Neue Hartz-IV-Sätze: Kritik an "politischer Willkür"
Sozialverbände warnen die Regierungskoalition davor, die Entscheidung über die Höhe der künftigen Hartz-IV-Regelsätze vom politischen Kalkül abhängig zu machen. Es sei "hoch bedenklich", wenn Koalitionspolitiker bereits Zahlen und Höchstgrenzen in Umlauf brächten, sagte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider, in einem epd-Gespräch. Der neue Regelsatz müsse den Empfängern von Hartz IV ein Leben in Würde ermöglichen, sagte der amtierende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider.

Am Freitagvormittag wurde bekannt, dass die erwartete Anhebung der Regelsätze für Langzeitarbeitslose deutlich unter 20 Euro liegen soll. Darauf hätten sich Agentur-Informationen zufolge die Ministerpräsidenten der Union mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verständigt. Derzeit liegt der Hartz-IV-Regelsatz bei 359 Euro im Monat.

Über den Regelsatz müsse im Bundestag entschieden werden, hatte Ulrich Schneider zuvor gefordert: "Der Koalitionsausschuss ist kein Verfassungsorgan." Die Koalitionsrunde, die an diesem Sonntag in Berlin zusammenkommt, dürfe nicht in den Verdacht geraten, dass die vom Bundesverfassungsgericht verlangte nachvollziehbare Berechnung des Regelsatzes einer politischen Entscheidung zum Opfer falle.

Zur Höhe des neuen Regelsatzes sagte der Sozialexperte der "Leipziger Volkszeitung" (Freitagsausgabe), alles unter 400 Euro "wäre mindestens erstaunlich, wenn nicht kleingerechnet". Derzeit beträgt der Satz für einen alleinstehenden Erwachsenen 359 Euro im Monat, Kinder erhalten davon je nach Alter zwischen 60 und 80 Prozent. Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar die Hartz-IV-Sätze als willkürlich gerügt und der Bundesregierung aufgetragen, das Gesetz bis zum Jahresende zu novellieren.

"Klüngelrunde im Kanzleramt"

Die Vorsitzende des Bundestags-Sozialausschusses, Katja Kipping (Linke), forderte Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) auf, die fachlich zuständigen Abgeordneten "vor der Klüngelrunde im Kanzleramt" über den Regelsatz und die verwendeten Berechnungsgrundlagen zu informieren. Es sei zu vermuten, dass die Regierung bei der Neuberechnung der Regelsätze zu "tricksen" versuche, um den Regelsatz "politisch herunterzurechnen". Kipping kündigte an, "ein Oppositionsbündnis gegen Verfassungsbruch" schmieden zu wollen.

Der amtierende EKD-Ratsvorsitzende und rheinische Präses Schneider sagte mit Blick auf die Höhe des Regelsatzes: "Entscheidend ist, dass Empfängerinnen und Empfängern von Hartz IV ein Leben in Würde und Teilhabe möglich ist." Eine Erhöhung wird nach Auffassung des Theologen nicht dazu führen, dass sich Menschen gegen einen Job und für ein Leben in Hartz IV entscheiden werden. Nur eine Minderheit missbrauche soziale Regelungen. Die Rede von einer angeblichen "sozialen Hängematte" sei daher töricht.

Regelsatz künftig ohne Alkohol und Tabak?

Die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles hat das Verfahren als "Geschacher auf dem Rücken der Schwächsten" kritisiert. "Es gibt den Auftrag des Bundesverfassungsgerichts, dass die Sätze nach einem transparenten Verfahren berechnet werden müssen", sagte Nahles der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post". "Sie dürfen nicht politisch entschieden werden."

Dies sei jedoch der Fall, wenn eine Koalitionsrunde am Wochenende über diese Frage entscheide. "Bei der Frage, wie hoch das Existenzminimum für Menschen sein muss, die keine Arbeit haben, wird also geschachert." Nahles forderte eine deutliche Erhöhung der Regelsätze auf über 400 Euro. "Alles andere ist künstlich herunter gerechnet."

Unterdessen forderten Politiker von Union und FDP in der "Bild"-Zeitung (Freitagsausgabe), Tabak und Alkohol aus der Berechnung der Regelsätze herauszunehmen. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Lämmel sagte: "Alkohol und Tabak sind keine Lebensmittel, die ein Mensch wirklich braucht." Auch von Seiten der FDP gibt es Forderungen, Ausgaben für Zigaretten und alkoholische Getränke aus der Berechnung des neuen Hartz-IV-Satzes herauszunehmen. Im aktuellen Regelsatz von 359 Euro sind laut Bericht 11,58 Euro für Tabakwaren und 7,52 Euro für Alkohol vorgesehen. 

epd