Schneider und Diakonie: Kinder kommen zu kurz
Die angekündigte Neuregelung der Hartz-IV-Sätze bedarf aus der Sicht der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der Diakonie und weiterer Sozialverbände einer genauen Überprüfung.

"Dass die Erhebungen des Statistischen Bundesamtes nach der Deutung der Bundesregierung eine Erhöhung der Sätze um nur fünf Euro und angeblich sogar eine Kürzung der Sätze für Kinder nahelege, ist sehr verwunderlich", erklärte der amtierende EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider in Hannover.

Grundsätzlich sei es aber zu begrüßen, dass die Bundesregierung zusätzlich Sachleistungen für Kinder aus einkommensschwachen Familien zur Verfügung stellen wolle, erklärte Schneider. Es bleibe ein dringendes Anliegen, die Situation von Kindern aus einkommensschwachen Familien zu verbessern. "Dazu ist es wichtig, dass die Sachleistungen für Kinder zeitgleich mit der Anpassung der Regelsätze zum Tragen kommen. Die Form der Leistungserbringung darf aber Kinder nicht diskriminieren oder stigmatisieren," sagte Schneider.

Keine lebensnahe Statistik, insbesondere für Kinder

Bei den Sozialverbänden stößt die geplante geringe Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes ebenfalls auf deutliche Kritik. Nach Auffassung der Diakonie ist sie skandalös: "Mit diesem Regelsatz haben arme Menschen weiterhin keine Chance, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Nach unseren eigenen Einschätzungen müsste der Regelsatz deutlich über 400 Euro liegen", sagte Kerstin Griese, sozialpolitischer Vorstand des Diakonischen Werkes der EKD.

Erschreckend sei auch, dass trotz des Karlsruher Urteils der besondere Bildungsbedarf von Kindern bei den Kinderregelsätzen nicht berücksichtigt wurde. Weder sei der Kinderregelsatz erhöht worden noch liege hier ein bis Januar 2011 umsetzbares Konzept der Regierung vor, kritisierte Griese. Für Bildung seien für die Null- bis Sechsjährigen 0,98 Euro, für die Sieben- bis 14jährigen 1,16 Euro und für die 15- bis 18jährigen 0,29 Euro vorgesehen.

"Die Statistik ist nicht lebensnah und bildet nicht ab, dass schon jetzt im unteren Einkommensbereich das Nötigste für Kinder fehlt. Statt einen diskriminierungsfreien Zugang zu Bildung und Teilhabe zu schaffen, soll es jetzt Gutscheine geben, die Hartz-IV-Kinder deutlich als arm und ausgegrenzt markieren", so Griese.

Verbände begrüßen Bildungspakete für Kinder

Der Deutsche Caritasverband ist sich mit der Diakonie einig, dass die neuen Berechnungsgrundlagen einen Anstieg von Hartz IV gezielt verhindern würden. Für Einpersonen-Haushalte werden nicht mehr die Ausgaben der untersten 20 Prozent, sondern nur noch der untersten 15 Prozent zugrunde gelegt. Dadurch sinkt der Satz zwangsläufig. Zudem fordert die Caritas eine Überprüfung der Regelsätze für Kinder. Eine Berechnung des Verbandes zu eigenständigen Kinderregelsätzen habe gezeigt, dass diese je nach Altersgruppe um 20 und 40 Euro erhöht werden müssten. Die Bundesregierung will dagegen das Niveau bestehender Hilfen für Kinder und Jugendliche nicht verändern.

Positiv bewertet die Caritas dagegen das beschlossene Paket für Bildung und Teilhabe. "Wir haben immer das Anliegen unterstützt, arme und benachteiligte Kinder durch Sachleistungen wie Mittagessen oder Nachhilfe zu stärken", so Cremer. Für den Vorstand des Diakonischen Werkes betonte Kersten Griese aber, dass dennoch im Gesamtpaket weitere soziale Kürzungen stecken, unter anderem durch die Streichung des Elterngeldes und Kürzungen bei den beruflichen Eingliederungsmaßnahmen für Langzeitarbeitslose. "Die Diakonie fordert daher eine Korrektur der neuen Regelsätze für Erwachsene und Kinder", sagte Griese.

"Buchhalterische Politik" gefährdet den sozialen Frieden

"Das Ergebnis der Neuberechnung ist insgesamt enttäuschend", stimmte auch der hannoversche Diakonie-Direktor Christoph Künkel zu. Es sei fraglich, ob die Pläne die Forderungen des Bundesverfassungsgerichtes nach einer sach- und realitätsgerechten Ermittlung der Regelsätze erfüllen. Künkel begrüßte ebenfalls das vorgesehene Bildungspaket mit Sachleistungen für Kinder und Jugendliche.

Die Arbeiterwohlfahrt rügte, die Bundesregierung setze mit ihren Beschlüssen den sozialen Frieden aufs Spiel. Der AWO-Bundesvorsitzende Wolfgang Stadler sagte in Berlin, "diese buchhalterische Form von Politik ist unsozial, erhöht das Armutsrisiko und spaltet die Gesellschaft". Er forderte einen Regelsatz von mindestens 400 Euro, um den grundlegenden Bedarf von Erwachsenen und ihr soziokulturelles Existenzminimum angemessen abzudecken.

Der Vorsitzende des Tafelverbandes, Gerd Häuser, erklärte, eine deutliche Erhöhung der Leistungen sei weiterhin dringend notwendig, insbesondere für Kinder. "Die staatliche Grundsicherung muss ein menschenwürdiges Auskommen ermöglichen", mahnte Häuser. Die zusätzliche Unterstützung der Tafeln dürfe nicht zur Selbstverständlichkeit werden.

epd/han