Mit einem Gottesdienst ging am Sonntagnachmittag der 5. Internationale Gospelkirchentag in Karlsruhe zu Ende. Mehrere tausend Besucher waren in die Europahalle gekommen, um mit Gesang und Gebeten das größte Gospelfestival Europas zu beschließen.
70.000 Besucher beim dreitätigen Festival
Schon am Sonntagvormittag zogen die Organisatoren eine positive Bilanz des größten Gospelfestivals Europas. "70.000 Besucher sind weitaus mehr als wir erwartet hatten, das ist unglaublich", freute sich Martin Bartelworth von der Creativen Kirche Witten und war sich darin mit dem evangelischen Stadtdekan Karlsruhes, Otto Vogel, einig. „Wenn ich sagen würde, ich bin begeistert, dann wäre das noch untertrieben“, sagte Dekan Vogel und war sich sicher: „Der Gospel ist in Karlsruhe angekommen“.
Drei Tage lang hatten Zehntausende Menschen Konzerte von rund 5.000 Gospel-Sängern und -Chören verfolgt. Die Künstler kamen aus Europa und den USA. Sie traten auf drei Open-Air-Bühnen und in rund 30 Kirchen auf. Am Freitagabend waren rund 10.000 Menschen zur Eröffnungsveranstaltung mit Nina Hagen auf den Marktplatz gekommen. Anschließend strömten im Rahmen einer ökumenischen Gospelnacht etwa 15.000 Menschen in drei Dutzend Kirchen, um den Gesang von mehr als 100 Chören zu hören. Der Samstag stand unter dem Motto: „Karlsruhe gospelt“.
„Gospel für eine gerechtere Welt“
Auch die bundesweite Aktion „Gospel für eine gerechtere Welt“ des evangelischen Hilfswerk "Brot für die Welt", des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED) und der Creative Kirche, Mitveranstalter des Gospelkirchentages, war Thema beim Abschlussgottesdienst. Damit hatte der Gospelkirchentag erstmals einen inhaltlichen Schwerpunkt gesetzt. Mit Themenabenden und Informationsveranstaltungen wolle man in den mehreren tausend Gospelchören in Deutschland auf das Thema aufmerksam machen, so Matthias Otto, Koordinator der Aktion. Dazu wurden im Gottesdienst Botschafter ausgesandt, die diese Aufgabe übernehmen sollen.
Zum Abschluss konnte ein konkretes Ergebnis benannt werden: Zusätzlich zu den knapp 22.000 Euro, die während der Karlsruher Gospelnacht am Freitag gesammelt wurden, spendeten die Besucher des Abschlussgottesdienstes noch einmal 26.190 Euro. Die Spenden kommen dem evangelischen Hilfswerk "Brot für die Welt" für ein Klimaprojekt zugute, mit denen im westafrikanischen Burkina Faso insgesamt 4 Brunnen gebaut werden sollen.
Auf den Zusammenhang zwischen Gospel und dem Einsatz für mehr Gerechtigkeit verwies Dr. Ulrich Fischer, Bischof der Evangelischen Kirche in Baden, in seiner Predigt. „Nur wer für eine gerechtere Welt eintritt, hat das Recht, Gospel zu singen“, sagte der leitende Theologe. In Karlsruhe habe drei Tage lang ein Ausnahmezustand des Heiligen Geistes geherrscht, so Fischer. „Lasst diesen Geist eure Herzen öffnen“, rief der Bischof den Gottesdienstbesuchern zu, „dann kommt der Gospel zum Ziel“.
Präses Schneider hält Bibelarbeit
Vor knapp 4.000 Gästen hielt Nikolaus Schneider, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), am Samstagmorgen eine Bibelarbeit in der Karlsruher Europahalle. Dabei bezog er sich auf Verse aus Psalm 137, die dem Song „By the rivers of Babylon“ zugrunde liegen.
“By the rivers of Babylon
Where we sat down
And there we wept
When we remembered Zion.”
