"Weissensee", 14. September, 20.15 Uhr im Ersten
Dienstags um 20.15 Uhr ist im "Ersten" die Welt noch in Ordnung. In Serien wie "Familie Dr. Kleist" oder "Um Himmels Willen" mag es mitunter kleinere oder größere Tragödien geben, aber in der Regel geschieht nichts, was sich nicht wieder gradebiegen ließe. Die sechsteilige fortlaufende erzählte Serie "Weissensee" könnte beim Publikum also durchaus zu mindestens mittlerer Verwirrung führen. Die Geschichte trägt sich zu Beginn der Achtzigerjahre in Ostberlin zu. Trotz vieler durchaus harmonischer und romantischer Momente ist die Grundstimmung ebenso düster wie die Aussichten auf ein Happy End: 1989 und der Mauerfall sind noch weit weg. Wer sich jetzt mit dem Regime anlegt, wird entweder zur Kooperation gezwungen oder landet hinter Gittern.
Autorin Annette Hess ist zwar im Westen aufgewachsen, hat sich aber nach eigenem Bekunden schon als Kind mit der DDR beschäftigt: Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Menschen hinter einer Mauer leben. Bei ihren Recherchen für den Film "Die Frau vom Checkpoint Charlie" (ARD, 2007) hat sich Hess dann auch beruflich intensiv mit der DDR auseinander gesetzt. Schon in der Geschichte über den authentischen Fall einer abgeschobenen Mutter, die vom Westen aus um ihre beiden Töchter kämpft, gelang der Autorin ein bemerkenswertes Drehbuch über die Haltung der Mächtigen in einem Unrechtsstatt, der das Private grundsätzlich zum Politischen machte.
Das gilt erst recht für "Weissensee", denn in der vom vielfach ausgezeichneten Friedemann Fromm (unter anderem Grimme-Preis und "Emmy" für den Dreiteiler "Die Wölfe") inszenierten Serie werden die unterschiedlichen Weltanschauungen durch zwei Familien repräsentiert. Geschickt verteilt Hess die verschiedenen Positionen auf einzelne Familienmitglieder: Hans Kupfer (Uwe Kockisch), Generalmajor im Ministerium für Staatssicherheit, ist überzeugter Kommunist; er verkörpert das Ideal des Sozialismus. Sein Sohn Falk ist der Gegenentwurf, ein Karrierist, der über Leichen gehen würde. Einzig in den Szenen mit Falks eigenem kleinen Sohn gibt Jörg Hartmann dem ehrgeizigen Stasi-Offizier eine positive Seite, ansonsten ist er nicht zuletzt dank seiner mitunter hanebüchen wirkender Engstirnigkeit in der Geschichte ein Antagonist, den man von Herzen verabscheut. Dass seinen Vater ausgerechnet mit der singenden Regimekritikerin Dunja Hausmann (Katrin Saß) eine alte, immer noch lebendige Zuneigung verbindet, ist für den ungeliebten Falk ein Rätsel.
Im Zentrum der Handlung aber steht ein Paar, dessen Liebe "Weissensee" zur einer "Romeo und Julia"-Geschichte macht: Bei einer Verkehrskontrolle verliebt sich Falks aus der Art geschlagener jüngerer Bruder Martin (Florian Lukas), der allen Ambitionen des Vaters zum Trotz mit seinem Job als einfacher Volkspolizist sehr zufrieden ist, in Dunjas Tochter Julia (Hannah Herzsprung). Mehrfach beenden die beiden wechselweise ihre unmögliche Beziehung, zumal gerade Falk immer wieder dafür sorgt, dass Mutter und Tochter Hausmann die ganzen schmutzigen Stasi-Schikanen zu spüren bekommen: permanente Überwachung, Auftrittsverbot, Bespitzelung durch Freunde. Die Dramaturgie jeder einzelnen Folgen steuert konsequent auf einen "Cliffhanger" hin, einen Höhepunkt, der die Spannung schürt.
Ähnlich wie "Die Wölfe" ist "Weissensee" großes zeitgeschichtliches Fernsehen, doch als Bezugspunkt aus der TV-Geschichte taugt eher ein Serienklassiker wie "Acht Stunden sind kein Tag" von Rainer Werner Fassbinder. Fromm inszeniert den überwiegend mit ostdeutschen Schauspielern besetzten Sechsteiler präzise und schnörkellos, was die Serie in Kombination mit der Ausstattung des DDR-Experten Frank Godt ("Die Wölfe", "Jenseits der Mauer", "Böseckendorf") sehr authentisch wirken lässt. Basis dafür ist das kluge Drehbuch von Annette Hess, die auch die Texte für die subtil subversiven Texte von Dunja Hausmanns Liedern geschrieben hat: Neben den großen Konflikten lässt es immer wieder Raum für kleine Dramen; selbst wenn die bange Frage, ob Martin und Julia womöglich Geschwister sind, wie eine Reminiszenz an "Die Wölfe" klingt.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).