Andrea Reichenbacher hat eine große Leidenschaft: Gospel. Die 46-Jährige singt im Chor "Gospeltrain" in Pfinztal-Söllingen im Landkreis Karlsruhe und probt derzeit für ein Großereignis, auf das sich eine ganze Region freut: den 5. Internationalen Gospelkirchentag am zweiten September-Wochenende. Mehr als 100 Chöre, rund 5.000 Sängerinnen und Sänger, 50.000 Besucher und viele internationale Stars wie Nina Hagen werden dann nach Karlsruhe kommen.
Mehr als 100.000 Menschen singen einer Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zufolge in rund 3.000 deutschen Gospelchören. Deshalb sieht die musikmissionarische "Creative Kirche" in Witten, die das dreitägige Gesangsfestival initiiert hat, in der Gospelbewegung eine große Chance, mehr Menschen für das Evangelium und die Kirche zu begeistern.
"Für mich ist Gospel kirchliche Popmusik, die vom Glauben erzählt", sagt Martin Bartelworth, Geschäftsführer des internationalen Gospelkirchentags. Die bundesweite Gospelchor-Studie belege die hohe Motivation und Offenheit der Menschen, sich mit Glaube und Kirche auseinanderzusetzen. Viele Menschen, die sonst nicht in der Gemeinde vorbeischauen würden, seien über den Gospel zu ihrem Kirchenengagement gekommen.
Durch Gospel Anschluss an die Kirche gefunden
Auch im Söllinger Gospeltrain singen viele mit, die einst als kirchenfern galten und durch die Gospelmusik wieder Anschluss an die Kirche gefunden haben. "Inzwischen sind wir 41 gospelbegeisterte Sängerinnen und Sänger", sagt Reichenbacher, deren Ehemann Klaus (53) den Chor leitet. Sohn Tobias (19) begleitet in der dazugehörigen Band an der Gitarre.
Unterdessen laufen auch im Karlsruher Büro von Jochen Martin, der seit Mai 2009 die Großveranstaltung vor Ort koordiniert, die letzten Vorbereitungen auf Hochtouren. Vor viereinhalb Jahren wurde er bei einem Konzert in Böblingen auf den Oslo Gospel Choir aufmerksam, war begeistert und wollte die Gospelmusik nach Karlsruhe holen. Weil auch der badische evangelische Landesbischof Ulrich Fischer von den Gospelkirchentagen in Düsseldorf (2006) und Hannover (2008) fasziniert war, lud man die Veranstaltung nach Baden.
Gospelsängerinnen und -sänger sind der Studie zufolge im Schnitt 42 Jahre alt und damit deutlich jünger als die in Kirchengemeinden engagierten Menschen (52 Jahre). Die Chormitglieder seien größtenteils weiblich (80 Prozent). Nachwuchssorgen gibt es laut der EKD-Studie bei den Gospelchören nicht. Sie wirken integrierend nicht nur für Jung und Alt, sondern auch für Neueinsteiger sowie Sänger anderer Konfessionen.
Nina Hagen tritt zur Eröffnung auf
Gospelchöre integrierten und stifteten Gemeinschaft zwischen Konfessionen und Generationen, sagt Bischof Fischer. Die Gottesdienstbesucher identifizierten sich wesentlich über die Musikstile. Daher müssten die Gottesdienste noch vielfältiger werden. "Diese Musik regt etwas an, was die klassische Kirchenmusik nicht schafft", sagt Bischof Fischer.
Fischer lobt auch die erstmals mit dem Großereignis verbundene Aktion "Gospel für eine gerechtere Welt". Dabei wollen die Veranstalter die Sänger ermuntern, in ihren Heimatgemeinden auf die Situation von Menschen in Entwicklungsländern aufmerksam zu machen. Rund 700.000 Euro kostet die Veranstaltung, die von vielen Sponsoren und durch Eintrittspreise finanziert werde, sagt Bartelworth.
Bei der Eröffnungsfeier wird Nina Hagen zusammen mit den Dieter Falk Allstars mitwirken und Lieder ihres neuen Gospel-Albums "Personal Jesus" präsentieren. Unter den prominenten Chören sind der Oslo Gospel Choir aus Norwegen sowie Naturally 7 aus den USA. Bei der Großveranstaltung werden mehr als 100 Gospelchöre aus Deutschland auf unterschiedlichen Bühnen der Stadt auftreten, ein weiterer Höhepunkt ist eine Gospelnacht mit zeitgleichen Aufführungen in knapp 30 Kirchen.