Wahlen in Afghanistan: Anschläge und Angriffe
Mit Bomben und Raketen wollen die Taliban die Afghanen von der Parlamentswahl fernhalten. Präsident Karsai ruft dazu auf, der Gewalt zu trotzen. Inzwischen werden erste Unregelmäßigkeiten gemeldet. Massiver Wahlbetrug wird befürchtet.

Überschattet von Anschlägen und Angriffen wählen die Afghanen zum zweiten Mal seit dem Sturz des Taliban-Regimes vor acht Jahren ein neues Parlament. Der afghanische Präsident Hamid Karsai appellierte an seine Landsleute, sich von der Gewalt der radikal- islamischen Aufständischen nicht einschüchtern zu lassen und sich an der Abstimmung zu beteiligen.

Vor Eröffnung der Wahllokale und zu Beginn der Abstimmung am Samstagmorgen kam es in mehreren Provinzen zu Raketenangriffen und Bombenanschlägen. Die Taliban haben zum Wahlboykott aufgerufen und Wähler bedroht. Wahlbeobachter befürchten wie schon bei der Präsidentschaftswahl im vergangenen Jahr massiven Wahlbetrug.

Nach Angaben der Wahlbeschwerdekommission (ECC) wurde in Kabul ein Mann mit 15 gefälschten Wahlausweisen festgenommen. Die ECC überprüft Betrugsvorwürfe. Nach offiziellen Angaben und Berichten von Augenzeugen wurden auch am nordafghanischen Bundeswehr-Standort Kundus und in der südafghanischen Provinz Helmand gefälschte Wahlausweise entdeckt.

Mit Wahlbetrug muss offenbar gerechnet werden

Ein dpa-Reporter in Kundus sagte, Wähler hätten zudem die eigentlich nicht-abwaschbare Tinte, mit der ein Fingernagel nach der Stimmabgabe markiert wird, abwischen können. Mit der Markierung soll vermieden werden, dass Afghanen mit mehreren Wahlausweisen mehrfach wählen können. Nach Medienberichten sind zahlreiche gefälschte Wahlausweise im Umlauf. Bei der Präsidentschaftswahl 2009 war der Betrug vor allem dem Karsai-Lager angelastet worden.

Karsai sagte am Samstag bei seiner Stimmabgabe in Kabul: "Wir hoffen, dass es eine hohe Wahlbeteiligung geben wird und dass sich niemand von Zwischenfällen abschrecken lassen wird." Die Männer und Frauen müssten ihre Kandidaten ohne Druck wählen können. Der UN- Sondergesandte in Afghanistan, Staffan de Mistura, sprach von einem "entscheidenden Tag". Er sagte, Sorgen bereiteten die Sicherheitslage und möglicher Wahlbetrug. Er hoffe, dass die Menschen Mut bewiesen und sich an der Parlamentswahl beteiligten.

Der Sprecher der Unabhängigen Wahlkommission (IEC), Nur Mohammad Nur, sagte, trotz Anschlagsdrohungen hätten landesweit 90 Prozent der Wahllokale pünktlich geöffnet. Der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Sahir Asimi, sagte, in den ersten Stunden der Wahl sei es zu keinen bedeutenden Zwischenfällen gekommen. Die Taliban teilten auf ihrer Internetseite mit, sie hätten Dutzende Anschläge verübt und hunderte Wahllokale zur Schließung gezwungen. Angaben der Taliban sind in der Regel stark übertrieben.

Mehr als tausend Wahllokale konnten nicht öffnen

Zwischenfälle wurden aus mehreren Provinzen gemeldet. Die Polizei teilte mit, bei einer Bombenexplosion in einem Wahllokal in der ostafghanischen Stadt Chost sei ein Mitarbeiter der Wahlkommission (IEC) verwundet worden. In der Hauptstadt Kabul sei ein Geheimdienstmitarbeiter verletzt worden, als ein Sprengsatz kurz vor Öffnung der Wahllokale detonierte. Ein Selbstmordattentäter sei in Kabul festgenommen worden, bevor er sich in die Luft sprengen konnte.

Wenige Stunden zuvor war eine Rakete in der Kabuler Innenstadt eingeschlagen. Auch in mehreren anderen Provinzen wie Kundus, Kandahar oder Nangarhar kam es zu Raketenangriffen. Über Tote wurde zunächst nichts bekannt. In der östlichen Provinz Kunar griffen Taliban-Kämpfer nach Angaben des Verteidigungsministeriums Wahllokale an. Die Gefechte dauerten an.

Nach Angaben des Innenministeriums werden an den knapp 6.000 Wahllokalen im ganzen Land 52.000 Polizisten eingesetzt. Im weiterem Umkreis sollen zusätzlich 63.000 afghanische Soldaten für Sicherheit sorgen. Die Internationale Schutztruppe ISAF mit ihren 120.000 Soldaten steht bereit, um in Notfällen einzugreifen. Trotzdem blieben mehr als 1.000 Wahllokale geschlossen, die in unsicheren Gegenden besonders im Süden und Osten liegen.

Die Entscheidung braucht sechs Wochen

Die Wahlkommission IEC rechnet mit 12,5 Millionen Wahlberechtigten. Sie vergeben ihre Stimme nicht an Parteien, sondern an einzelne Abgeordnete, die einem politischen Lager nicht immer eindeutig zuzuordnen sind. Aussagekräftige Ergebnisse werden daher nicht erwartet. Die Wahllokale schließen am Samstag um 16.00 Uhr Ortszeit (13.30 Uhr deutscher Zeit).

Rund 2.500 Kandidaten - darunter mehr als 400 Frauen - bewerben sich um die 249 Sitze im Unterhaus (Wolesi Dschirga). Beschwerden über Betrug muss die Wahlbeschwerdekommission ECC nach der Abstimmung überprüfen. Nach dem offiziellen Zeitplan soll sie ihre Entscheidungen bis zum 24. Oktober an die IEC übermitteln. Die IEC will am 9. Oktober ein vorläufiges Ergebnis und am 30. Oktober ein amtliches Endergebnis verkünden.

dpa