Die schwarz-gelbe Koalition will den Regelsatz für Langzeitarbeitslose um maximal fünf Euro erhöhen. Deutlich mehr Geld soll aber in die Bildungsangebote für Hartz-IV-Kinder fließen. Noch keine abschließende Einigung erzielten die Spitzen von Union und FDP am Sonntag allerdings über höhere Hinzuverdienstgrenzen. Dies ist eine zentrale Forderung der FDP. Diese sollen nach den Worten von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bis zur Kabinettssitzung am 20. Oktober feststehen.
Danach müssen der Bundestag und der Bundesrat - in dem Schwarz-Gelb keine Mehrheit mehr hat - zustimmen. SPD, Grüne und Linke haben bereits massiven Widerstand bis hin zu neuen Verfassungsklagen angedroht. Merkel sprach nach dem Koalitionsausschuss von einem "sehr, sehr großen Schritt". Ziel sei es, für Arbeitslose die Dauer von Hartz IV so kurz wie möglich zu halten. "Anreiz für Arbeit" sei das Credo. FDP-Chef Guido Westerwelle sprach von einer "Brücke ins Arbeitsleben". Der Sozialstaat dürfe für die Betroffenen keine Dauereinrichtung werden.
Bildungsförderung bleibt Ländern überlassen
Die CSU gab ihren Widerstand gegen Sachleistungen für Hartz-IV-Kinder auf. Die Runde verständigte sich aber darauf, dass die konkrete Ausgestaltung der Bildungsförderung den Ländern überlassen bleibt. "Wir sind sehr damit einverstanden, dass die Bildungsausgaben als Sachleistung erbracht werden, damit sie auch bei den Kindern ankommen", sagte CSU-Chef Horst Seehofer. Die von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) favorisierte Bildungs-Chipkarte hatte die CSU stets abgelehnt.
Die Regelsätze für die rund 1,7 Millionen Kinder, die von Hartz-IV-Leistungen leben, bleiben auf der jetzigen Höhe von 215, 251 und 287 Euro - je nach Alter bis unter sechs Jahren, unter 14 Jahren sowie unter 18 Jahren. Kinder sollen ab 2011 aber zusätzlich Gutscheine für Nachhilfe, Klassenfahrten, Lernmittel, Freizeitaktivitäten und ein warmes Mittagessen in der Schule bekommen. Dafür sind rund 620 Millionen Euro vorgesehen.
Rechnerisch hätten die Kinder-Regelsätze sogar sinken müssen, sagte von der Leyen nach der Koalitionsrunde. Das habe sie selbst überrascht. Es werde aber einen "Vertrauensschutz" für die Familien geben, die Hartz IV beziehen. Die jetzigen Zahlungen würden beibehalten. Nach Angaben des Arbeitsministeriums müssten den Berechnungen zufolge die Regelsätze für Kinder und Jugendliche um zwei bis zwölf Euro im Monat gesenkt werden. Bei künftigen Erhöhungen soll dies gegengerechnet werden, so dass die Kinder auf längere Sicht nicht mehr Geld bekommen.
Kein Geld für Tabak und Alkohol
Nach den Beschlüssen der Koalitionsspitzen sollen Hartz-IV-Empfänger höchstens fünf Euro mehr im Monat bekommen. Der Regelsatz steigt damit von 359 auf bis zu 364 Euro. Tabak und Alkohol wurden aus der Berechnung herausgenommen, ein Internetzugang wird dagegen berücksichtigt. Nach den Vorschlägen von Arbeitsministerin von der Leyen sollen die Sätze für Kinder vorerst nicht geändert werden. Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar eine Neuberechnung der Regelsätze verlangt, weil das bisherige Verfahren nicht transparent ist. Vor allem die Leistungen für Kinder müssen künftig am Bedarf orientiert werden und dürfen nicht mehr pauschal vom Erwachsenen-Geld abgeleitet werden.
Das Arbeitsministerium rechnete noch bis kurz vor Beginn des Koalitionsgipfels die neuen Regelsätze durch. Berechnungen des Statistischen Bundesamtes hatten ergeben, dass die bisher gezahlten Beträge für Kinder um bis zu zwölf Euro zu hoch angesetzt sind. Als Vertrauensschutz wurde vereinbart, die Zahlungen so zu belassen, wie sie sind. Die Mehrzahlungen sollen aber mit künftigen Erhöhungen verrechnet werden. Geplant ist, dass der Bund zur Bildungsförderung der 1,7 Millionen Kinder von Hartz-IV-Empfängern pro Jahr rund 620 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung stellt.
Ministerin warnt SPD vor Blockade
Von der Leyen warnte die SPD vor einer Blockade im Bundesrat. "Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes sprechen eine klare Sprache. Dagegen kann auch die SPD nicht argumentieren", sagte sie der "Bild"-Zeitung (Montag). Sie könne sich nicht vorstellen, dass die SPD das Bildungspaket mit warmem Mittagessen für bedürftige Kinder, Schulmaterial, Lernförderung und einem Budget etwa für Musik oder den Fußballverein ablehnen werde.
SPD-Chef Sigmar Gabriel warf Merkel vor, sich von Westerwelle erpressen zu lassen. Dieser habe im Frühjahr Hartz-IV-Empfänger verhöhnt und könne es deshalb nicht zulassen, dass die Regelsätze deutlich aufgestockt werden. Gabriels Stellvertreter Olaf Scholz drohte im "Tagesspiegel" (Montag) mit einer Verfassungsklage und Widerstand der SPD-geführten Länder im Bundesrat. Die Sozialministerin in Mecklenburg-Vorpommern und stellvertretende SPD-Vorsitzende Manuela Schwesig sagte am Rande des SPD-Parteitags in Berlin, der neue Regelsatz sei "in den Hinterzimmern der Koalition ausgeschachert" worden. Es gehe nicht um weniger Geld für Alkohol und Tabak, sondern um ein zweites Paar Schuhe für die Kinder, sagte Schwesig.
"Glatter Verfassungsbruch"
Grünen-Fraktionschefin Renate Künast sagte: "Die Würde des Menschen ist mehr als fünf Euro wert." Linkspartei-Vorsitzender Klaus Ernst kritisierte, eine Anhebung um fünf Euro "ist mit dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum unvereinbar". Die Linkspartei erklärte, die schwarz-gelbe Koalition ignoriere selbst höchstrichterliche Urteile. Ernst sprach von einem "glatten Verfassungsbruch". Millionen Hartz-IV-Empfängern werde das Recht auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben verwehrt. Eine erneute Verfassungsklage sei unausweichlich.
Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider, nannte die Fünf-Euro-Erhöhung einen "sozialpolitischen Skandal". Nach der Streichung des Elterngeldes für Hartz IV-Bezieher werde erneut Politik gegen die Armen gemacht. Schneider weiter: "Nach der Diskussion der letzten Tage drängt sich der begründete Verdacht auf, dass die Arbeitsministerin in verfassungswidriger Weise dem Druck des Wirtschaftsflügels und der Haushaltspolitiker in der Koalition erlegen ist." Dies werde Karlsruhe nicht zulassen. Der Sozialverband VdK zeigte sich verwundert, dass fünf Euro für Erwachsene und null Euro mehr für Kinder bedarfsdeckend sein sollten. Man werde sich genau ansehen, wie die Berechnungen zustande gekommen seien, sagte VdK-Präsidentin Ulrike Mascher.