Mein Aufregungsgen ist nicht besonders entwickelt
Ernst Elitz kommentiert die Themen der Woche: Warum der religiöse Wahnsinn hierzulande zum Glück nicht so verbreitet ist wie in den USA. Warum die Deutschen dennoch Angst haben und wovor. Und warum Jesus nichts dagegen hat, dass man schon im September Spekulatius isst.
10.09.2010
Die Fragen stellte Bernd Buchner

evangelisch.de: In den USA will ein radikaler Prediger den Koran verbrennen. Warum verhelfen die Medien solchen Exremisten immer wieder zu Publicity?

Ernst Elitz: In den USA gibt es keinen Maulkorbzwang für religiöse Fanatiker. In Deutschland auch nicht. Aber diese Form von religiösem Wahnsinn ist uns glücklicherweise fremd. Dass die Ankündigung der Hass-Aktion in den Vereinigten Staaten ein so großes Medienecho findet, ist nicht allein der Neigung zum Außergewöhnlichen und Skandalösen geschuldet. Es gibt auf dem nordamerikanischen Kontinent genügend Gruppen, die sich religiös noch im düsteren Zeitalter der Voraufklärung befinden, aber über ein fundamentalistisches Mediennetzwerk verfügen, mit dessen Hilfe sie ihre Gesinnungsgenossen befeuern. Diese Stimmung vermittelt sich in die Öffentlichkeit und jeder Amerikaner würde ein Beschweigen dieses Vorhabens durch andere Fernseh- oder Radiostationen als Verstoß gegen die Informationsfreiheit werten. Sehen wir es mal so: Die Verleihung des Preises für Medienfreiheit an den dänischen Mohammed-Karikaturisten Kurt Westergaard in dieser Woche in Potsdam und das Lob, das die Kanzlerin dem Preisträger dabei spendete, könnte in der islamischen Welt unfreundliche Reaktionen hervorrufen – so wurde befürchtet. Nun überlagert das Medienecho über die angekündigte Koranverbrennung das heimische deutsche Ereignis. Was in den islamistischen Podien des Internets letztlich mehr Aufmerksamkeit findet, werden erst die nächsten Tage um das historische Ereignis vom 9/11 beweisen.

evangelisch.de: Eine Studie hat die "Ängste der Deutschen" untersucht. Alter, Arbeitslosigkeit und Naturkatastrophen werden häufig genannt. Ist die "German Angst" noch etwas Besonderes?

Ernst Elitz: Die Deutschen sind besonders verängstigt. Sie haben sich oft genug in Situationen gegeben, in denen sie die Existenz der Nation – und die ihrer Nachbarn - frevelhaft aufs Spiel gesetzt haben. Das hat sich eingebrannt. Und das ist auch gut so. Aber diese Angst hat den Alltag infiziert. Man klammert sich an das, was man hat, obwohl jeder weiß, dass sich in Deutschland viel verändern muss, wenn das Land auch künftigen Generationen noch etwas bieten will. Aber die allgegenwärtige Angst blockiert den Mut zum Risiko und zur Veränderung. Unter dieser Angstglocke dämmert das Land vor sich hin.

evangelisch.de: Pünktlich zum Herbstbeginn finden wir wieder Weihnachtsartikel in den Regalen. Regen Sie sich auch über Spekulatius & Nikoläuse zur Unzeit auf?

Ernst Elitz: Mein Aufregungsgen – falls man das Wort Gen als politisch-korrekter Mitbürger überhaupt noch gebrauchen darf – ist nicht besonders entwickelt. Die Zahl der Zeitgenossen, die noch einen christlichen Kern im Weihnachtsfest erkennen, ist ohnehin im Schwinden begriffen. Spekulatius, Lamettabaum, der Weihnachtsmann und Geschenkeberge haben mit der Geburt zu Bethlehem nichts, aber auch gar nichts zu tun. Ob nun die Ostereier das ganze Jahr über durch die Supermärkte rollen, Weihnachtsbäume schon im August verkauft werden oder der Nikolaus an jedem Monatsersten ein Rad schlägt – nichts dagegen. Nirgendwo lassen sich die Lichtjahre der Entfernung zwischen Konsumwelt und christlichem Glauben so klar erkennen wie beim Weihnachtstand. Gehen Sie also ruhig Lebkuchen futtern. Der Herr Jesus nimmt Ihnen das sicher nicht übel.


Prof. Ernst Elitz, Jahrgang 1941, lebt als freier Publizist in Berlin. Nach seinem Studium der Germanistik, Theaterwissenschaften, Politik und Philosophie kam er über Stationen wie den "Spiegel" und das öffentlich-rechtliche Fernsehen zum Deutschlandradio, das er als Gründungsintendant von 1994 bis 2009 leitete. Alle seine Drei-Fragen-Kolumnen finden Sie hier auf einen Blick.