Schutzklauseln für Konzerne: "Sicherheit dreist verkauft"
Die Atomkonzerne haben in der Vereinbarung mit der Bundesregierung Schutzklauseln eingebaut. So wollen sie nur 500 Millionen Euro für Akw-Nachrüstungen zahlen, sonst gibt es weniger Geld für den Öko- Fonds. Die Opposition spricht von einem "schmutzigen Deal".
09.09.2010
Von Tim Braune und Georg Ismar

Die Atomkonzerne haben sich in dem Vertrag mit der Bundesregierung weitreichende Schutzklauseln zusichern lassen. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur dpa sind die Kosten für die mögliche Nachrüstung auf 500 Millionen Euro je Kernkraftwerk begrenzt. Kosten die Nachrüstungen mehr, erhält der Bund entsprechend weniger Geld für seinen geplanten Öko-Energiefonds.

Das gleiche passiert, wenn die von Schwarz-Gelb bis 2016 befristete Atomsteuer erhöht oder verlängert wird. Damit haben die Koalition und die Atombetreiber Eon, RWE, EnBW und Vattenfall faktisch eine Sperre eingebaut, um Rot-Grün bei einem möglichen Wahlsieg Änderungen am Paket für längere Laufzeiten zu erschweren.

"Bundesregierung vertritt die Interessen der Konzerne"

In dem der dpa vorliegenden Vertrag heißt es, dass die für die nächsten Jahre zugesagten Öko-Förderbeiträge sich verringern, "wenn eine Kernbrennstoffsteuer (...) für eine längere Dauer als in den Jahren 2011 bis 2016 erhoben oder wenn eine anderweitige Steuer, Abgabe oder sonstige Belastung eingeführt, begründet oder erhöht wird". Im Jahr 2019 wollen beide Seiten das System der Gewinnabschöpfung überprüfen.

SPD-Chef Sigmar Gabriel nannte die Zusicherungen einen einmaligen Vorgang. "Nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik hat eine Regierung die Sicherheit der Bevölkerung so dreist verkauft", sagte er der dpa. "Der Geheimvertrag zwischen der Bundesregierung und den vier Atomkonzernen zeigt: Merkel, Westerwelle und Röttgen vertreten nicht das Gemeinwohl, sondern die Interessen der vier Energie- Monopolisten."

Auch die Grünen übten scharfe Kritik. "Die Bundesregierung hat sich die Sicherheit der Akw für Geld abkaufen lassen" sagte Fraktionsvize Bärbel Höhn. "Umweltminister Röttgen wollte pro Meiler Nachrüstkosten von 1,2 Milliarden Euro durchsetzen. Jetzt wurden die Sicherheitsanforderungen offenbar mehr als halbiert", sagte Höhn. "Das sieht nach einem verdammt schmutzigen Deal aus."

Vereinbarung verteidigt

Die Bundesregierung steht zu ihrem Verhandlungsergebnis. Man habe gut verhandelt und werde über die gesamte Zeitschiene der längeren Laufzeiten etwa 58 Prozent der Zusatzgewinne der Konzerne abschöpfen, hieß es in Regierungskreisen. Die Zahlungen der Industrie für den Öko-Fonds würden in den nächsten Jahren langsam anwachsen und etwa 2020/2023 ihren höchsten Stand erreichen.

Der Bund habe bei den Klauseln zur Kernbrennstoffsteuer und zur Nachrüstung der Meiler keine Rechte abgetreten. "Das behindert die Atomaufsicht in keiner Weise", hieß es. Es sei aber logisch gewesen, dass die Konzerne aus wirtschaftlichen Gründen auf Anpassungsklauseln gepocht hätten, um bei ihren Fonds-Zuschüssen auf sinkende Strompreise oder höhere Steuerbelastungen reagieren zu können.

Die Regierung will die umstrittene Vereinbarung veröffentlichen. "Natürlich wird das demnächst öffentlich gemacht", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert der "Financial Times Deutschland".

Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) sagte: "Der Vertrag kann natürlich, sofern er nicht Geschäftsgeheimnisse der Energieerzeuger betrifft, auch veröffentlich werden." Bei den nächtlichen Absprachen mit RWE, Eon, EnBW und Vattenfall sei "nichts Unkoscheres" passiert.

Zwölf Jahre längere Laufzeit

In dem Papier sind die Einzelheiten zur Abschöpfung der erwarteten Zusatzgewinne geregelt. Im Schnitt sollen die Meiler zwölf Jahre länger laufen und die Konzerne im Gegenzug dafür rund 30 Milliarden Euro zahlen.

Das Bundesumweltministerium wies einen Bericht über Pläne für geringere Sicherheitsstandards bei den Atomkraftwerken zurück. Das ARD-Magazin "Monitor" berichtet, der Entwurf zur Änderung des Atomgesetzes verlange von den Betreibern für wichtige Bereiche keine Nachrüstungen mehr, die dem Stand von Wissenschaft und Technik genügten. Eine Ministeriumssprecherin bezeichnete dies am Donnerstag als "komplett falsch". "Die bisherigen gesetzlichen Pflichten bleiben vollständig unangetastet", sagte sie.

Bei der Neufassung des Atomgesetzes wird nach Ansicht von Juristen das Recht der Bürger beschnitten, Nachrüstungen von Atomkraftwerken einzuklagen - das würde den Zwang zu Nachrüstungen für die Konzerne wesentlich abmildern. Die geplante Neuregelung bezeichnete der Atomrechtsexperte Alexander Roßnagel in der ARD-Sendung "Monitor" als "verfassungswidrig". "Wenn die Bürger in ihrem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit betroffen sind, müssen sie auch die Möglichkeit haben zu klagen."

Offenbar Abschwächung der Schadensvorsorge geplant

Kläger können derzeit einen Schutz gegen Flugzeugabstürze vor Gericht einklagen. Seit einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 2008 sind Attacken mit Flugzeugen nicht mehr dem für die Bevölkerung zu akzeptierenden "Restrisiko" zuzuordnen - vielmehr hat der Staat eine Schadensvorsorge zu garantieren.

Nach dpa-Informationen ist im Atomgesetz ein neuer Paragraf 7d geplant, mit dem die Schadensvorsorgepflicht abgeschwächt werden könnte. Bleibt das jetzige Recht bestehen und der Zwang zu einer milliardenschweren neuen Betonhülle würde juristisch einklagbar sein, könnten gerade ältere Meiler unrentabel werden.

Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) hatte wiederholt betont, bisher seien bei der Sicherheit der deutschen Atomkraftwerke noch keine Lehren aus den Terrorattacken vom 11. September 2001 in den USA gezogen worden. Deshalb wollte er einen Schutz aller Atommeiler vor Abstürzen großer Flugzeuge. Er konnte sich damit aber beim Atom-Spitzentreffen am vergangenen Sonntag nicht durchsetzen. Das Ministerium hatte vor den Beschlüssen die Nachrüstkosten bei einer Verlängerung der Laufzeiten um zwölf Jahre auf 20,3 Milliarden Euro beziffert.

dpa