Betrug störte die Wahl in Afghanistan mehr als die Taliban
Über 300 gewaltsame Zwischenfälle - das ist die blutige Bilanz der Regierung am Tag der Parlamentswahl in Afghanistan. 40 Menschen starben, die Wahlbeteiligung war gering, und bis die Ergebnisse endgültig feststehen, werden noch Wochen vergehen. Zudem rechnen Beobachter mit Fälschungen und Wahlbetrug.

Der deutsche Wahlbeobachter Thomas Ruttig rechnet damit, dass sich an der Parlamentswahl in Afghanistan noch weniger Menschen beteiligt haben als bei der Präsidentschaftswahl 2009. "Das größte Problem war die Indifferenz großer Teile der Bevölkerung, die wegen befürchteter neuer Fälschungen wenig Interesse zeigte", sagte der Afghanistan-Experte in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa nach der Abstimmung vom Samstag.

Ruttig hielt die Angaben der Unabhängigen Wahlkommission (IEC), wonach die Wahlbeteiligung nach Rückmeldung von 90 Prozent der Wahllokale bei rund 40 Prozent lag, für "zu optimistisch". Die IEC hatte die Zahl der Wahlberechtigten zuvor nach unten korrigiert, was die prozentuale Beteiligung erhöht. Bei der Präsidentschaftswahl im vergangenen Jahr hatte die Wahlbeteiligung nach IEC-Angaben bei 38,7 Prozent gelegen. Die Unabhängige Wahlkommission (IEC) räumte nach Schließung der Wahllokale am Samstag Unregelmäßigkeiten ein.

Westerwelle: "Ein Erfolg für das Land"

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon und Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) äußerten sich trotz allem mit dem Ablauf der Parlamentswahlen in Afghanistan zufrieden geäußert. Ban würdigte den Mut und die Entschlossenheit der Wähler angesichts der Drohungen und Anschläge der aufständischen Taliban. Westerwelle sagte nach Schließung der Wahllokale am Samstag in Bonn, dass die Wahlen stattgefunden haben, sei schon ein Erfolg für das Land. Er habe nach den bisherigen Erkenntnissen den Eindruck, "dass diese Wahl besser verlaufen ist, als viele befürchtet haben".

Die "Free and Fair Election Foundation of Afghanistan" (FEFA), die die meisten Wahlbeobachter stellte, teilte mit: "Obwohl es zahlreiche Angriffe gab, war keiner schwer genug, um die Wahl im großen Stil zu unterbrechen." Auch die FEFA kritisierte Einschüchterungsversuche von Aufständischen und von Kandidaten.

Thomas Ruttig, Ko-Direktor des Afghanistan Analysts Network (AAN), teilte diese Einschätzung: "Es gab landesweit viele eher verstreute und kleinere Aktionen, die den Wahlprozess selbst kaum beeinflussten." Die Abstimmung habe insgesamt "unenthusiastisch und farblos" gewirkt. Für eine Gesamtbewertung der Wahl, die Ruttig als offizieller Beobachter im Südosten des Landes begleitete, sei es aber noch zu früh.

Tausende gefälschte Wahlausweise im Umlauf

Das Ausmaß des Betrugs lasse sich noch nicht erkennen, sagte Ruttig. Der afghanische Geheimdienst NDS und das Innenministerium teilten mit, Sicherheitskräfte hätten 65.000 gefälschte Wahlausweise beschlagnahmt. Ruttig berichtete von Vorkommnisse wie Mehrfach-Stimmabgaben im Südosten des Landes. Nach der Wahl könne bei der Auszählung und Weitermeldung der Stimmen ebenfalls noch manipuliert werden. "Ob das verhindert werden kann, hängt davon ab, ob die Wahlkommission ihre Ankündigung absoluter Transparenz wahrmacht."

Die IEC sei ihrer Rolle als unabhängige Institution "nur teilweise" gerecht geworden, sagte Ruttig. "Es gibt viele Hinweise auf gekauftes Wahlpersonal und dessen Beteiligung an Fälschungen. Die Prozeduren wurden oft nur oberflächlich eingehalten. Es bleibt abzuwarten, wie die Leitung der Kommission in Kabul darauf reagiert."

dpa/epd