"Der verlorene Vater", Mittwoch, 22. September 2010, 20.15 Uhr im Ersten
In der Regel sind Titelfiguren Sympathieträger. Arndt Salzbrenner taugt für diese Rolle nur bedingt. Die Kinder scheinen beim Kampf gegen seine Frau eher Mittel zum Zweck, im Grunde interessieren sie ihn kaum; er ist mehr Verlorener als Vater. Edgar Selge lotet die Figur bis an den Rand der Belastbarkeit aus. Hinter der Fassade des überlegten Handelns lauert ein Abgrund, der Arndt in Stresssituationen immer wieder verschlingt.
Dann brüllt und tobt er bis hin zur Handgreiflichkeit. Das ist eine Gratwanderung, die Selge, sonst doch ein sehr sparsamer und gerade dadurch enorm wirkungsvoller Schauspieler, nicht immer gelingt. Wenn Arndt wie ein Berserker die Kulissen eines Schultheaters demoliert, wirkt das eher unfreiwillig komisch als ergreifend.
Es ist nicht leicht, gegen solch eine Figur zu bestehen, zumal Ulrike Krumbiegel als Arndts neue Freundin auch gegen das Klischee anspielen muss. Dritte im Bunde ist Jeanette Hain als Arndts zukünftige Ex-Frau Bettina, und man tritt Krumbiegel nicht zu nahe, wenn man feststellt: Eigentlich müsste sie die verlassene Ehefrau spielen und die hübschere und jüngere Kollegin die Nebenbuhlerin. Andererseits ist gerade diese Konstellation Voraussetzung für die Nibelungentreue, mit der sich Elke, die graue Büromaus, an Arndt bindet, obwohl er immer wieder ausrastet und sich seine einseitigen Schuldzuweisungen regelmäßig als unwahr herausstellen.
Permanente Konfrontationen
Hermine Huntgeburth inszeniert Daniel Nockes Drehbuch gewissermaßen aus der neutralen Ecke. Falls der Film überhaupt Partei ergreift, dann allenfalls für Elke: Wenn Arndt den Esstisch verlässt, um nach seinem Sohn zu schauen, bleibt die Kamera bei seiner Freundin, die auf einmal sehr einsam wirkt. Aber auch Elke ist eine Figur, mit der man sich bei allem Verständnis lieber nicht identifizieren möchte; Elke gibt Arndt selbst dann noch eine Chance, als sich rausstellt, dass er sie so lange hingehalten hat, bis klar war, dass seine Ehe endgültig gescheitert ist.
Das Stofftier, das er ihr schenkt, war ursprünglich ein Geschenk für seine Frau. Dieser Verzicht sowohl auf einen echten Sympathieträger wie auf eine abgeschlossene Handlung macht es naturgemäß nicht leicht, sich mit dem Film anzufreunden. Man betrachtet die permanenten Konfrontationen aus einer gewissen Distanz, zumal Arndts Verhalten unter dem Einfluss jener Paranoia, die er seinen Mitmenschen unterstellt, immer krankhaftere Züge trägt. Da ist es nur konsequent, dass die Geschichte Figuren wie Publikum mit einem offenen Ende zurücklässt.
Einen weiteren Beitrag zu "Der verlorene Vater" finden Sie in unserem "Babelsblog - Der Filmblog".
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).