Der Text spricht im Gegensatz zur Melodie von Tränen, Trauer und Vertreibung. Er geht auf ein altes Psalmgebet zurück, in dem die nach Babylon verschleppten Juden an ihre Heimatstadt Jerusalem denken: „An den Wassern Babylons saßen wir und weinten, wenn wir an Zion dachten.“
Solche Klageworte, wie sie das Volk Israel gesprochen hat, können laut Schneider auch Befreiendes in sich tragen können: „Die Männer und Frauen, die nach Babylon verschleppt wurden, durften erleben, dass Gott seine segnende Hand nicht von ihnen nahm“. Dies sei auch heute noch zu erfahren: „Gerade den Leidenden ist Gott ganz besonders nah“, betonte der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland. Christen dürften sich darauf verlassen, dass Gott sich nicht zurückziehe, wenn ihr Weg durch finstere Täler verläuft.
Der Verlust der Heimat sei aber nicht nur das Schicksal von Migranten. Auch Arbeitslosigkeit, der Verlust von Liebe, Freundschaft oder das Zerbrechen einer Familie könnten zum Verlust der inneren Heimat führen.
Präses Schneider lobte das Festival als "strahlendes Zeichen der Gegenwart Gottes". Beim anschließenden Eintrag ins Goldene Buch der Stadt Karlsruhe sagte Schneider über die besondere Atmosphäre in der Stadt: "Die Stadt swingt." Der Gospelkirchentag zeige das Bild einer "singenden Kirche".
Tipps und Tricks von Gospelprofis
Das Herzstück des Gospelkirchentags war der Workshop Mass Choir. Alle Sängerinnen und Sänger lernten am Samstag und Sonntag in der Europahalle gemeinsam neue Gospels kennen und feiern. Die erfahrenen und bekannten Workshop-Leiter Hans Christian Jochimsen, Dieter Falk, Helmut Jost und Myron Butler machten die Mass-Choir-Proben zu einem besonderen Erlebnis.
Vor dem Gospelkirchentag 2008 in Hannover galt er noch als Geheimtipp, in seiner Heimat Dänemark ist er seit Jahren die Nummer eins in Sachen Gospel. In Kopenhagen leitet der studierte Konzertpianist vier Gospelchöre mit insgesamt 1.000 Sängerinnen und Sängern und einen Kinderchor.
Mit seiner ganz besonderen Pädagogik, einer gewaltigen Prise Humor und einem großen Talent, Menschen begeistern zu können, hat Jochimsen auch in Karlsruhe sowohl bei den Mass-Choir-Proben, beim „Offenen Singen“ in der evangelischen Christuskirche sowie bei einem Auftritt mit dem dänischen Opstand Gospel Choir auf dem Marktplatz (Foto) seinen persönlichen Stempel aufgedrückt.
Weitere Themen der Workshops am Samstag waren unter anderem Stimmbildung, Chorpräsenz, Chorleitung und Groove im Chor. Wie bewege ich mich als Solist auf der Bühne, wie improvisiere ich mit einem Chor, wie gehe ich mit Mikro, Lampenfieber und Publikum um? Bei dem 75-minütigen Workshop „Sologesang“ der Jazz-, Soul- und Gospelsängerin Sarah Kaiser im Albert-Schweitzer-Saal, dem Gemeindesaal der evangelischen Christuskirche, nutzten rund 40 Teilnehmern die Möglichkeit, an Stilistik, Phrasierung und Bühnenpräsenz zu arbeiten.
Impressionen aus der Fächerstadt
Die Aktion „Gospel für eine gerechtere Welt“ lockte auch Brigitte und Jürgen Becker (Foto) nach Karlsruhe. Ihr Verein „Solidarität Ettlingen Fada N´Gourma" engagiert sich seit über 12 Jahren mit Brunnenbauprojekten und Workcamps für Jugendliche in dem 40.000 Einwohner zählenden Fada N´Gourma, das östlich von Burkina Faso liegt. „Aktuell arbeiten wir im Rahmen einer Dreieckspartnerschaft zwischen Baden-Württemberg, Frankreich und Burkina Faso an zwei Brunnenbauten“, sagt Vereins-Vorstand Jürgen Becker. Das gute Wetter nutzten die Beiden am Samstag zu einer Fahrradtour aus dem 6 Kilometer entfernten Ettlingen, um Karlsruher Freunde zu treffen und Konzerte des Gospelkirchentages zu besuchen.
