"Ich halte die gefundene Lösung, die auch ohne eine Zustimmung des Bundesrats realisiert werden soll, nicht für einen Geniestreich", sagte der CDU-Politiker Norbert Lammert der Nachrichtenagentur dpa. Der Alleingang berge ein "beachtliches verfassungsrechtliches Risiko".
Papier bekräftigt: Atom-Plan nur mit Bundesrat
Auch nach Meinung des früheren Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, sind die Atompläne der Bundesregierung weiterhin nur mit Zustimmung des Bundesrats möglich. Unter Berücksichtigung der juristischen Kommentare und neuer Studien bleibt Papier bei seiner bereits vor Monaten in einem Gutachten geäußerten Meinung, dass die Länderkammer zwingend an der Entscheidung beteiligt werden muss.
Dies schreibt Papier in einem Aufsatz für die "Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht" (NVwZ), der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Die Ausgabe erscheint offiziell am 30. September. Die geplante Laufzeitverlängerung sei nicht eine "marginale, sondern wesentliche Änderung des bestehenden Atomrechts".
Interessen der Länder besonders betroffen
Papier betont, dass ein von der Atomindustrie gerne zitiertes Urteil zum Luftsicherheitsgesetz sich nicht dazu eigene, es auf die Atom-Entscheidung zu übertragen. Es besagte, dass es nicht automatisch der Zustimmung des Bundesrats bedürfe, wenn den Ländern einige quantitative Mehraufgaben übertragen würden. Papier begründet seine Auffassung mit dem Paragrafen 87c des Grundgesetzes. Im Atomrecht gelte grundsätzlich Landesverwaltung, die in eine Auftragsverwaltung des Bundes verändert werden kann.
Im Rahmen dieser Mischverwaltung seien "bei einer wesentlichen Änderung der vollzugsfähigen und vollzugsbedürftigen Sachregelungen die Interessen der Länder im Kontext der Auftragsverwaltung besonders betroffen und deshalb sind, was die Zustimmungserfordernis anbelangt, besondere Anforderungen zu stellen".
Lammert argumentierte, Union und FDP würden mit einer Umgehung des Bundesrats auch bewusst auf die Chance verzichten, das Energiekonzept auf die breite Basis zu stellen, die der lange Geltungszeitraum bis 2050 erfordere.
Die Regierung plant im Schnitt mit zwölf Jahre längeren Laufzeiten. Da Union und FDP im Bundesrat keine Mehrheit haben, wollen sie die Länderkammer umgehen. Mehrere SPD-regierte Ländern wollen in diesem Fall klagen, so dass letztlich das Bundesverfassungsgericht über das Laufzeitplus entscheiden dürfte.
Atompläne im Bundestag heftig umstritten
Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) hat das Energiekonzept der Regierung gegen heftige Kritik der Opposition als "weltweit einmalig verteidigt". Auch dank der Einnahmen aus längeren Atomlaufzeiten würden künftig drei Milliarden Euro pro Jahr in den Ausbau der Öko-Energien fließen, sagte Röttgen am Dienstag im Bundestag bei der Beratung des Umwelthaushalts für 2011. Sicherheit bei den Atommeilern habe höchste Priorität. SPD, Grüne und Linke kündigte an, den "schmutzigen Deal" mit der Atomindustrie mit aller Macht zu bekämpfen.
"Das ist quasi ein Kaufvertrag für längere Laufzeiten", sagte der SPD-Umweltpolitiker Matthias Miersch. Der Grünen-Abgeordnete Sven-Christian Kindler sagte, diese Regierung sei ein "Marionetten- Kabinett der Atomkonzerne". Die Ökoenergie-Branche bewerte anders als Röttgen das Konzept als Katastrophe. Man werde auch nicht akzeptieren, dass Röttgen entgegen wissenschaftlicher Gutachten Gorleben als Atom-Endlager durchsetzen wolle.
Grünen-Fraktionsvize Bärbel Höhn nannte Röttgens Auftritt ein "Trauerspiel". "Sie haben die Sicherheit der Bevölkerung verraten und verkauft", sagte Höhn mit Blick auf die Debatte um die Auflagen für die Nachrüstung von Atomkraftwerken. Röttgen sei früher von 20 Milliarden Euro Gesamtkosten für eine Nachrüstung bei zwölf Jahre längeren Laufzeiten ausgegangen, davon sei nun keine Rede mehr.
Der FDP-Politiker Michael Kauch warf der Opposition billigen Populismus vor - es gebe keine finanzielle Begrenzung der Sicherheitskosten. Röttgen sagte: "Wir machen einen Einstieg in die erneuerbaren Energien, in mehr Energieeffizienz."
Öko-Fonds: Ausfälle bis zu 30 Prozent
Die Energiekonzerne kommen bei der Vereinbarung mit der Regierung besser weg als bisher bekannt. Das Bundesfinanzministerium bestätigte am Dienstag in einer Sondersitzung des Wirtschaftsausschusses, dass neben der bis 2016 befristeten Atomsteuer auch die Ausgaben für den Öko-Energiefonds von der Steuer absetzbar sind.
Insgesamt will der Bund ab 2016 mit dem Fonds 14,5 Milliarden Euro abschöpfen. Wie die Deutsche Presse-Agentur aus Ausschusskreisen erfuhr, könnte die Steuerregelung für den Öko-Fonds bei Bund, Ländern und Kommunen Ausfälle von bis zu 30 Prozent bewirken. Die SPD prüft neben der Klage bei einer Entscheidung für längere Laufzeiten ohne Einbindung des Bundesrats auch eine Verfassungsklage gegen den Zusatzvertrag zwischen Bundesregierung und Atomwirtschaft.
Bei den Zusatzeinnahmen verlangt Bayerns Umweltminister Markus Söder (CSU) die Hälfte für Länder mit Kernkraftwerken. Auch Hessen und Baden-Württemberg fordern Geld. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) lehnte das jedoch ab. Laut Grundgesetz stünden spezifische Verbrauchssteuern wie diese dem Bund zu, sagte er am Dienstagabend im ZDF-"heute journal".
Atomindustrie drängt auf schnelle Lösung
Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin nannte das Ansinnen der Länder "dreist": Die drei Länder reklamieren die Hälfte der Zusatzeinnahmen, "obwohl sie bereits durch Steuer-Mehreinnahmen von den längeren Laufzeiten profitieren, und das zu Lasten der Sicherheit."
Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) beklagte in der Unions-Fraktion Kommunikationsdefizite. Die Diskussion um das Energiekonzept werde zu stark auf die Laufzeitverlängerung verengt. Der Unions- Obmann im Umweltausschuss, Josef Göppel (CSU), will im Atomgesetz eine regelmäßige Überprüfung festschreiben lassen, ob längere Laufzeiten weiterhin notwendig sind. "Wenn man die These von der Brückentechnologie ernst nimmt, kann man keine festen Kernkraft- Laufzeiten festlegen, sondern muss sie abhängig machen vom Aufwuchs der erneuerbaren Energien", begründet Göppel seinen Antrag.
Die Atomindustrie drängt unterdessen auf eine schnelle Lösung der Atommüll-Frage. Durch im Schnitt zwölf Jahre längere Laufzeiten steigt die Menge hoch radioaktiven Atommülls nach Angaben des Bundesamts für Strahlenschutz auf 21.600 Tonnen. "Nach den bisherigen Erkenntnissen spricht viel dafür, dass Gorleben geeignet sein wird. Aber das ist eine politische Entscheidung, an der wir nicht beteiligt sind", sagte Eon-Chef Johannes Teyssen der dpa. Die Enteignungspläne der Regierung begrüßte er.