Florin Cioaba (57) aus Hermannstadt in Rumänien trägt seit 1997 den Titel "König der Roma". Er gilt auf nationaler wie internationaler Ebene als wichtiger Repräsentant seiner Volksgruppe und ist Erster Vizepräsident der Internationalen Union der Roma (IRU) sowie Präsident des Plenums des "Europäischen Forums der Roma in Europa", in dem Roma-Gruppen aus allen Ländern des Europarats vertreten sind.
Wie beurteilen Sie die aktuellen Vorgänge um die Roma-Ausweisung in Frankreich?
Florin Cioaba: Die Vorgänge in Frankreich beunruhigen uns sehr. Das kann ein Dammbruch sein für den Umgang mit den Roma in Europa. Andere Länder haben bereits signalisiert, ähnlich verfahren zu wollen wie Frankreich. Hier wird das Recht auf Freizügigkeit innerhalb der EU massiv verletzt, und das von staatlicher Seite. Dieses Recht haben alle Staatsbürger von Staaten, die der EU beigetreten sind. Der Westen muss sich dessen klar sein, dass mit dem EU-Beitritt osteuropäischer Länder eine Migration von Roma und anderen Menschen zu erwarten ist. Nach den Beschwernissen der kommunistischen Zeit und angesichts der Armut in diesen Ländern emigrieren Menschen.
Was erwarten die Emigranten vom Westen?
Florin Cioaba: Sicher emigrieren nie die Reichen, sondern immer die Armen. Alle die darauf gehofft haben, dass die westlichen Länder für sie ein "Gelobtes Land" sein werden und sie integrieren würden und Arbeit finden, haben sich bitter getäuscht. Sie haben hier alles aufgegeben, um ins Ausland zu ziehen, und sind dort auf strenge Gesetze, Diskriminierung und Hass gestoßen.
Ich spreche hier natürlich von Menschen, die sich integrieren wollen. Ich werde niemals Leute verteidigen, die ins Ausland gehen um zu stehlen, zu betteln und kriminell zu sein. Dafür gibt es Gesetze. Für die aber, die sich integrieren und arbeiten wollen, setzen wir uns ein. Wir reagieren hier so scharf, weil wir nicht glauben, dass es in der EU zwei Klassen von Europäern geben darf. Wir Roma sind keine Europäer zweiter Wahl. Es kann nicht sein, dass die Erste Klasse alle Rechte hat und Second-Hand-Europäern Grundrechte vorenthalten werden. Wenn Roma ausgewiesen werden wie in Frankreich, werden ihre Grundrechte mit den Füßen getreten.
Vor drei Jahren stellte sich das gleiche Problem in Italien. Brauchen die westlichen Länder regelmäßig Sündenböcke?
Florin Cioaba: Ein großes Dilemma besteht darin, dass nur über Roma gesprochen wird, aber nicht über andere Volksgruppen, die das Gesetz übertreten. 2007 stellte sich das gleiche Problem in Italien. Damals kam es zu einer diskriminierenden Diskussion über Roma und die öffentliche Sicherheit in Italien im Wahlkampf. Da wurden Ressentiments geschürt und Vorurteile bedient, was Berlusconi den Wahlsieg und rechten Parteien den Einzug in Parlament und Regierung gebracht hat. Jetzt hat Präsident Sarkozy ein Popularitätstief und wieder müssen die Roma als schwarze Schafe herhalten. Und seine Popularität steigt wieder. Die Roma werden instrumentalisiert, um aus populistischen Gründen härtere Ausländergesetze durch-zusetzen, weil man sich nicht an andere Volksgruppen heranwagt, um nicht diplomatische Beziehungen zu gefährden.
Welche Rolle spielt die Tatsache, dass die Roma keine Titularnation haben?
