tyrannenmord für gerechtfertigt – er billigt das Attentat auf Hitler, denn man müsse "dem Rad in die Speichen greifen", auch wenn man selbst dadurch Schuld auf sich lade. Wenige Tage vor Ende des Weltkrieges wurde Dietrich Bonhoeffer im Konzentrationslager Flossenbürg als Mitverschwörer hingerichtet.
Auch nach dem Krieg wurde Bonhoeffer von seiner eigenen Landeskirche nicht verstanden. So verschwieg zum Beispiel die Berlin-Brandenburgische Landeskirche Bonhoeffers Namen 1945 in der Kanzelabkündigung zum ersten Jahrestag des 20. Juli 1944 und betonte, Christen könnten den Anschlag "niemals gutheißen, in welcher Absicht er auch ausgeführt sein mag".
Glaube und Engagement gehören zusammen
Bonhoeffers Anliegen, dass Glaube und Engagement in Politik und Gesellschaft zusammengehören, will der Dietrich-Bonhoeffer-Verein in unserer Zeit Gehör verschaffen – dazu passte auch das Motto der diesjährigen Jahrestagung des Vereins vor wenigen Tagen in Halle an der Saale: "Wider den Geist der Anpassung in Kirche und Gesellschaft".
Auch wenn die verfasste Kirche lange Zeit brauchte, um angemessen auf Bonhoeffers Erbe einzugehen, stellt sich heute die Frage, ob Bonhoeffers berechtigte Kritik an der damaligen Kirche heute noch zu denselben Schlussfolgerungen führen muss. Dies gilt gerade auch für das partnerschaftliche Gegenüber von Staat und Kirche in der heutigen Gesellschaft. Jedenfalls kritisiert der Dietrich-Bonhoeffer-Verein das Staatskirchenverhältnis in der Bundesrepublik und hat sich deshalb die Forderung nach Abschaffung der Kirchensteuer zu eigen gemacht. Damit wendet er sich gegen die Praxis der Landeskirchen.
Vor diesem Hintergrund war ich überrascht und auch gespannt, dass ich als Co-Moderator für eine Arbeitsgruppe zur Tagung eingeladen wurde. Dazu muss man wissen: Die vergangenen Jahre habe ich in Kirchenämtern gearbeitet und identifiziere mich mit der Volkskirche und ihrer Finanzierung. Aber: Wer Kampf gegen die Anpassung und Widerstand sich auf die Fahnen schreibt, muss auch nach innen Offenheit ermöglichen – daher nahm ich gerne die Einladung wahr und fuhr zur Jahrestagung.
Die erste Wahrnehmung
Obwohl ich Anfang 40 bin, war ich einer der Jüngsten in der Runde der Teilnehmenden. Ist Bonhoeffer für Jüngere nicht mehr interessant? Ist Bonhoeffer mit seiner Widerstandtheologie ein Theologe für die 68er Generation? Eine andere Wahrnehmung: Es scheint, dass die Teilnehmer – soweit es aus den Ortsangaben auf der Teilnehmerliste ablesbar ist – hälftig aus Ost- und Westdeutschland kommt. Dann wäre Bonhoeffer auch jemand, der Pfarrern in der DDR eine Perspektive für ihre theologische Existenz gegeben hätte.
Was heißt das für die Gegenwart? Interessant: Es waren zwei Vertreter von Greenpeace und Attac dabei. Es wird deutlich: Über den Rand der Kirche hinaus sucht der Verein den Schulterschluss mit anderen gesellschaftlichen Gruppen. Der Vertreter von Attac fragte bei der Vorstellung: "Warum sind so wenige von euch Christen bei uns?" Müssten Christen – nun im seit 20 Jahren vereinten Deutschland – nicht viel mehr ihr Augenmerk darauf richten, mit anderen gesellschaftlichen Kräften zusammenzuarbeiten, um Veränderungen in unserer Welt zu erreichen und so Bonhoeffers Theologie in die Praxis umsetzen?
Von der Taufe zur Kirchensteuer
Nach der Vorstellung ging es in die Arbeitsgruppen. Meine Arbeitsgruppe zum Thema Taufe begann mit einem Text aus Bonhoeffers Taufbüchlein und den biografischen Erfahrungen der Teilnehmer. Ist Taufe nur Handeln Gottes am Menschen oder auch ein Bekenntnis des Täuflings? Was bedeutet die Säuglingstaufe für den Gemeindebegriff? Ab welchem Alter sollte man taufen? Was bedeutet eine Freigabe des Taufalters? Durch die Taufe wird der Täufling Mitglied in der Gemeinde – doch was heißt das genau? Wird man Mitglied in der Ortsgemeinde? In einer Landeskirche? Oder in der weltweiten Kirche? Oder in der als Körperschaft öffentlichen Rechtes verfassten Kirche?
Kann man auch die Körperschaft des öffentlichen Rechtes verlassen – und dennoch Mitglied der Kirche Jesu Christi bleiben? Was würde das für die Kirchenfinanzierung bedeuten? Welche Konsequenzen muss Kirchenmitgliedschaft haben? Fragen, über die es sich lohnt nachzudenken – wobei schnelle und einfache Antworten hier nicht zu finden war. Einigkeit ließ sich in der Arbeitsgruppe nur erzielen, dass man daran weiterarbeiten muss.
Was heißt es für die Kirchenfinanzierung heute, wenn Bonhoeffer in einer Verfolgungssituation fordert, dass die Kirche nur "Kirche für andere" sein kann und von den "freiwilligen Gaben" ihrer Mitglieder leben müsse? Folgt daraus die Abschaffung der Kirchensteuer? Oder – so merkte ein Teilnehmer an – hat Bonhoeffer die konkrete Finanzierung der Kirchen gar nicht im Blick – da er diese in seiner Ethik nicht erwähne? Auch wenn es keine abschließende Klärung gab, erlebte ich die Diskussion als gewinnbringend.
Wer heute die Aufspaltung zwischen persönlicher Frömmigkeit, gemeindlichem Leben und universitärer Theologie beklagt, für den kann Bonhoeffers Ansatz hilfreich sein, diese Aufspaltung zu überwinden. Denn Bonhoeffer verbindet Lehre und Leben; er verbindet Denken, Reden und Tun. Konkrete Handlungsanweisungen für heute lassen sich – so mein Fazit – jedoch für viele Fragen von heute nicht aus Bonhoeffers Werk ableiten, dazu ist es zu vielschichtig. Die Beschäftigung mit Bonhoeffer lohnt sich allerdings – auch heute noch.