Das Karlsruher Musikhauses Schlaile bot am Samstag des Gospelkirchentages einen Leckerbissen für improvisierfreudige Gospelchöre an. Im Schaufenster wurde eine Spontanbühne eingerichtet, zu der man einfach hingehen und performen konnte, wie ein Auftritt von "Spirit n'voices" aus Huetschenhausen (Rheinland-Pfalz).
Gegen müde Füße auf dem Gopelkirchentag half das Gospel Taxi. Auch zwei Gospel-Chorsängerinnen aus Norwegen (Foto) nutzten den Shuttle-Dienst, den zwei Rikschas der Firma Velorad aus Straubenhardt am Samstag zwischen den drei Open-Air-Bühnen am Markt-, Stephans- und Schlossplatz anboten. Der Preis: Eine freiwillige Spende zugunsten der Aktion „Gospel für eine gerechtere Welt“.
„Ich bin überrascht über die Großzügigkeit der Leute - die meisten spenden Geldscheine“, erzählt Guido Struß, Geschäftsführer von Velorad und einer der beiden Rikscha-Fahrer. „Die Stimmung ist sehr entspannt. Ich hab es mit einem ausgesprochen angenehmen Publikum zu tun.“
Galakonzert: Naturally 7 rocken die Europahalle
Sie lassen Gitarren heulen, die Basstrommel dröhnen und Posaunen erklingen - und das, obwohl kein einziges Instrument auf der Bühne zu sehen ist. Mit ihrem Auftritt beim Galakonzert des Gospelkirchentags am Samstagabend in der ausverkauften Karlsruher Europahalle hat die US-amerikanische Top-Band "Naturally 7" deutlich gemacht, warum sie derzeit zu den angesagtesten A-capella-Formationen gehört.
"Wir machen nicht nur Instrumente nach", sagt Roger Thomas, "wir werden zu den Instrumenten". Mit dieser Kunst begeisterten die New Yorker die 5.000 Zuschauer und rockten fast zwei Stunden die Europahalle mit einer Mischung von Rap, Pop und Gospel. "Wenn du da aufwächst, wo wir aufgewachsen sind, dann musst du einfach zum Gospel finden", meint Rod Eldridge. Deshalb haben die Gospelsongs auch einen festen Platz in jedem Konzert der Truppe, die versprochen hat, beim nächsten Gospelkirchentag in zwei Jahren in Dortmund wieder dabei zu sein.
Den Auftakt zum Galakonzert hatten die Shootingstars der Gospelszene, die "Oslo Soul Teens" gemacht. Frisch, frech und sehr professionell lieferten die knapp 20 jungen Sängerinnen und Sänger eine mitreißende Show ab und waren mehr als nur eine Vorgruppe für den zweiten Hauptact des Abends - den "Oslo Gospel Choir" aus Norwegen.
Gospel begeistert immer mehr Menschen
Der Erfolg des Gospelkirchentags zeigt: Gospel begeistert immer mehr Menschen. Bundesweit soll es 3.500 Gospelchöre mit mehr als 100.000 Mitgliedern geben, Tendenz steigend. Das hat im vergangenen Jahr eine Studie der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ergeben. Die Kirchen sehen Gospelmusik vor allem als Chance, auch Menschen zu erreichen, die der Kirche fern stehen.
Vor allem Menschen zwischen 30 und 50 Jahren singen gern mit, eine Altersgruppe, die sonst nur schwer durch kirchliche Angebote erreicht wird. Für viele Menschen ist der Gospelchor der Einstieg in ein weitergehendes Engagement in der Kirchengemeinde.
Der Internationale Gospelkirchentag wird alle zwei Jahre organisiert und fand in diesem Jahr zum ersten Mal in Süddeutschland statt. Veranstalter sind unter anderem die Evangelische Landeskirche in Baden und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD). Bisherige Austragungsorte waren Essen, Bochum, Düsseldorf und Hannover. Der nächste Gospelkirchentag findet 2012 in Dortmund statt.
Alexia Passias ist freie Journalistin und lebt in Karlsruhe. Sie arbeitet regelmäßig für evangelisch.de.