Florin Cioaba: Die Roma gehören zu keinem Staatsvolk, das in einem Land lebt und sie schützt und verteidigt, wie das bei anderen Minderhei-ten der Fall ist. Und Rumänien zieht es vor zu schweigen, statt lautstark zu protestieren und ein Veto einzulegen. Es scheint hier Absprachen zwischen den Regierungen zu geben. Vor einigen Tagen hat ein Abgeordneter der Regierungspartei PDL erklärt, dass die Roma als Nomaden nur zufällig in den Grenzen Rumäniens leben und nur der Volkszählung nach rumänische Staatsbürger sind. Das ist eine absurde Aussage. Wir leben hier seit 1200 nachweislich, wir sind Staatsbürger Rumäniens, wie die Rumänen und die anderen Minderheiten auch.
Dieser Abgeordnete will auch ein Gesetz einbringen, dass die Roma sich künftig "Zigeuner" nennen sollen, um sprachliche Verwechslung zwischen "Roma" ("Rromi") und "Rumänen" ("Români") künftig zu vermeiden, so als wären wir ein öffentliches Übel oder die Mafia. Doch darüber werde ich niemals verhandeln. Nicht umsonst heißen wir im internationalen Sprachgebrauch "Roma", auch unsere Institutionen und sogar die Rumänische Regierungsagentur für unsere Anliegen heißt "Nationale Agentur für Roma". Hier äußern sich Ressentiments und Vorteile, die nach aktuellen Umfragen über 87 Prozent der Menschen in Rumänien teilen.
Wie viele Roma aus Rumänien leben der-zeit überhaupt in Frankreich?
Florin Cioaba: Wir gehen von maximal 30.000 aus. Viele Roma aus Tschechien und Bulgarien geben sich als Roma aus Rumänien aus. Der fran-zösische Staatssekretär Pierre Lellouche spricht von zweieinhalb Millionen Roma in Frankreich spricht, wobei die Mehrheit aus Rumänien stamme. Das ist das purer Unsinn, in Rumänien leben rund zwei Millionen Roma. Doch es wird nur von den Roma aus Rumänien gesprochen, nicht von denen aus Tschechien oder Polen. Dort nehmen die Staaten eine ganz andere Haltung ein und verteidigen die Rechte ihrer Roma.
Was erwarten Sie von der rumänischen Staatsführung?
Florin Cioaba: Präsident Traian B?sescu hat sehr richtig festgehalten: die Roma-Frage ist ein europäisches Problem. In allen EU-Ländern leben insgesamt zwölf Millionen Roma, deren Probleme können nicht von den einzelnen Staaten allein gelöst werden. Es braucht eine europäische Lösung. Vor allem in Ost- und Südosteuropa leben die Roma in größter Armut.
Der Präsident verteidigt unsere Rechte, was wir von der Regierung nicht sagen können. Weder der Premier noch der Außenminister haben einen Finger gerührt und auch nichts gesagt zu den jüngsten Ankündigungen der Französischen Regierung, unbeeindruckt von den Protesten der EU und der internationalen Öffentlichkeit den eingeschlagenen Kurs noch zu verschärfen.
Es braucht auf nationaler wie internationaler Ebene nachhaltige Strategien und Projekte in vier Bereichen: Wohnraum, Bildung, Gesundheit, Arbeitsplätze. Wenn unsere Menschen in Lohn und Brot kommen, Berufsausbildung erhalten und auch Absatzmärkte für ihre Handwerksprodukte auf EU-Ebene finden, werden sich viele Probleme von selbst lösen. Bildung ist der beste Weg, um auch die Mentalität der Roma zu verändern. Es braucht Lösungen auf europäischer Ebene, weil die Roma überall im Elend leben, ob in Frankreich, Bulgarien, Rumänien, Tschechien oder Polen. Und die Roma können nicht aus Europa hinausgeworfen werden.
Was erwartet die Heimkehrer?
Florin Cioaba: Sie haben kein Geld, keinen Wohnraum und keinen Arbeitsplatz. Niemand will sie haben. Und von der Rückkehrprämie von 300 Euro können sie nicht leben. Rumänien hat hier keinen Plan. Der Weg in Armut und Elend ist vorgezeichnet.