Brunner: Gemeindemitglieder beten für Täter
Als der Richter die Urteile im Prozess um den Tod von Dominik Brunner verkündetete, beteten in einer Münchner Kirche Pfarrer Andreas Ebert und Gemeindemitglieder für die gerade verurteilten Jugendlichen.
06.09.2010
Von Monika Goetsch

Noch am Morgen der Urteilsverkündung im Fall Dominik Brunner haben sie für die Täter gebetet. Im Landgericht München schickte Richter Reinhold Baier die Angeklagten für sieben und zehn Jahre in Jugendhaft, in der kleinen Hinterhofkirche St. Martin im Münchner Glockenbachviertel saßen Gemeindemitglieder beisammen und baten Gott um Beistand. Sie haben das während des gesamten Prozesses getan, Woche für Woche.

Ihr besonderes Engagement hat einen Grund: Einer der Täter, Sebastian L., wurde vor vier Jahren in St. Martin konfirmiert. Die "Bild"-Zeitung lud sich kurz nach seiner Verhaftung das Konfirmationsgruppenfoto von der Homepage der Gemeinde und druckte das Bild von Sebastian ab, ohne Balken. Der Ärger seines Pfarrers, Andreas Ebert, auf die Medien nahm hier seinen Anfang. Im Verlauf des Prozesses hat Ebert noch vielfach Zorn verspürt: Auf die Schwarz-Weiß-Malerei in der Gesellschaft, die zwei "Monstern" einen "Helden" entgegen setzte. Darauf, dass Brunner von der Politik das Bundesverdienstkreuz erhielt, noch bevor der Prozess begann. Und darauf, dass Journalisten, die allmählich differenzierter über das Geschehen auf dem Bahnhof Solln zu berichten begannen, als "Schmutzjournalisten" abgekanzelt werden.

Für den engagierten Geistlichen geht bis heute entgegen der Haltung des Richters "der Schritt zur Eskalation von der psychischen zur physischen Gewalt von Dominik Brunner aus". Seiner Ansicht nach hätten die Jugendlichen Brunner kein Haar gekrümmt, wäre der nicht mit den Fäusten gegen sie angetreten. Er nennt das strenge Urteil Baiers darum "nicht fair".

Pfarrer besucht Familien der Konfirmanden

Wie alle Konfirmanden hat sich Sebastian damals seinen Spruch selbst ausgesucht. Seine Wahl fiel auf folgenden Satz: "Dennoch bleibe ich stets bei dir, denn du hältst mich bei deiner rechten Hand." Pfarrer Ebert trifft das heute "ins Mark". Inzwischen besucht Ebert die Familie jedes einzelnen Konfirmanden zu Hause, um auch die Familien kennen zu lernen und die Verhältnisse, in denen einer aufwächst. Fürsorglich nimmt sich die Gemeinde seit seiner Verhaftung ihres ehemaligen Schützlings an.

Elisabeth Groß, 84, fährt regelmäßig vom Stadtteil Großhesselohe in die Innenstadt, um an den gemeinsamen Gebeten teilzunehmen. Die Katholikin hat früher als Sozialarbeiterin gearbeitet. "Ich weiß, auf welche Weise Menschen in solche Laufbahnen geraten können. Die Gesellschaft ist da viel zu schnell mit ihrem Urteil." Sei jemand in Not wie Sebastian L., müsse er "auf die Solidarität der Gemeinde oder des engeren Kreises zählen können." Für Groß gehört das zur Arbeit in ihrer spirituellen Heimat St. Martin ganz selbstverständlich dazu. "Es ist eine Hilfe für Sebastian, zu wissen, dass Menschen hinter ihm stehen."

Auch die Mutter eines Konfirmandenfreundes von Sebastian ist unter den Betenden, Andrea Schuster, die eigentlich anders heißt, aber anonym bleiben will, weil sie im aufgeheizten Klima um den Tod Brunners für sich und ihre Kinder böse Reaktionen fürchtet. "Mir hat der Sebastian, als ich von der Tat erfuhr, so leid getan", sagt Schuster, "er kam mir hilflos und mutterlos vor. Ich dachte, mein Gott, der Junge war in unserer Gemeinde, wir haben ihn auf den Weg geschickt." Berührend fand sie damals die Verabschiedung der Konfirmanden, die Worte, die Pfarrer Ebert fand über Irrungen und Wirrungen auf dem Weg durchs Leben. Jetzt, wo einer der Konfirmanden an diesen Wirrungen gestrauchelt ist, ist das für sie "eine Katastrophe". "Wir hätten damals mehr tun sollen", sagt sie.

"Wer so etwas tut, ist selbst am Boden"

Seit Sebastian in Untersuchungshaft sitzt, versucht sie, sich mit Briefen und Besuchen um ihn und seine Mutter zu kümmern. "Ich habe zu meinem Freund gesagt: Wenn wir das beginnen, ist es eine Lebensaufgabe. Er hat zugestimmt." Wo Sebastian L. wohnen wird nach den sieben Jahren im Strafvollzug, welchen Job er bekommt, bei all dem will Andrea Schuster behilflich sein – sofern Sebastian das möchte. "Wenn er aus dem Gefängnis kommt, geht die Arbeit doch erst richtig los. Ganz schnell landet ein Einsamer wieder da, wo die anderen Einsamen und kaputten Seelen sind."

Dabei sei Sebastian für sie kein Schlägertyp, niemand, der von Grund auf aggressiv auftritt. Sie wünscht ihm einen Schulabschluss, eine Lehre, Selbstbewusstsein durch Leistung. Würde sie ihm das auch wünschen, wenn er, nicht Markus, die brutalen Tritte gegen Dominik Brunners Kopf gesetzt hätte, als der schon reglos am Boden lag? "Aber ja, das zerbricht einem doch das Herz. Wenn einer so was tut, ist er selbst am Boden." Im Augenblick, so Schuster, wehrten sich die beiden Jugendlichen noch in erster Linie dagegen, Monster zu sein. "Aber irgendwann müssen sie sich auch damit auseinandersetzen, dass durch sie ein Mensch zu Tode gekommen ist." Sie ist überzeugt: "Das traumatisiert."

Vergangenes Jahr hat Sebastian im Gefängnis eine Krippe gesägt. Die Gemeinde hat sie Sebastian abgekauft. In den Weihnachtstagen saßen die Gläubigen von St. Martin um diese Krippe herum und beteten. Auch diesen Winter werden sie die Krippe wieder hervorholen. Und weiterbeten für zwei junge Täter, die einen schweren Weg vor sich haben.