Gott als Marsmensch, Ritter und Roboter
Kinder haben ihr eigenes Bild vom Allerhöchsten: Jungen zeichnen Gott als Ritter, Marsmenschen oder Roboter. Mädchen betonen Gottes Nähe, seine Fürsorge und seinen Schutz.
13.09.2010
Von Judith Kubitscheck

Die siebenjährige Naemi zeigt stolz ihr selbst gemaltes Bild: "So stelle ich mir Gott vor", sagt sie. Zwei große Hände sind mit Buntstift auf das Papier gezeichnet. Sie tragen ein kleines Mädchen mit Zöpfen, das mit großen Augen den Betrachter anschaut. "Das Mädchen, das bin ich", erklärt die Zweitklässlerin.

Die großen Hände habe sie gemalt, um Gottes Größe auszudrücken: "Für Gott bin ich so klein wie eine Ameise. Gott ist riesig. Das muss er aber auch sein. Denn sonst könnte er mich auch nicht gemacht haben. Die Figuren, die ich knete, sind auch immer kleiner als ich", sagt Naemi, die aus einem christlichen Elternhaus aus Sachsenheim nahe Stuttgart stammt.

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Das klingt logisch. Kinder denken sehr kreativ und eigenständig über Gott nach. Der Schweizer Religionspädagoge Anton Bucher hat deshalb den Begriff "Kindertheologie" geprägt: Kinder sind seiner Meinung nach Theologen, weil sie nicht nur religiöse Ideen äußern, sondern sich auch eigenständige, kreative Gedanken über Gott und die Welt machen.

Kinderzeichnungen

Georg Hilger, emeritierter Professor für Religionspädagogik an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Regensburg, sammelte mehrere hundert Bilder von Grundschulkindern, auf denen diese ihre Gottesvorstellungen zeichneten.

Das Ergebnis: Jungen betonen vor allem die Größe Gottes, seine Mächtigkeit und Kraft. Sie zeichnen Gott als Ritter, Marsmenschen oder Roboter. Den Mädchen ist vor allem wichtig, Gottes Nähe, seine Fürsorge und seinen Schutz in ihren Zeichnungen darzustellen.

Auch Naemi hat klare Vorstellungen von Gott. Er sei nicht nur groß, sondern auch sehr stark. Aber: "Gott nutzt die Stärke nicht, um uns zu verprügeln, sondern um uns zu beschützen. Deshalb muss man auch keine Angst vor ihm haben." Auf ihrem selbst gemalten Bild sind einige Wolken zu sehen: "Es könnte sein, dass ich von ganz oben runterfalle," sagt Naemi. "Aber dann lande ich auf einer Wolke, und Gott beschützt mich."

Alle Kinder haben eine Vorstellung von Gott

Über die Generationen hinweg habe sich das Gottesbild der Jungen und Mädchen verändert, sagt Religionspädagoge Hilger. Wie Biografien zu entnehmen ist, stellten sich früher die Kinder Gott als furcht- und angsterregend vor. Dieses Bild sei wahrscheinlich durch die Erziehung vermittelt worden. "In den von uns gesammelten vielen hundert Bildern konnten wir diese Vorstellung so gut wie nicht mehr erkennen", sagt Georg Hilger.

Helmut Hanisch, emeritierter Professor für Religionspädagogik an der evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Leipzig, hat ebenfalls Kinderbilder ausgewertet. Er fand heraus, dass auch Kinder, die in einem atheistischen Umfeld aufgewachsen sind, eine Vorstellung von Gott haben. Sie bauen sich aus Versatzstücken, die sie im Alltag oder in der Kunst aufschnappen, eine Vorstellung von Gott zusammen.

Um Gott von den Menschen zu unterscheiden, verwenden die Kinder laut Hanisch in ihren Zeichnungen Symbole wie einen Heiligenschein oder eine Krone. Dahinter stecke die Vorstellung: Wenn Gott die Welt erschaffen hat, muss er sehr weise und alt sein. Die Weisheit drücken die Kinder oft durch einen riesigen Kopf aus, das Alter Gottes durch graue Haare oder einen langen Bart.

"Wachsender religiöser Analphabetismus"

Der Religionspädagoge Hanisch hat nachgewiesen: Je älter die Kinder werden, desto mehr unterscheiden sich die Gottesvorstellungen von religiös-erzogenen und nicht religiös-erzogenen Kindern. Die religiöse Erziehung verändert demnach das Gottesbild von Kindern. Wenn religiös erzogene Kinder Gott beschreiben, verwenden sie ab dem zehnten Lebensjahr abstrakte Symbole wie beispielsweise eine Sonne. Nicht religiös erzogene Kinder verharren dagegen - teilweise bis ins Erwachsenenalter hinein - in ihrem kindlichen und oft märchenhaften Bild von einem Gott in menschenähnlicher Gestalt.

Hanisch spricht von einem "wachsenden religiösen Analphabetismus" bei Erwachsenen. Er ist überzeugt: Wenn Menschen sich zu wenig mit dem Glauben auseinandersetzten, seien sie auch nicht in der Lage, sich an dem religiösen Diskurs in der Gesellschaft zu beteiligen. "Wie will ich in religiösen Angelegenheiten eine differenzierte Position ergreifen, wenn ich einen naiven Kinderglauben habe?"

epd