Kunstaktion beweist: Wittenberg steht hinter Luther
Rot, grün, blau, schwarz: Vier Wochen lang bevölkerten 800 bunte Lutherfiguren den Wittenberger Marktplatz. Nun werden sie abgebaut und in alle Welt verschickt. Die Aktion des Künstlers Ottmar Hörl rief anfangs skeptische Stimmen auf den Plan, doch die meisten Betrachter waren schlussendlich begeistert. Der EKD-Wittenbergbeauftragte Prälat Stephan Dorgerloh schildert im Gespräch mit evangelisch.de, wie das Projekt in der Lutherstadt ankam, was ihn am meisten freute und warum er sogar dem Hauptkritiker des Projekts, Friedrich Schorlemmer, dankbar ist.
10.09.2010
Die Fragen stellte Bernd Buchner

Herr Prälat Dorgerloh, welche Bilanz ziehen Sie nach der Kunstaktion?

Dorgerloh: Die Installation der "Lutherbotschafter" war ein großer Erfolg. Wir sind ja in den öffentlichen Raum gegangen, weil wir vor allem die Kommunikation rund um die Lutherdekade und das Thema Luther anstoßen wollten. Die Resonanz in den Medien, aber auch an der Installation selber zeigt: Das Projekt war ein großer Erfolg.

Am Anfang wurde die Aktion belächelt, am Ende war sie ein Erfolg. Wie kam es zu dem Umschwung?

Dorgerloh: Am Anfang wurde über ein Kunstwerk diskutiert, das es noch gar nicht gab – also wurde quasi vor der weißen Leinwand schon über das spätere Bild gestritten. Nur wenige konnten sich die Installation zunächst richtig vorstellen. Das Wort "Lutherzwerg" ist ja bis heute irritierend. Die ersten lautstarken Kritiker polemisierten gegen das Projekt, noch bevor sie mit dem Künstler oder Initiatoren gesprochen hatten. Dabei war von Anfang an klar: Kunst im öffentlichen Raum fordert zur Stellungnahme heraus. Schon am Tag der Eröffnung war zu merken, wie die Wittenberger und ihre Gäste anfingen, die Installation zu erobern, ja sie zu mögen. Inzwischen ist daraus eine richtige Begeisterung geworden. Bei der Stadtwette haben sich über 2.000 Wittenberger von der Enkelin bis zur Großmutter aufgemacht, um "hinter Luther" zu stehen.

Ottmar Hörl wollte ja keine "theologische" Botschaft. Aber dass Luther vom Denkmal steigt und zu den Menschen geht, kann man natürlich auch theologisch sehen ...

Dorgerloh: Ich finde es richtig, dass Ottmar Hörl (Foto: epd-bild / Christoph Busse) seine Installation nicht mit einer theologischen Botschaft aufgeladen hat. Man kann das ganze ja auch entspannt und augenzwinkernd betrachten und muss daraus nicht gleich eine Bekenntnisfrage machen. Luther vom Sockel zu holen ist ganz im lutherischen Sinne. Martin Luther hätte viel lieber ein Kreuz oder eine übergroße Bibel auf dem Marktplatz gesehen. Ich finde, das Hörls Installation uns plastisch vor Augen führt, wie sehr Luther schon zum Abziehbild und Symbol geworden ist. Lutherbier trinken auch die Verteidiger der reine Lehre bei theologischen Tagungen mit Vergnügen. Und nun ist Luther nicht nur vom Sockel geholt, sondern geht auch in die weite Welt. Alle 800 Lutherfiguren sind vergeben und werden zu Botschaftern von Dubai bis Dresden und von Washington bis Wittenberg.

Haben sich denn die Kritiker wie Friedrich Schorlemmer etwas besänftigen lassen?

Dorgerloh: Schorlemmers Kritik ging an der Installation vorbei, weil da Themen hineinprojiziert wurden, die nun gar nichts damit zu tun hatten, wie zum Beispiel die Ablassthematik. Niemand erwirbt eine solche Lutherfigur, um damit dem Fegefeuer zu entgehen. So wie hoffentlich auch niemand Schorlemmers Lutherbuch kauft, um ein ewiges Leben zu gewinnen. Aber die Inszenierung seiner Polemik hat dem ganzen Projekt medial sehr geholfen. Da dürfen wir uns kräftig bedanken.

Welche Reaktion hat Sie am meisten gefreut, was fanden Sie ärgerlich?

Dorgerloh: Am meisten beeindruckt hat mich, wie unbefangen Kinder mit der Installation umgingen. Sie waren wirklich auf Augenhöhe mit Bruder Martin. Ich sah ein Foto, da steht ein kleines Mädchen ganz andächtig vor einem grünen Luther und faltet die Hände. Manche haben versucht, die altdeutschen Lettern in dem aufgeschlagen Buch zu entziffern, und ich war dabei, wie ein Junge seine Mutter fragte: "Mama, was steht im Neuen Testament?" Mir wurde auch berichtet, das ein blinder Mann ganz vorsichtig die Konturen der Figur nachgezeichnet hat und dann sagte, nun habe auch er ungefähr ein Bild von Luther. Verwundert bin ich immer über Arroganz.

Die EKD setzt in Wittenberg künstlerische und kulturelle Akzente. Haben Sie schon eine Nachfolgeaktion im Auge?

Dorgerloh: Auf dem Weg zum Reformationsjubiläum wird es immer wieder den aufregenden Dialog mit der modernen Kunst geben. Gerade arbeiteten wir an einem Kompositionswettbewerb zum Jahr der Musik 2012. Aber ich freue mich, wenn möglichst viel im öffentlichen Raum geschieht und die Zivilgesellschaft sich in ihrer ganze Breite daran beteiligen kann. Natürlich haben wir schon neuen Ideen für Wittenberg. Aber das bleibt heute noch geheim.


Prälat Stephan Dorgerloh (Jahrgang 1966) ist seit 2008 Beauftragter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in der Lutherstadt Wittenberg.