TV-Tipp des Tages: "Mazel Tov" (3sat)
Ein Fest der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt: Der Zwiespalt zwischen gestern und heute, zwischen den Kulturen, zwischen den alteingesessenen Juden und den Neuankömmlingen bildet das Thema des Films.
17.09.2010
Von Tilmann P. Gangloff

"Mazel Tov", 19. September, 17.25 Uhr auf 3sat

Die Filme von Mischka Popp und Thomas Bergmann sind immer Expeditionen in das Fremde; und deshalb sind sie so einzigartig. Seit drei Jahrzehnten dreht das Team Dokumentarfilme, und trotzdem haben die beiden sich eine kindliche Neugier bewahrt. Sujet und Machart von „Mazel Tov“ (ausgestrahlt im Rahmen eines 3sat-Thementages über jüdisches Leben heute) mögen nicht so spektakulär sein wie „Augenlied“ (ein Film über das Sehen – mit Blinden) oder „Kopfleuchten“ (über Menschen mit verletzten Gehirnen); aber der wache Blick ist der gleiche. Daher kommt die Kamera, die ein Fest der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt beobachtet, den sprichwörtlichen großen Kinderaugen gleich. Die Bilder baden förmlich in der gezeigten Lebensfreude.

Aber dann gibt es eben auch die abrupten Wechsel, wenn uralte, über und über mit Orden behängte Männer ihre Kriegsgeschichten erzählen: wie sie damals im Dienst der Roten Armee und unter großen Entbehrungen den deutschen Faschismus besiegt haben. Sie sind ausnahmslos Juden. Sie waren eine halbe Million Soldaten. Sie haben die höchsten Ehren erhalten. Aber dann wurde die Erinnerung an ihre Taten auf Geheiß Stalins aus den Geschichtsbüchern getilgt. Ihre Religion durften sie in der Sowjetunion ohnehin nicht ausüben. Also haben sie, als Touristen getarnt, mit zwei Koffern ihre Heimat verlassen, als Gorbatschow 1990 die Grenzen öffnete; und sind ausgerechnet nach Deutschland emigriert.

Dieser Zwiespalt zwischen gestern und heute, zwischen den Kulturen, zwischen den alteingesessenen Juden und den Neuankömmlingen bildet das Thema des Films. Popp und Bergmann lassen die hochbetagten Herren geduldig reden, ergänzen ihre Schilderungen allenfalls durch Ausführungen der eigenen Kinder, die einiges zurechtrücken und anderes erklären. Vielen ist ihr Judentum überhaupt erst in Deutschland bewusst geworden: weil sie hier Juden sein konnten; daheim waren sie bloß Russen. Heimliche Hauptfigur des Films aber ist Dalia Moneta, die Leiterin der Sozialabteilung der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt, eine sympathische Person, die kein Blatt vor den Mund nimmt und sehr fröhlich auch ein paar politisch eher unkorrekte Wahrheiten ausspricht.

Es wird also viel geredet in diesem Film, allerdings nicht von den vielfach ausgezeichneten Filmemachern; „Mazel Tov“ („Viel Glück“) kommt komplett ohne Kommentar aus. Die Aufnahmen sind dafür umso beredter, denn das ist das Credo von Popp und Bergmann: dem Wort ein Bild geben. Daher sitzen die alten Männer mitunter einfach nur schweigend in ihren Zimmern; „wie Steine“, finden die Filmemacher. Und deshalb werden die Schilderungen der Veteranen von angemessen düsteren Wolken- und Strandlandschaften untermalt. Aber eigentlich, finden Popp und Bergmann, sollte man über Bilder nicht reden (und daher auch nicht schreiben); man sollte sie sehen.

 


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).