Der weite Weg zur "Bildungsrepublik Deutschland"
In Deutschlands Kindergärten, Schulen und Hochschulen ist vieles besser geworden - aber bei weitem immer noch nicht gut genug. Der weltweite OECD-Bildungsvergleich zeigt erneut die Schwachstellen auf. Bis zur "Bildungsrepublik Deutschland" ist es noch ein weiter Weg.
08.09.2010
Von Karl-Heinz Reith

Die Präsentation des weltweiten OECD-Bildungsberichtes zählt für deutsche Bildungsminister regelmäßig mit zu den unangenehmsten Terminen im Jahr. Nüchtern bilanzieren die Ökonomen und Bildungsforscher der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris darin auf 530 Seiten, wo das deutsche Bildungssystem steht - und zwar im weltweiten Wettbewerb der 30 wichtigsten konkurrierenden Industrienationen noch meilenweit von der Spitze entfernt.

OECD: Deutschland spart zu viel an Bildung

Dabei haben sich die Botschaften des Berichtes seit Mitte der 90-er Jahre im Grundsatz kaum verändert: Aus OECD-Sicht bildet Deutschland im internationalem Vergleich immer noch zu wenig Abiturienten aus, finden zu wenige junge Menschen den Weg in die Hochschule und brechen zu viele die Schule oder das Studium ab.

Und auch bei seinen Bildungsausgaben ist Deutschland im Vergleich zu anderen Industrienationen viel zu sparsam: Nach internationalen Berechnungskriterien ist der Anteil für Bildung im deutschen Bruttoinlandsprodukt sogar rückläufig - und liegt deutlich unter dem OECD-Schnitt (4,7 zu 6,2 Prozent). Nur die Slowakei, Tschechien und Italien investieren noch weniger in Bildung. Die deutschen Finanzminister von Bund und Länder rechnen hier allerdings nach ihren eigenen Kriterien - was regelmäßig bei weltweiten Vergleichen zu Irritationen führt.

Betriebliche Berufsausbildung

In früheren Jahren hatten insbesondere die Kultusminister der Länder die regelmäßigen OECD-Vergleiche häufig als Schelte empfunden - und dies bisweilen auch brüsk als Einmischung in ihre Gestaltungshoheit zurückgewiesen. Heute hingegen fällt der Ton bei der Präsentation der OECD-Berichte moderater aus - vor allem, seit auch in Deutschland die Studienanfängerzahlen steigen, Bund und Länder mehr Studienplätze schaffen und auch gemeinsam gegen vorzeitigen Studienabbruch vorgehen.

Zugleich haben die OECD-Bildungsanalytiker aus Paris aber auch gelernt, mit den speziellen Befindlichkeiten des deutschen Bildungsföderalismus umzugehen. Eigens auf deutschen Wunsch legten sie diesmal zusammen mit ihrem üblichen Bericht eine Untersuchung über die betriebliche Berufsausbildung in 17 OECD-Staaten vor.

Doch neben viel Lob über die geringe Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland - sie ist mit knapp zehn Prozent nur etwa halb so hoch wie im OECD-Schnitt - gab es auch Tadel. So müssen gut ein Drittel aller Lehrstellenbewerber nach ihrem Schulabgang zunächst ein kaum noch überschaubares System von Warteschleifen und Zusatzkursen durchlaufen, bis sie endlich eine Lehrstelle finden. Auch müsse in den Berufsschulen noch deutlich mehr für das Basiswissen der jungen Menschen getan werden - das heißt auch mehr Deutsch- und Matheunterricht.

Ausbau der Hochschulen

Noch bis vor etwa zehn Jahren hatten vor allem die Kultusminister der Union regelmäßig vor einer Abiturienten- und Akademikerschwemme gewarnt und gegen das OECD-Werben für ein Studium Front gemacht. Die OECD - so ihr Vorwurf - ignoriere bei ihren Analysen zum Fachkräftebedarf völlig das deutsche Systems der Berufsausbildung. Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) sprach bei der Präsentation der Berichtes erneut lobend vom "Flaggschiff der deutschen Bildungspolitik".

Doch auch konservative Bildungspolitiker räumen inzwischen offen ein, dass das System der deutschen Lehrlingsausbildung dringend weiterer Reformen bedarf. Der Sozialwissenschaftler Martin Baethge rechnet vor, dass heute jeder zweite Absolvent einer Lehre fünf Jahre nach der Ausbildung in einem völlig anderen Beruf arbeitet als dem ursprünglich erlernten. Angesichts des schnellen Wandels auf dem Arbeitsmarkt führe deshalb an mehr Grundbildung kein Weg vorbei. Doch tatsächlich werden immer neue Ausbildungsberufe erfunden und die Lehrinhalte noch stärker spezialisiert.

Der OECD-Vergleich 2010 macht die Folgen der langjährigen deutschen Zurückhaltung beim Ausbau der Hochschulen überdeutlich. So sind in vielen konkurrierenden OECD-Staaten in die vergangenen Jahren die Zahlen der Beschäftigen mit akademischen Abschluss fast explosionsartig in die Höhe geschnellt. In der Bundesrepublik stieg dagegen zwischen 1998 und 2008 die Zahl der Erwerbstätigen mit abgeschlossenen Studium pro Jahr nur um etwa 0,9 Prozent - im OECD- Vergleich dagegen um 4,6 Prozent.

dpa