Lörrach: "Die Beamten haben Leben gerettet"
Staatsanwaltschaft und Polizei haben in einer Pressekonferenz nähere Informationen zum Amoklauf in Lörrach zur Verfügung gestellt. Bei den Ermittlungen bemühen sich die Behörden nun, die Puzzleteile des Verbrechens zusammenzusetzen. Wichtigstes Detail: 2004 hatte die Frau eine Fehlgeburt in dem Krankenhaus, in dem sie einen Pfleger erschoss.
20.09.2010
Von Hanno Terbuyken

"Psychisch angespannt" sei die Frau gewesen, die ihren Mann, ihren Sohn und einen Pfleger im katholischen Krankenhaus in Lörrach getötet hatte. Zeugen haben den Ermittlern berichtet, dass sie den Eindruck machte, unter Stress zu stehen, teilte die Staatsanwaltschaft bei der Pressekonferenz mit. Psychisch krank war sie aber nach bisherigen Erkenntnissen nicht.

Warum die Täterin mit dem Kleinkaliber-Gewehr in der Hand von ihrer Wohnung direkt zum katholischen Krankenhaus lief, darüber konnten die Ermittler auch nur spekulieren. Ein möglicher Grund: 2004 hatte die Täterin eine Fehlgeburt auf der Geburtststation des Krankenhauses, der Station, wo sie einen Pfleger tötete und dann von der Polizei erschossen wurde.

Die Tatwaffe war legal

Der Ablauf der Gräueltat ist eine Chronologie des Schreckens. Die Wohnung in Lörrach diente der Täterin als Anwaltskanzlei. Dort besuchten sie ihr Mann und der gemeinsame fünfjährige Sohn, die getrennt von der Frau lebten. Die Polizei fand den Mann mit Schussverletzungen, bei dem Sohn stellte sie "Einwirkung stumpfer Gewalt" fest. "Der Verdacht liegt nahe, dass die Frau auch diesen Tod verursacht hat", sagte Generalstaatsanwalt Uwe Schlosser in der Pressekonferenz.

Die Frau verschüttete anschließend Brandbeschleuniger in der Wohnung und zündete das Gemisch vom Eingang aus an. Die Explosion war so stark, dass die Rückwand des Gebäudes herausgesprengt wurde. Ob ihr Mann und der Sohn an den Verletzungen oder Explosion starben, ist bisher noch unklar. "Aufgrund dieser objektiven Umstände liegt nahe, dass eine Beziehungssituation die Ursache der Tat war", teilte der Leitende Staatsanwalt Dieter Inhofer mit.

Mit einem Gewehr des Kalibers .22, wie es von Sportschützen verwendet wird, ging die Frau ins Krankenhaus, verletzte zwei Menschen am Eingang und verschanzte sich im ersten Stock im Flur der Gynäkologie. Wohl zufällig begegnete sie dort dem Pfleger, den sie mit Messerstichen und Schüssen umbrachte. Das Gewehr besaß sie legal, 1996 war sie zuletzt Mitglied eines Schützenvereins gewesen. Auf der Waffenbesitzkarte sind noch drei weitere Gewehre eingetragen, im Krankenhaus hatte sie etwa 300 Schuss Kleinkaliber-Munition dabei.

Mut und Umsicht der Polizisten

"Mut und Umsicht" bescheinigte Polizeipräsident Bernhard Rotzinger den Beamten, die die Frau in dem Flur stellten. "Hätten die Beamten nicht sofort auf die Frau eingewirkt, hätte es noch viel mehr Opfer geben können", stellte er fest. Die Täterin habe wild um sich geschossen. In den Krankenzimmern drumherum hatten sich die Patienten verbarrikadiert. Auf die Tür eines der Zimmer, in dem eine Patientin und 6 Besucher waren, schoss die Täterin etwa zehnmal. Dem ersten Polizisten, der die Täterin konfrontierte, schoss sie ins Bein.

Bei der Pressekonferenz fragte einer der Journalisten, ob man die Lage auch anders hätte lösen können, als die Frau zu erschießen. Polizeipräsident Rotzinger antwortete eindeutig: "Da war kein Spielraum für anderes Vorgehen." Auch Einsatzleiter Michael Granzow bestätigt das. Die Täterin habe ihre Waffe auf Aufforderung nicht fallen lassen, "dann haben die Polizisten zurückgeschossen": "Die Beamten haben durch ihr umsichtiges Handeln Leben gerettet." Baden-Württemberg bildet seine Polizisten seit Jahren dazu aus, bei einem Amoklauf nicht auf Verstärkung zu warten, sondern den Täter so schnell wie möglich zu stoppen, um mehr Tote zu verhindern.

Online-Kondolenzbuch der Stadt

Jetzt müssen die Ermittlungen noch abgeschlossen werden. In dem Schutt der explodierten Wohnung liegen noch zwei Tresore, in denen die Polizei die restlichen Waffen der Täterin vermutet, und auch die Todesursache des Mannes und Sohnes muss noch endgültig geklärt werden.

In Lörrach werden am Montag abend zwei stille ökumenische Andachten gehalten, eine im Krankenhaus, eine in der Christus-Kirche. "Es ist sehr viel Zuspruch von der Bevölkerung geleistet worden", sagte Gudrun Heute-Bluhm, Oberbürgermeisterin von Lörrach, die den Pfarrern der beiden Gemeinden dankte. Ein Kondolenzbuch liegt in Lörrach aus, außerdem hat die Stadt auf ihrer Homepage ein Online-Kondolenzbuch eingerichtet, in dem sich jeder eintragen kann.


 

Hanno Terbuyken ist Redakteur bei evangelisch.de, zuständig für die Ressorts Gesellschaft und Umwelt + Wissen, und schreibt das Blog "Angezockt".